Hagen. Die schönsten Passstraßen in Hagen gibt es im Süden. Sie eröffnen fantastische Ausblicke. Wer die Berge bezwingt, erlebt besondere Momente.

Der Berg ruft. Seit Wochen. Da hatte sich dieser Gedanke festgesetzt, eine Geschichte über die Passstraßen von Hagen zu machen. Über jene Wege, die im traumhaft schönen Süden die Täler miteinander verbinden und hinauf führen zu den höchsten Punkten der Stadt.

Der Berg ruft. Besser: Die Berge rufen. Wer sie erleben will, der kann sich in ein Auto setzen und die engen Straßen, die sich hinaufschlängeln in kleine Dörfchen, die Namen tragen wie Rumscheid oder Wirminghausen, hinaufcruisen.

Wer aber die Wucht dieser Berge, die Dimension der Steigungen, die Schönheit der Natur erleben will, der sollte versuchen, sie mit eigener Kraft zu bezwingen. Zu Fuß. Oder weil es zu viele Berge für eine einzige Wanderung sein können, mit dem Rad – mit oder ohne Motor, bei einer Berg- und Talfahrt.

Zwei Radler blicken im Wechsel auf die Tour

Ich brauche eine Bergziege. Eine, die mich hochzieht. Hendrik Nachtigäller, der Mann, der im Sauerland schon 300 Kilometer an einem Stück (!) gefahren ist und nahezu täglich mit dem Rad auf der Schulter in die Redaktion marschiert. Treffen am Bahnhof Dahl, einradeln bis Priorei, rechts über die Bahn, wieder rechts. Hückinghauser Weg. Eine Straße, die bei der Jahrhundertflut davongespült wurde und deren Asphalt die Räder vermutlich von alleine rollen lässt. Nachtigäller fährt und redet auf mich ein. Es ist steil. Sehr steil. Ich schweige. Und atme und atme und atme.

Zwei Radler, ein Ziel: Jens Stubbe (links) und Hendrik Nachtigäller auf Hagens schönsten Passstraßen.
Zwei Radler, ein Ziel: Jens Stubbe (links) und Hendrik Nachtigäller auf Hagens schönsten Passstraßen. © WP | Michael Kleinrensing

Ungewöhnlich still ist Jens Stubbe an diesem kalten, aber traumhaft sonnigen Morgen. Von Alpen-Panorama und Natur pur hatte er geschwärmt. In Hagen! Der Kollege weiß, wie er mich ködern kann. Als Pendler kenne ich vor allem die Innenstadt. Im Süden ist es grüner, also nichts wie los! Schon der erste Anstieg am Hückinghauser Weg hat es in sich. Aber Alpen-Panorama und Flachland, das passt auch einfach nicht. Der kleinste Gang ist schnell eingelegt, der Atem wird schwerer. Langsam entfernen wir uns von der großen Osemundstraße, tauchen mit dem Weg in den Wald ein, und es wird erstaunlich ruhig. Kein Rauschen von Autos ist zu hören, nur ein Rascheln im Gebüsch – ein dunkelbraunes Reh hüpft 15 Meter vor mir von links nach rechts über die Straße und verschwindet zwischen den Bäumen. Sonst: Stille.

Das Schweigen am Berg

Hat Stubbe heute nichts zu erzählen? Im Büro ist das anders. Ich drehe mich um – weg ist er. Aber nicht weit, die Straße ist verwinkelt. Schnell ist er wieder in Sicht, und wir strampeln gemeinsam bergauf. Der Wald lichtet sich, auf großen Wiesen mit steilem Gefälle weiden Ponys und Pferde beim Freigut Hückinghausen. Aus ihrem Offenstall können die Tiere selbst entscheiden, wann sie auf die Weide gehen. Idyllisch. Noch ein kleines Stück geht es bergauf.

