Hagen. Die Volme durchfließt die Innenstadt von Hagen. Ein Spaziergang voller Ratlosigkeit an einem Fluss, aus dem niemand etwas macht.
Beginnen wir mit diesem schönen Bild. Mit einem Bild, das nicht beispielhaft ist und das nur einen winzig kleinen Ausschnitt zeigt. Mit einem Bild, das einen gewissen Vorbildcharakter haben könnte, weil es anreißt, dass man das Leben am Fluss in Hagen zumindest in kleinen Zügen genießen könnte.
Das Bild entsteht direkt an der nagelneuen Simon-Cohen-Brücke (einst Marktbrücke), die Anfang Juli wieder für den Verkehr freigegeben wurde. Und wenn man mal außer acht lässt, dass über diese Hauptachse der Verkehr wie in einer Endlosschleife rauscht, so ist auch das liebliche Plätschern der dieser Tage so friedlichen Volme zu hören.
Es rauscht der Fluss
Menschen haben es sich auf der Terrasse des griechischen Mikado-Grills bequem gemacht. Sie reden, sie speisen, sie blicken auf jenen Fluss, der die Stadt vom südlichsten Zipfel bis in den Norden einmal durchfließt, bevor er einfach verschwindet und in die Ruhr mündet. Sie genießen die Zeit an diesem Mittag, sie entspannen vielleicht vom Stress im Büro, spüren die kühle Luft, die sich am Fluss ausbreitet. Es rauscht eben nicht nur der Verkehr, sondern auch der Fluss, der nach diesem nicht enden wollenden Hitzesommer ohne jeden Regentropfen nur noch ein schmales, flaches Flüsschen ist.
Dieses schöne Bild, dieser Mikrokosmos von Mikado – er findet sich tatsächlich nur an dieser einen Stelle. Ansonsten bestimmen Tristesse und Ratlosigkeit einen durch und durch ernüchternden Spaziergang entlang der Volme in der Hagener Innenstadt: von der Springe bis zum leergezogenen Hochhaus der Agentur für Arbeit. Von dem nach dem Jahrhunderthochwasser im Juli 2021 noch niemand weiß, ob es an jenem Ort bleiben kann.
Keine Lehren aus der Jahrhundertflut
Veränderung – und sei sie auch durch eine Naturkatastrophe erzwungen – bietet immer auch eine Chance auf etwas Besseres. Die Flut, die vor etwas mehr als einem Jahr die Volme dem Amazonas gleich über die Ufer treten ließ, hat sogar vieles verändert. In den Köpfen der Menschen, aber auch in den Strukturen am Fluss. Wenngleich sich nicht immer der Eindruck aufdrängt, als habe man in Hagen Lehren aus dem Desaster gezogen.
Die Volme ist in der Hagener Innenstadtin ein abgrundtief hässliches Bett gepresst. Sie sucht sich nicht ihren Weg. Ihr Weg ist seit Jahrzehnten von Menschenhand gesucht und gefunden worden. Was die Flutkatastrophe letztlich beschleunigt hat. Es bräuchte eine Rückbesinnung.
Müllflut wächst von Tag zu Tag
Die Wasserflut ist gegangen. Die Müllflut wächst von Tag zu Tag. Und irgendwie scheint genau das niemanden in offizieller Funktion ernsthaft zu interessieren. Wo ist der Hagener Entsorgungsbetrieb, wo ist der Wirtschaftsbetrieb? Was tut die Stadt? Nicht genug, vielleicht auch nichts. Anders ist dieses Trauerspiel nicht zu erklären.
Wer am Rathaus, das nach der Volme benannt ist, die Treppenanlage hinab steigt, blickt auf den Stufen auf allerlei Dosen, Tüten und Verpackungsreste. Sehen all die hohen Herren, die in der Nachbarschaft residieren, denn dieses Paradies für Ratten gar nicht?
Aufgeräumt nur für zwei Feste
Wer dann den kühnen Selbstversuch nicht scheut und den einst aufwändig angelegten Weg über dicke Findlinge entlang des Ufers stolpert, watet förmlich durch Abfallberge. Vorzugsweise goldene Dosen eines Günstig-Energydrink-Anbieters, auf die an Kiosken kein Pfand erhoben werden muss, flankieren den Weg.
Dass man diesen „Weg“ überhaupt begehen kann, ist vermutlich einzig der Tatsache zu verdanken, dass zum Weinfest und zum Picknick „Ganz in Weiß“ vor wenigen Wochen hier mal aufgeräumt und der dichte Dschungel grob zurückgeschnitten wurde. Die Brücke Badstraße wirkt von unten trotzdem wie eine Gruselgrotte. Kabelstränge hängen hinab.
Die Bank an der Müllhalde
Und wer sich bis von hier zur nächsten Treppe wagt, um am Ende des Parks hinter dem Sparkassen-Karree wieder aufzusteigen, erlebt eigentlich nichts Neues. Dass hier auf einem breiten Podest eine Bank zwischen Scherben und Unrat steht, spottet jeder Beschreibung. Wer bitte mag sich auf einer Müllhalde niederlassen?
Ein ernüchterter Reporter und ein Fotograf, der kaum fassen kann, was er da festhält, jedenfalls nicht. Also ziehen wir weiter und erleiden den nächsten Tiefschlag. Auf einem kleinen Gelände zwischen Büschen und Bäumen unterhalb des Eingang der Kaufmannsschule I türmt sich eine wahre Müllhalde auf. Der Mensch, die Krone der Schöpfung, dieses Schwein – an dieser Stelle tut der Spruch den Tieren wahrlich Unrecht.
Die Katastrophe vor der Schule
Nun ist es nicht so, als gäbe es in der Nähe keine Müllbehältnisse. Also bleibt die Frage: Was treibt junge Menschen an? Will hier niemand Vorbild sein, für die Umwelt kämpfen, unseren Planeten retten? Und wenn: Wie soll jemals das klappen, wenn dieser Teil der Jugend hier schon im Kleinen derart kläglich versagt.
Weiter Richtung Arbeitsamts-Turm: Die Mauer am Fluss ist nach der Flut noch frisch gemauert. Eine Mauer aber bleibt eine Mauer. Einen Fluss erleben, ihn mit allen Sinnen erfahren – diese Vision endet hier. An einer Mauer. Einer Mauer, die einfach metertief hinab führt. Vielleicht hält sie beim nächsten Jahrhundert-Hochwasser. Aber selbst wenn sie nicht umfällt – sie wird nicht verhindern, dass sich die Volme erneut ausdehnt. So was kommt, wenn einem an Flüssen nicht mehr als Mauern einfallen.
Ein Strand für die Drogenszene
Dass der Weg am Fluss nun ausgerechnet auf diesem Abschnitt ein schöner wäre, einer, den es sich lohnt, abseits des Autoverkehrs einmal entlang zu flanieren, wird niemand behaupten können. Also zieht es uns an einem Durchgang unterhalb der Hochbrücke noch einmal an den vergessenen Fluss, den offenbar doch nicht alle vergessen haben.
Wir landen an einen Strand, an dem die Hagener Drogenszene sich mit Spritzen aus dem tristen Alltag zu verabschieden scheint. Ein trauriger, ein deprimierender Platz, an dem sich das blanke Elend eines Spaziergangs noch einmal kumuliert. Nadeln und Kanülen liegen achtlos umher. Selbst wenn sie hier jemand einsammeln würde – Ratlosigkeit bliebe trotzdem zurück.
Die Volme, sie fließt einfach vorbei. Es plätschert. Und der Fluss hinterlässt eine große Leere.