Hagen. Von den Krankenkassen mit Bürokratie überhäuft, zu wenig Zeit für Patienten: Die Ärzte in Hagen beklagen eine Schieflage im Gesundheitssystem.

Für nicht wenige Patienten kommt das Gesundheitswesen einer Durchgangsstation gleich: Sie betreten die Praxis bzw. die Klinik, werden untersucht, erhalten ihre Diagnose und schwupps – schon ist der nächste Patient an der Reihe.

Für ein paar persönliche Worte oder ein längeres Beratungsgespräch scheint der Arzt keine Zeit zu haben. „Das ist eine Entwicklung, die die Patientinnen und Patienten unzufrieden macht – und das zurecht“, sagt Dr. Hans-Walter Lindemann, Vorsitzender im Verwaltungsbezirk Hagen der Ärztekammer Westfalen-Lippe.

Der langjährige Chefarzt für Innere Medizin am St.-Josefs-Hospital in Altenhagen sieht den Schwarzen Peter für den Zeitdruck aber nicht bei seinen Kollegen. Vielmehr beklagt er die zunehmende Bürokratisierung im Gesundheitswesen, die die Ärzte massiv belaste und ihnen Arbeitszeit raube, die dann bei der Patientenversorgung fehle: „Bürokratieaufwand und Verwaltungsaufgaben haben überhand genommen“, beklagt Lindemann.

Ausufernde Verwaltungsaufgaben

Als Hauptverursacher der ausufernden Verwaltungsaufgaben hat die Ärztekammer einige Krankenkassen ausgemacht. Um Geld zu sparen, überzögen diese die Ärzteschaft mit Dokumentationsforderungen. Bei einigen Krankenkasse habe die Eröffnung eines lästigen, nutzlosen Schriftverkehrs möglicherweise Methode, um den Arzt oder die Ärztin mürbe zu machen.

Dr. Hans-Walter Lindemann ist Vorsitzender der Ärztekammer im Verwaltungsbezirk Hagen.
Dr. Hans-Walter Lindemann ist Vorsitzender der Ärztekammer im Verwaltungsbezirk Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Häufig werde zum Beispiel die Entscheidung eines Arztes, einen Patienten zur Behandlung für längere Zeit im Krankenhaus aufzunehmen, in Frage gestellt: „Eindeutig mit dem Tenor, dass das ja wohl nicht notwendig sei. Eindeutig mit dem Tenor, dass eine ambulante Behandlung kostengünstiger sei.“

Das Problem für die Ärzte: Sie müssen auf die Schreiben der Kassen antworten, sonst könnten diese von ihrer Zahlungsverpflichtung zurücktreten, so Lindemann: „Das ist eine Arbeit, die die Ärzte belastet und ihnen die Zeit für die Patienten raubt.“

Früher nicht derartige Auswüchse

Er wolle ausdrücklich nicht alle Krankenkassen über einen Kamm scheren und nennt als lobenswertes Beispiel die AOK: „Mein Eindruck ist, dass bei der AOK sehr sorgfältig vorgegangen wird und Fragen möglichst auf dem kurzen Dienstweg geklärt werden. Wenn die AOK das kann, warum dann nicht alle anderen Kassen!“

Selbstverständlich hätten die Krankenkassen die Pflicht, sorgfältig mit dem Geld ihrer Versicherten umzugehen, so Lindemann. Früher habe das ja auch geklappt, da habe es derartige Auswüchse an Papierkram nicht gegeben. Und es sei ja auch erforderlich, ja unverzichtbar, Patientenbefunde, Untersuchungsergebnisse und Arztbriefe zu dokumentieren. Von überflüssigen, bürokratischen Tätigkeiten müssten die Ärzte jedoch befreit werden.

Lindemann verweist aber auch auf grobe Missstände im System. Dass das Bundesgesundheitsministerium die mit viel Aufwand zusammengetragenen Daten aus den Corona-Impfungen nicht aufbereiten konnte, sei ausgesprochen frustrierend: „Wofür haben wir Ärzte uns in diese bürokratische Arbeit gekniet, wenn doch letzt nichts dabei herauskommt.“

Verschleißeffekt bei den Medizinern

Und selbst die elektronische Krankschreibung bedeute eine Verschlimmbesserung, weil sich die Kollegen für jeden Vorgang neu im System anmelden müssten: „Wir können nur hoffen, dass das besser wird.“

+++Lesen Sie auch: Ehepaar vertreibt Kiosk-Räuber in Hagen+++

Nicht wenige Ärzte würden erwägen, ihre Tätigkeit aufzugeben, sieht Lindemann einen Verschleißeffekt der unter Dauerstress stehenden Kollegen. Diese Entwicklung betrübt ihn nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es ohnehin zu wenig Ärzte in Deutschland und zu wenig Medizin-Studienplätze an den Universitäten gebe: „Zudem möchten viele der jungen Kollegen nur in Teilzeitarbeit, bei ihnen spielt die Work-life-balance eine immer wichtigere Rolle.“

Und die Arbeit müsse Freude machen, beispielsweise wenn man einen Menschen durch ein gutes Gespräch zufriedener gemacht hat.