Wehringhausen. Anwohner sind sauer: Lärm bis in die Nacht, Müll, eine dominierende Trinker- und Drogenszene – die Lage in Hagen-Wehringhausen bleibt explosiv.
Man hatte sich das eigentlich so schön vorgestellt. Der Durchgangsverkehr sollte nicht mehr über die Wehringhauser Straße in Hagen rollen. Hinter den Häusern sollten besondere Spielflächen für Jugendliche entstehen. Dazu ein Park, in dem Familien verweilen und Kinder spielen können.
Direkt gegenüber der neu gestaltete Bodelschwinghplatz, der an die Glanzzeiten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erinnern sollte. Viel hat sich in den letzten Jahren im unteren Wehringhausen in der Tat getan. Von Glanzzeiten spricht aber niemand. Denn: Besser geworden ist die Situation nicht.
Die Beschwerden Ur-Wehringhauser
Das zumindest sagen drei Männer, die bereits seit Jahrzehnten vor Ort leben. „Auf den ersten Blick mutet es paradox an – aber die Millioneninvestitionen, die hier in den letzten Jahren getätigt worden sind, haben nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der Situation geführt“, sagt Christoph Spieker, dem ein Mehrfamilienhaus gegenüber dem Bodelschwinghplatz gehört.
Dabei hatten Spieker und seine Nachbarn, die allesamt seit Jahrzehnten an der Wehringhauser Straße leben, so sehr auf bessere Zeiten gehofft. „Als ich zwei Jahre alt war, bin ich mit meinem Eltern hierher gezogen“, sagt Helmut Wallenstein. Heute ist er 77 Jahre alt. „Aber so schlimm, wie es derzeit ist, habe ich es noch nie empfunden. Gucken Sie sich doch hier mal um – überall Müll, Scherben fliegen umher. Wenn ich abends bei geöffnetem Fenster vor dem Fernseher sitze, verstehe ich kein Wort. Gegenüber fahren noch um 1 Uhr morgens Kinder mit ihren Bobbycars. Das Gegröle der Trinker, die achtlos ihre Flaschen zerdeppern, tut sein Übriges.“
Explosive Mischung am Bodelschwinghplatz
Es ist eine explosive Mischung, die das einst so stolze Quartier zu einem regelrechten Brennpunkt macht, in dem Streetworker, die Ordnungsbehörde und die Polizei vergeblich versuchen, die Lage in den Griff zu bekommen. „Die Zuwanderer aus Südosteuropa, die sich hier angesiedelt haben, sind nur ein Aspekt“, sagt Spieker, der es auch unfair findet, alle gleich über einen Kamm zu scheren. „Aber es gibt einige, die sich hier nicht an Regeln halten.“ Hinzu kämen Drogenabhängige, die sich in einer Praxis regelmäßig mit Methadon versorgen würden und eine Trinkerszene, die den neu angelegten Park zwischen Umgehung und Wehringhauser Straße derart dominiere, dass sich keine Familien dorthin trauen würden.
„Die Methadon-Patienten bekommen in der Regel morgens und früh abends eine Ration und halten sich dann tagsüber hier auf“, sagt Axel Lange, „sie beherrschen die Szenerie, sie sind oft unerträglich laut, sie müllen alles zu. Und obendrein wird hier gedealt.“
Das sagen Stadt Hagen und die Polizei
Um die Probleme weiß man auch bei der Stadt Hagen. Immer wieder finden in dem Bereich Schwerpunktkontrollen statt – teilweise sogar zweimal am Tag. Zuletzt waren die Kräfte am 10. Juni im Einsatz.
„Neben dem Ordnungsamt der Stadt Hagen haben sich in enger Zusammenarbeit die Polizei, die Hagener Verkehrsgesellschaft, das Quartiersmanagement des Fachbereiches Jugend und Soziales sowie die Wohnungsaufsicht der Stadt Hagen an den Kontrollen beteiligt“, so Stadtsprecher Michael Kaub. Anlass zu dieser Kontrolle seien Vorfälle, bei denen es in diesen Bereichen zu Störungen des Busverkehrs gekommen war.
Auch die Polizei sei neben konkreten Einsätzen immer wieder im Rahmen der normalen Streifenfahrten vor Ort. „Das taucht in keiner Statistik auf“, sagt Sprecher Tino Schäfer, der von einem niederschwelligen Einschreiteverhalten spricht und unterstreicht, dass man hier (neben dem Bereich um den Hauptbahnhof und Altenhagen) durchaus einen Schwerpunkt setze, der sich auch in den Stundenkontingenten der Kollegen widerspiegele.
Hagener Straßenbahn lässt Busse ausweichen
Denn: die Hagener Straßenbahn AG hatte zwischenzeitlich Konsequenzen gezogen. Weil Kinder immer wieder Einkaufswagen vor fahrende Busse geschoben hatten bzw. achtlos auf die Straße gelaufen waren, hatte das Verkehrsunternehmen zeitweise die Linienbusse Mitte Mai über eine Ausweichroute um das Wohnquartier herum geschickt. Fahrzeuge waren sogar mit Steinen beworfen worden. Durch Vollbremsungen sah das Unternehmen seine Fahrgäste gefährdet.
Um die Situation weiß auch Hans-Joachim Bihs, Geschäftsführer der Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft (HEG), die in dem Quartier bereits zahlreiche Schrottimmobilien aufgekauft bzw. ersteigert hat und durch Sanierungen der eigentlich prächtigen Altbauten aus der Gründerzeit neue Mieter anlocken will. „Wir tun in diesem Bereich unser Bestes“, sagt Bihs, „aber wahr ist auch: Wir sind noch lange nicht so weit, wie wir uns das wünschen würden.“
Ankäufe kaum noch möglich
Weil die Immobilienpreise auf einem überhitzten Markt gerade verrückt spielen, konzentriert sich die HEG auf die Sanierung von Gebäuden, die sie bereits im Bestand hat. „Coronabedingt konnten wir aber verschiedene Gewerke nicht parallel in einem Haus arbeiten lassen“, sagt Bihs, „das hat den Baufortschritt verlangsamt.“ Immerhin: Man werde jetzt einige Häuser angehen, die nicht direkt an der Straße, sondern in zweiter Reihe stehen. „Wenn wir da voran kommen, kann es gelingen, das Mieter-Niveau weiter zu heben.“
Gleichwohl weiß auch Bihs: Bis all diese Maßnahmen fruchten, bis sich Strukturen ändern, dauert es. „In der Zwischenzeit reicht es nicht aus, nur mit Sozialarbeitern zu agieren“, sagt Bihs, „damit allein kriegt man die Probleme nicht in den Griff.“
Darum weiß auch die Stadt Hagen. „In diesem Bereich sind wir nur sporadisch unterwegs“, betont Stadtsprecher Michael Kaup, „wir wissen um die Probleme, sind mit Sozialarbeitern und Ordnungskräften täglich vor Ort.“ Allerdings habe auch hier Corona Grenzen gesetzt. Nicht nur, was das Personal betreffe, sondern auch in Bezug auf die Möglichkeiten. „Eine direkte Ansprache, die am effektivsten ist, war nicht immer möglich“, so Kaup. Das habe sich nun wieder geändert. Hinzu komme, dass man durch das neue Wohnungsgesetz, das ab dem 1. Juli greife, auch andere Möglichkeiten habe, Mieter und nicht nur Vermieter in die Verantwortung zu nehmen.