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Nachtigäller hat gewartet. Ich komme an – weiter. „Arschlochpause“ heißt das in Fachkreisen. Immerhin: Der Ausblick vom Rad entschädigt für die Qualen. Heedfeld, Lüdenscheid, die Windräder und Brücken am Berg gegenüber. Will ich da wirklich hin? Die Sonne scheint, ein Trost. Es steht die erste Abfahrt an. Hinab in einen kleinen Ort mitten am Hang, mit dem ich einen köstlichen Schnaps verbinde, den ich zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn dort geschenkt bekommen habe. Wirminghausen. Ich atme. Aber ich kann wieder sprechen. Weiter runter. Serpentinen. Rampen. Gut, dass ich hier nicht hoch muss. Oder war der Hückinghauser Weg genau so steil?

Die Abfahrt nach dem Anstieg

Endlich! Als Radfahrer ist für mich das Zweitschönste am Anstieg die Abfahrt danach. Nach der genialen Aussicht, wenn es sie denn gibt – und da hat Stubbe nicht zu viel versprochen. Der Blick in Richtung Märkischer Kreis ist beeindruckend. Überhaupt ist Stubbe jetzt etwas redseliger, erzählt von geplanten Mountainbike- und gefahrenen 24-Stunden-Rennen. Bis wir mehr Tempo aufnehmen, der rauschende Wind übertönt die letzten Worte.

An den Steigungen melden sich die Muskeln: Hendrik Nachtigäller (links) und Jens Stubbe am Rumscheider Weg.
An den Steigungen melden sich die Muskeln: Hendrik Nachtigäller (links) und Jens Stubbe am Rumscheider Weg. © WP | Michael Kleinrensing

Weiter durch das Ambrocker Tal, vorbei am Steinbruch zur Bundesstraße 54. Nachtigällers Trinkflasche bleibt bei dem Geholper auf der Strecke. Umdrehen. Was die B54 mit den Bergen eint? Man erlebt auch diese Verkehrsader auf dem Rad anders. Die Zahl der Laster erreicht Dimensionen, die für die Anwohner eine Zumutung sind. Aus dem Auto heraus merkt man’s nicht. Auf dem Rad sehr wohl.

Köstlichkeiten am Wegesrand

Nächster Anstieg, abbiegen in Dahl an jener Ecke, wo sich einst ein China-Restaurant befand. Wenige Meter weiter könnte man anhalten, innehalten, genießen. Die Köstlichkeiten der Märkischen Spezialitäten-Brennerei. Vor dem Haus steht eine Bank, die Sonne scheint immer noch. Wir fahren vorbei. Rechts hinein in den Rumscheider Weg. Nachtigäller, die Bergziege voran. Ich atme.

Die Bergziege voran: Hendrik Nachtigäller hat locker einen Vorsprung herausgefahren und strahlt. Jens Stubbe muss kämpfen.
Die Bergziege voran: Hendrik Nachtigäller hat locker einen Vorsprung herausgefahren und strahlt. Jens Stubbe muss kämpfen. © WP | Michael Kleinrensing

Bitte nicht. Das ist mein erster Gedanke, als wir hinter der Brennerei rechts abbiegen. Diese Gegend, ja diese Straße kommt mir verdächtig bekannt vor. Einmal bin ich sie tatsächlich schon gefahren – von oben nach unten. Und habe mir dabei geschworen: Radfahren soll Spaß machen, das Runterfahren hat gereicht. Da fährst du niemals hoch. Nun versuchen wir es also doch. Danke auch, Stubbe! Meine Rettung sind die Pausen, die wir für die Fotos einlegen. Drei Mal halten wir, können kurz Luft schnappen, das Brennen in den Beinen ist lange nicht so schlimm wie befürchtet. Und dann wieder diese Aussicht! Hügel, Täler, Wiesen und Wälder. Einfach wundervoll. Da hat der Kollege nicht zu viel versprochen, im Gegenteil. Also diesmal ehrlich: danke, Stubbe!

