Hagen. Ein 17-Jähriger soll einen Anschlag auf die Hagener Synagoge geplant haben. Ein Chat-Protokoll offenbart jetzt Details über den tödlichen Plan.

  • Ein heute 17-Jähriger soll Anschlag auf Synagoge in Hagen geplant haben
  • Generalstaatsanwaltschaft legt Anklageschrift vor
  • Strafprozess beginnt voraussichtlich Ende Februar

Der beabsichtigte Terror-Akt in Hagen: knapp vier Monate nach dem geplanten Bombenanschlag auf die Synagoge legt die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf nun ihre Anklageschrift vor. Die Vorwürfe lauten auf „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Umfangreiche Ermittlungen zeichnen das Bild eines 16-jährigen Schülers, der sich im Sommer innerhalb von nur wenigen Wochen mehr und mehr radikalisiert hat und zum Schluss offenbar sogar bereit war, sich selbst mit in die Luft zu sprengen.

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Amtsgericht in Hagen überfordert

Seit genau 123 Tagen befindet sich der Syrer, der als „Jugendlicher mit Verantwortungsreife“ eingestuft wird, in Untersuchungshaft. Seinen 17. Geburtstag verbrachte er in einer Einzelzelle der JVA Iserlohn. Nun wartet er auf seinen Strafprozess, der voraussichtlich erst Ende Februar vor dem Landgericht starten wird. Ursprünglich sollte das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht eröffnet werden. Doch die zuständige Amtsrichterin empfand sich aufgrund der Fülle des angesammelten Beweismaterials, dass das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, die Staatsschutzabteilung der Polizei Dortmund und die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf zusammengetragen hatten, allein als überfordert.

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Prozess hinter verschlossenen Türen

Verteidiger: Mandant hatte keinen Anschlag geplant

Der Verteidiger des 17-jährigen Schülers aus Hagen, Ihsan Tanyolu (Dahl): „Mein Mandant hat bisher ausdrücklich geäußert, dass er nie einen Anschlag vorhatte. Das werden wir in der Hauptverhandlung darlegen und präzisieren.“

Ihsan Tanyolu weiter: „Dass die Generalstaatsanwaltschaft den Fall zunächst beim Jugendschöffengericht angeklagt hat, wo die Höchststrafe dafür vier Jahre beträgt, zeigt, das sie selbst von keinem hohen Strafmaß ausgeht.“

Sie gab die Aktenberge, immerhin zwei große Umzugskartons voll Dokumente, eine Etage weiter nach oben. Der Prozess wird nunmehr vor der großen Jugendstrafkammer des Landgerichts stattfinden: mit drei Berufsrichtern, darunter der Vorsitzende Jörg Weber-Schmitz. Und es wird, wie bei allen Angeklagten, die zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt waren, hinter verschlossen Türen verhandelt werden. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Bisher hat der angeklagte junge Mann die Aussage verweigert, doch im Rahmen des Strafverfahrens wird er wahrscheinlich sein Schweigen brechen. Und da dürfte es, nach alledem, was ihm die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen vorwirft, sehr viel zu erklären geben.

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Kontakt zum „Vater des Krieges“

Die Wohnung, in der der vermeintliche Attentäter lebt, wird durchsucht. Vater und Bruder des mutmaßlichen Täters werden abgeführt.
Die Wohnung, in der der vermeintliche Attentäter lebt, wird durchsucht. Vater und Bruder des mutmaßlichen Täters werden abgeführt. © Alex Talash | Alex Talash

Das wird ihm zur Last gelegt: Der Schüler hätte spätestens am 17. August vergangenen Jahres den Entschluss gefasst, mit einem selbstgebauten Sprengsatz einen Anschlag auf die Synagoge an der Potthoffstraße zu verüben und eine unbestimmte Anzahl von Menschen zu töten. Am Mittag dieses Tages sei er mit einem Handy um 13.36 Uhr einem arabischsprachigen Gruppenchat beigetreten, der sich auf deutsch „Dialogforum“ nannte. Darin befanden sich 150 Teilnehmer und informierten sich über Kampferfolge des „Islamischen Staates“ (IS). Der Jugendliche nahm dort Kontakt zu einem gewissen Abu Harb (“Vater des Krieges“) auf: „Kannst Du mir auf privat beibringen, wie ich eine Bombe herstelle?“

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Hagener Synagoge genau ausgekundschaftet

