Hagen. Die sechsjährige Clara aus Hagen litt nach einem Unfall an starken Schmerzen. Doch im Krankenhaus wurde sie stundenlang im Wartesaal vertröstet.

Der schöne Sonntagsspaziergang endete mit einem Unglück. Clara (6) stürzte beim Rollerfahren, das Trittbrett des Fahrzeugs wirbelte herum und prallte gegen ihr Bein. Sie schrie auf, Tränen flossen. „Sie ließ sich kaum beruhigen, und die Stelle zu kühlen hat auch nicht geholfen“, berichtet Sandro Dimaggio (43). Äußerlich war keine schwere Verletzung zu erkennen, doch weil Clara offenbar unter starken Schmerzen litt, entschlossen sich die Eltern, ihre Tochter in die Notfallambulanz des Allgemeinen Krankenhauses Hagen (AKH) zu bringen.

Um 18.30 Uhr traf die Familie dort ein. Im Wartesaal befand sich zu diesem Zeitpunkt ein rundes Dutzend weiterer Patienten, wohl oder übel hieß es zu warten. Der Vater nahm seine unaufhörlich weinende Tochter auf den Schoß und versuchte, sie zu trösten.

Als nach zweieinhalb Stunden Wartezeit immer noch niemand ins Behandlungszimmer gerufen worden war, erkundigte sich Angel Dimaggio (41) an der Rezeption, wann ihre Tochter denn wohl an die Reihe käme. Es täte ihr Leid, lautete die Antwort der Dame an der Anmeldung, aber es sei nur ein Chirurg zugegen, und der kümmere sich gerade um einen Notfall. Als die Mutter darauf hinwies, dass ihre Tochter starke Schmerzen habe, bekam sie ein Medikament in die Hand gedrückt.

Endloses Warten auf den Arzt

Weitere eineinhalb Stunden später: Die Eltern Dimaggio haben die Nase voll, wollen das Krankenhaus verlassen und am nächsten Morgen wiederkommen. Clara ist erschöpft, das Bein tut weh, sie hat seit acht Stunden nichts gegessen. „Nein warten Sie, Sie sind gleich an der Reihe“ – mit diesen Worten habe ein Mitarbeiter sie zum Bleiben bewogen, berichtet der Vater.

Clara wurde schließlich doch noch behandelt im AKH.
Clara wurde schließlich doch noch behandelt im AKH. © Privat | Dimaggio

Es dauerte eine weitere Stunde, bis Clara und ihre Eltern endlich ins Behandlungszimmer gerufen wurden. Doch die Hoffnung, dass das Bein jetzt untersucht würde, erfüllte sich nicht. Kein Arzt erschien. Erst als die Eltern 50 Minuten später erneut beschlossen, nach Hause zu fahren, war plötzlich ein Chirurg zur Stelle.

Er schickte Clara zum Röntgen, bald darauf stand fest, dass das Schienbein des Mädchens gebrochen war: eine Tibiaschaftfraktur, wie sie relativ häufig bei Kindern und nach Unfällen vorkommt. „Das Bein wurde gegipst, Gott sei Dank war keine OP notwendig“, berichtet Sandro Dimaggio. Um 1.50 Uhr war die Familie wieder zu Hause in Dahl.

Gips muss getauscht werden

Doch am nächsten Morgen musste Clara erneut ins Krankenhaus. An der Ferse hatte sich eine schmerzhafte Blase gebildet, offenbar war zu eng gegipst worden. Also runter mit dem Gips und ein neuer angelegt. „Das war schon ein Martyrium für Clara“, sagt der Vater: „Anschließend hat sie 13 Stunden am Stück geschlafen.“

Das Röntgenbid zeigt die Fraktur im Schienbein.
Das Röntgenbid zeigt die Fraktur im Schienbein. © Privat | Dimaggio

Dass der Gips getauscht werden musste, ist für ihn jedoch zweitrangig. So etwas könne passieren. Dass ein weinendes, an starken Schmerzen leidendes Kind jedoch fünf Stunden und länger warten müsse, bis sich im Krankenhaus endlich jemand seiner annehme, das bringt den Familienvater auf die Palme: „Und ich kann dem medizinischen Personal ja nicht einmal absprechen, nicht bemüht gewesen zu sein. Aber sie waren alle voll im Stress und haben die Außenwelt gar nicht mehr wahrgenommen.“

Das Manchester-Triage-System

Das Allgemeine Krankenhaus bestätigt, dass es am vergangenen Sonntag zu „längeren Wartezeiten“ in der Notaufnahme gekommen sei. Der Grund: „Viele Notfallpatienten und eine Notoperation.“

Die chirurgische bzw. personelle Besetzung der Zentralen Notaufnahme entspreche dabei jedoch dem Durchschnitt, betont AKH-Sprecherin Sarah Leising, ohne detailliert darauf einzugehen, wie die Notaufnahme personell aufgestellt ist. Die Versorgung von Notfällen sei aber auch weiterhin sichergestellt: „Längere Wartezeiten können aus den genannten Gründen allerdings immer wieder vorkommen.“

Grundsätzlich erfolge die Ersteinschätzung in der Zentralen Notaufnahme des AKH nach dem Manchester-Triage-System. Dieses sei international anerkannt und priorisiere Patientinnen und Patienten nach der Schwere ihrer Erkrankung statt nach ihrem Eintreffen: „Lebensbedrohliche Notfälle, bei denen jede Minute zählt, haben dabei stets Vorrang, sodass mitunter längere Wartezeiten für Patientinnen und Patienten entstehen können, deren Behandlungspriorität nicht hoch ist“, so die AKH-Sprecherin: „Solche Notfälle erreichen uns zumeist per Rettungsdienst über unsere Liegendanfahrt, welche vom Wartebereich aus nicht einzusehen ist.“

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Für Sandro Dimaggio und seine Frau ist klar: Eine solche Situation, wie sie sie im AKH erlebt haben, sei für alle nachteilig, für Pfleger, Ärzte und Patienten: „Wir haben uns jedenfalls nicht gut aufgehoben gefühlt.“ Das Fazit des Vaters: „Das medizinische System ist ausgebrannt und geht am Stock.“