Reisebus bliebt in Kurve hängen

Ich atme. Vorbei an der Kurve, in der sich einst ein Reisebus (!) festgefahren hat. Hinauf, immer weiter. Nachtigäller hat einen Vorsprung herausgeradelt. Locker. Ist der gedopt? Oben fühle ich mich so alt wie die Rumscheider Linde – es ist der älteste Baum der Stadt Hagen. Nächste Herausforderung: Nimmertal runter, Nahmertal wieder hoch. „Quäl dich, du Sau.“ Der Satz schießt mir durch den Kopf. Oder war es Nachtigäller, der ihn gerade gesagt hat? Ursprünglich stammt er von einem Mann namens Udo Bölts, der ihn einst an einem Tour-de-France-Anstieg zu Jan Ullrich zugerufen hat. Beide gedopt. Ich ahne, warum das Ende dieses Bergs Lahmer Hase heißt. Ich atme und atme und atme. Nachtigäller erzählt, wie er neulich 300 Kilometer gefahren ist. Im Regen.

Guter Dinge beim Mannschaftsfoto: Das Duo Hendrik Nachtigäller (links) und Jens Stubbe erklettert die Hagener Panoramastraßen im Süden der Stadt.
Guter Dinge beim Mannschaftsfoto: Das Duo Hendrik Nachtigäller (links) und Jens Stubbe erklettert die Hagener Panoramastraßen im Süden der Stadt. © WP | Michael Kleinrensing

Die Straße durchs Nahmertal steigt gemächlich an. Stubbe und ich fahren sie ebenso und sprechen über die Folgen der Jahrhundert-Flut, deren Spuren hier auch knapp zwei Jahre später nicht zu übersehen sind. Oder rede doch nur ich? Ungewohnte Rollenverteilung! Oben angekommen, geht es ein Stück über den Knapp – bis wir einer Straße folgen, die sich mit leichtem Gefälle eine lange, klasse zu fahrende Abfahrt hinabwindet. Links auf einer Wiese steht noch ein Reh, reißt aus, als es uns erblickt. Was mir in diesem Moment auffällt: die Gerüche in der Luft. Es duftet nach Wald, Wiese, Frühling. Mir wird bewusst, wie sehr die gewohnte Stadtluft eigentlich mieft.

Der höchste Berg des Ruhrgebiets

Wieder im Volmetal. Nachtigäller ist ein Kind des Potts. Will ihm den höchsten Berg des Ruhrgebiets noch eben zeigen. Den Wengeberg, 442 Meter über dem Meer. Das Problem: Rummenohl liegt rund 300 Meter tiefer.

Bergankunft vor Augen: Jens Stubbe (links) und Hedrik Nachtigäller bezwingen vier knackige Steigungen im Süden der Stadt Hagen.
Bergankunft vor Augen: Jens Stubbe (links) und Hedrik Nachtigäller bezwingen vier knackige Steigungen im Süden der Stadt Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Der höchste Berg des Ruhrgebiets! Stubbe gibt einen super Touri-Führer. Da müssen wir natürlich hoch. Aber das war lange nicht die einzige spannende Info unterwegs: Das Angebot der Märkischen Spezialitäten-Brennerei und der Vormann-Brauerei in Dahl muss ich unbedingt selbst unter die Lupe nehmen, verlockend. Noch verlockender, wenn wir nicht noch ordentlich kraxeln müssten.

Die Bergziege ist ein Punkt am Horizont

Es geht vorbei am Restaurant Dresel (warum kehren wir hier nicht einfach ein). Hoch, wieder hoch. Bis Breckerfeld. Nachtigäller, die Bergziege, ist hinter Ehringhausen noch ein Punkt am Horizont.

Aber: Wer den höchsten Punkt erreicht hat, für den geht es nur noch bergab. Durch den Ortskern der Hansestadt, in die Prioreier Straße, wo ein Plakat darauf aufmerksam macht, dass der Motorradlärm Anwohner krank macht. Wir sind auch auf zwei Rädern unterwegs. Nur leise. Gleiten durch die Kurven. Hinab ins Tal. Nach 52 Kilometern erreichen wir den Bahnhof Dahl. 1030 Höhenmeter. 2:20 Stunden Fahrzeit. Ich atme.

Wer die Passstraßen erleben will – hier ist die Tour, die sich auch mit dem E-Bike nachfahren lässt.