Hagen. Die Silvester-Ereignisse in Hagen müssen Konsequenzen haben. Beschwichtigungen allein greifen zu kurz, meint Kommentator Martin Weiske.
Geht es Ihnen auch so: Irgendwie liegen mir die Silvester-Ereignisse weiterhin schwer im Magen. Denn es steht zu befürchten, dass die dort erlebten Respektlosigkeiten und Attacken nur die Spitze eines Eisbergs sind, der die Harmonie einer Stadtgesellschaft mittelfristig zu zerquetschen droht.
Natürlich war Altenhagen nicht Berlin. Aber es geistern inzwischen auch reichlich Filmchen aus anderen Hagener Stadtteilen durch die sozialen Netzwerke, bei denen Chaoten im Taumel des Jahreswechsels Haltestellenhäuschen mit schweren Böllern erzittern lassen, mit Handfeuerwaffen durch Wohnquartiere ballern oder mit Feuerwerksraketen auf vorbeifahrende Autos zielen. Prahlen bei TikTok – das ist die bizarre Währung, in der einige Typen den Grad der Anerkennung in ihrer Community definieren.
Wahrheit in Aktendeckeln
Zu diesen ungezählten Fällen wird es kaum die dazugehörige Anzahl an Anzeigen bei den Behörden geben. Sie werden in keiner Polizeistatistik auftauchen und somit hat es – so bislang die Lesart – das alles auch gar nicht gegeben. Ohne Aktendeckel keine Wahrnehmung und somit auch keine Realität.
Was in den nächsten Tagen folgt, ist erwartbar: Es wird eingeordnet, relativiert – Pardon: das heißt ja objektiviert – und sich im Zuge der Datenlage letztlich herausstellen, dass nur einige wenige Hirnlose für kurze Momente den wilden Mob gemimt haben. Wichtig ist, dass am Ende das Signal in die Republik und an den Innenminister geht, dass es ansonsten auf Hagens Straßen keine Sicherheitsprobleme und Angsträume gebe. Die von den Ordnungskräften gerne als Trugschluss zitierte „Macht der Bilder“ dürfe eben nicht dazu dienen, in eine emotional überfrachtete Spirale der Sorgen-Hysterie zu verfallen.
Aber so simpel ist es leider nicht. Es macht keinen Sinn, sich länger in die Taschen zu lügen, dass durch polizeiliche Härte, konsequenteres Bestrafen in Kombination mit Streetworker-Ansprachen und Stadtteil-Sozialarbeit diesen Exzessen beizukommen sei. Diese Gruppen lassen sich mit altgedienten Zuckerbrot-und-Peitsche-Instrumentarien aus dem Handwerkskasten der Integrationsaltvorderen weder erreichen noch beeindrucken.
Subjektiv und objektiv
Der Berg an Aufgaben ist gewaltig, um das Miteinander in dieser Stadt wieder gelingender zu gestalten. Der eindimensionale Blick auf die Statistik greift da viel zu kurz – auch das Empfinden der Bürger muss endlich als Seismograph anerkannt statt stets als „subjektiv“ abgekanzelt zu werden. Die Zahlen der Polizei spiegeln angesichts des resignativen Anzeigeverhaltens der Menschen inzwischen ebenso wenig ein objektives Abbild dessen wider, was tatsächlich in dieser Stadt abgeht.
Hagen muss sich bei dem Thema endlich ehrlich machen und daraus Handlungskonzepte ableiten – gerne auch mit externer Unterstützung. Selbstaufgabe ist keine Option.