In dem nachfolgenden Privatchat, der über eine Stunde ging, tauschten sich beide über die Einzelheiten aus: „Das Ziel ist klar“, so der damals 16-Jährige, „eine jüdische Synagoge.“ Über das Anschlagsziel, das Hagener Gemeindehaus, hatte sich der Schüler bereits im Vorfeld genauestens informiert: „Höhe etwa zehn Meter, Anzahl der Wächter: zwei. Im vorderen Bereich gibt es viele Überwachungskameras.“ Und: „Da sind Häuser nebenan, aber unbewohnt.“ Der Angeklagte verspürte einen regelrechten Tatendrang: „Lass es uns sprengen, die Anzahl der Räume spielt keine Rolle.“ Doch Abu Harb warnte: „Falls es ungenau gesprengt wird, könnte es sein, dass keine Person ums Leben kommt. Ich möchte so viele Leute wie möglich töten.“

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Anfälliger Bereich der Synagoge

Der Jugendliche, der offenbar bereits ein Foto seines vorgesehenen Zielobjekts verschickt hatte, antwortete: „So Gott will.“ Auf der übersandten Luftbildaufnahme der Hagener Synagoge, auf der an einer bestimmten Stelle rote Markierungen angebracht worden waren, erkannten die Ermittler später tatsächlich vorhandene Sicherheitslücken.

Stille Kundgebung am 23. September von OB, Rat und Verwaltung vor der Synagoge:  Im Vordergrund spricht der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Hagay Feldheim, zu den Besuchern.
Stille Kundgebung am 23. September von OB, Rat und Verwaltung vor der Synagoge: Im Vordergrund spricht der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Hagay Feldheim, zu den Besuchern. © Michael Kleinrensing

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Der Bau der Sprengvorrichtung

Der hintere, auf dem Foto rot markierte Bereich, schwärmte Abu Harb, „das ist der beste Ort Bruder, viele werden sterben und Autos werden brennen, so Gott will.“ In einem weiteren privaten Chat, in einer ZIP-Datei mit IS-Symboliken, Fotos und detaillierten Anleitungen, teilte Abu Harb dem Schüler ganz genau mit, wie eine funktionsfähige Sprengvorrichtung zu bauen sei. Er wies ihn an, drei Kilo einer bestimmten Chemikalie zu besorgen: „Du kannst es im Düngemittelladen kaufen. Falls der Verkäufer dich fragt, sag ihm, du hast einen Garten und das ist für das Wachstum der Pflanzen.“

In einem anderen Geschäft sollte der 16-Jährige ein Kilo Schwefel beschaffen: „Falls der Verkäufer dich fragt, wofür, sag’ ihm, dass Du Insekten im Garten hast.“ Zwei Kilo Alufolie-Rollen würden zusätzlich benötigt. Diese müsste er mit einer Feile oder Schleifmaschine „zu Mehl machen“. Dazu „etwas von Böllern oder Feuerwerk, ein altes Handy, Draht und Nägel oder anderes splitterndes Material“ - so die Anweisungen von Abu Harb.

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Anschlag an jüdischem Feiertag

Diese Anleitung zum Bombenbau sei „grundsätzlich geeignet gewesen, eine funktionsfähige Sprengvorrichtung herzustellen, sie hätte für den beabsichtigten Anschlag nur noch elektrisch gezündet werden müssen“, befand ein Sachverständiger in seinem Gutachten. Der Jugendliche versprach Abu Harb am 17. August: „Ich werde jetzt Geld sammeln und wir warten auf einen Feiertag von ihnen.“ Zwölf Tage lang war dann Funkstille. Am 29. August, kurz vor 22 Uhr abends, ein erneuter Chat. Der 16-Jährige fragt: „Kann ich einen Sprengstoffgürtel selbst bauen? Kannst du mir das beibringen? Oder ist es schwierig?“

Ein Wagen der Polizei bringt dne jungen Syrer zum Haftrichter.
Ein Wagen der Polizei bringt dne jungen Syrer zum Haftrichter. © Alex Talash

554 Videodateien auf Rechner

Auf dem Samsung-Handy des Schülers können die Ermittler später zahlreiche Audiodateien mit IS-Propaganda sicherstellen, auf denen der Mord an Anders- und Nichtgläubigen gerechtfertigt und islamistischen Terror-Predigern gehuldigt wird. Anhänger des „Islamischen Staates“ rufen zum Krieg gegen Juden, Christen und Atheisten auf und loben IS-Attentate in Europa.

Auf dem Mobiltelefon konnten zudem 554 Videodateien aufgefunden werden, die grausame Folter und Hinrichtungsdarstellungen zeigen. Im Zeitraum von Juni 2021 bis zu seiner Festnahme am 16. September 2021 hatte sich der Schüler dermaßen radikalisiert, dass er pro Tag durchschnittlich mehr als 90 solcher Videos anguckte. Gegenüber einem Freund schwärmte er von seinem Kontakt zu Abu Harb: „Bei Allah. Er hat es mir beigebracht, eine Bombe zu bauen, die ein ganzes Haus zerstören kann. Mit einem Fernzünder. Ich bin bereit.“