Hagen/Dortmund/Schwerte. Nach der Rockerrazzia in mehreren Städten wird klar: Ermittlern in Hagen ist wohl ein Schlag gegen die Bandidos-Führungsebene in NRW gelungen.

240 Beamte im Einsatz, ein Räumpanzer walzt ein Tor nieder und sieben Männer werden in mehreren Städten festgenommen: Mit den von Hagen aus gesteuerten großen Rocker-Razzien in Nordrhein-Westfalen am Dienstagmorgen ist den Ermittlern offensichtlich ein Schlag gegen die Führungsebene der Bandidos in größeren Teilen West-Europas gelungen.

Zu den Festgenommenen gehören nach Informationen der WESTFALENPOST Männer, die zum Teil seit Jahren im so genannten Verbund „Central West“, der Westdeutschland, aber auch etwa Teile der Beneluxländer umfasst, das Sagen haben.

Vize-Präsident der Bandidos soll unter den Festgenommen sein

Unter anderem auch der Vize-Präsident, ein Bandidos-Mitglied aus Gelsenkirchen, das vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit auf Fotos mit dem damaligen Hells-Angels-Chef Frank Hanebuth zu sehen war, als die beiden tief verfeindeten Rocker-Gruppen angeblich ein Friedensabkommen geschlossen hatten. Am Dienstagnachmittag wurde er zwar – ebenso wie drei weitere Verdächtige – zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt.

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Die Ermittler in Hagen sind sich dennoch sicher: Bei den Festgenommenen handelt es sich um Bandidos-Mitglieder, die aktiv daran teilgehabt haben, dass die Bandidos zumindest zum Teil als kriminelle Vereinigung zu werten sind. Insbesondere um illegale Waffen soll es gehen, die unter anderem auf Anordnung der Beschuldigten gekauft und unter den Rockern verteilt worden sein sollen.

Akribische Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft

Doch warum hat die große Aktion des NRW-Sicherheitsapparats in Hagen ihren Ursprung? Dr. Gerhard Pauli, der als Oberstaatsanwalt für die Organisierte Kriminalität zuständig ist, gibt sich sehr zurückhaltend. Er sagt lediglich: „Das ist das Ergebnis präziser und akribischer Ermittlungsarbeit des zuständigen Kommissariats für Organisierte Kriminalität beim Polizeipräsidium Hagen und meiner Kollegen.“

Zugriffe am frühen Morgen im Rockermilieu – in gleich sieben NRW Städten schlugen die Ermittler gleichzeitig zu., wie hier in Dortmund-Holzen.
Zugriffe am frühen Morgen im Rockermilieu – in gleich sieben NRW Städten schlugen die Ermittler gleichzeitig zu., wie hier in Dortmund-Holzen. © Alex Talash | Alex Talash

Was das bedeutet, zeigen Recherchen der WESTFALENPOST. Demnach steht der eigentlich zunächst lokal begrenzt erscheinende „Hagener Rockerkrieg“ am Anfang der Ermittlungen. Eine Gruppe von Bandidos-Mitgliedern versucht seit dem Jahr 2017, den in Hagen seit mehr als 45 Jahren vorherrschenden Freeway Riders, die dort auch ihren Hauptsitz haben, ihre Vormachtstellung streitig zu machen. Zum Teil waren diese Bandidos zuvor bei den Freeway Riders Mitglied.

Blutige Auseinandersetzungen auf offener Straße in Hagen

In der Folge war es insbesondere im Jahr 2018 zu teils blutigen Auseinandersetzungen auf offener Straße in Hagen gekommen. Ein Bandidos-Mitglied schoss auf einer belebten vierspurigen Straße auf ein Auto, in dem Freeway Riders saßen. Zu drei Jahren Haft wurde er dafür verurteilt, die Strafe sitzt er derzeit ab. Aber er wird auch noch verdächtigt, an einer weiteren Schuss-Attacke in der Hagener Innenstadt auf die Freeway Riders beteiligt gewesen zu sein. Die Ermittlungen wegen versuchten Mordes laufen noch.

Und wegen versuchten Mordes muss sich auch ein Freeway-Riders-Mitglied – zuvor selbstständiger Kfz-Gutachter, der auch bei Gericht als Sachverständiger aufgetreten war – seit Monaten vor dem Landgericht in Hagen verantworten. Er soll ein junges Bandidos-Mitglied auf offener Straße niedergeschossen haben. Und es gab eine weitere lebensgefährliche Messer-Attacke auf einen Bandido auf einem Tankstellen-Gelände. Auch das am helllichten Tage.

Tief in die Strukturen der Bandidos eingearbeitet

All diese Straftaten haben Polizei und Staatsanwaltschaft abgearbeitet, teilweise sind sie schon vor Gericht gelandet. Doch bei den Ermittlungen haben sich die Hagener Ermittler immer tiefer in Strukturen der Rockergruppen einarbeiten können. Bei den Bandidos sei dadurch klar geworden, so ist aus Ermittlerkreisen zu hören, wer genau welche Anweisungen gegeben habe. Man gehe davon aus, dass gewisse Taten direkt in Auftrag gegeben worden seien. Dass auch Mitglieder zwischen verschiedenen Chaptern hin- und hergeschoben worden seien.

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Diese mittlere Führungsebene, die nun im Fokus der Ermittler steht, soll in dem Verbund Central West, der zwischen der Europa-Organisation und den einzelnen lokalen Chaptern die eigentliche regionale Macht-Basis ist, dank des absolut hierarchischen Aufbaus der Bandidos das Sagen gehabt haben. Insbesondere Verstöße gegen das Waffengesetz soll sie angeordnet haben. Die Bandidos sollen immer weiter hochgerüstet worden sein.

Auch Verbindungen zu dem Umarex-Prozess in Arnsberg

Die Ermittlungen hatten schon unter anderem dazu geführt, dass der illegale Waffenhandel eines ehemaligen Mitarbeiters des Arnsberger Waffen-Herstellers Umarex aufgeflogen war. Der hatte Teile aus dem Unternehmen geschmuggelt, zuhause zusammen gebaut und weiterverkauft. Dadurch waren reichlich Waffen in die Rockerszene gelangt, ein Bandidos-Mitglied sitzt daher derzeit auch auf der Anklagebank im Landgericht Arnsberg. In Kürze soll ein Urteil gegen ihn verkündet werden.

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Doch diese massive Bewaffnung der Rockergruppierungen (auch die Freeway Riders hatten ein großes Waffenarsenal, das bei eine Razzia im Dezember 2018 zu Tage gekommen war), war kein Selbstzweck. Sondern vielmehr ein Machtmittel für ein größeres Ziel. „Es geht immer darum, die Vorherrschaft in einem Gebiet zu erreichen, das Monopol“, so ein erfahrener Ermittler. „Dann ist der Weg frei für lukrative Geschäfte, etwa im Türsteher-Gewerbe, beim Drogenhandel oder bei der Prostitution.“

Vier Männer kommen wieder auf freien Fuß

Ob die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Hagen Bestand haben werden, muss sich noch zeigen. Vier der am Morgen Festgenommenen sind inzwischen wieder auf freiem Fuß – zwei weitere Männer wanderten aber tatsächlich in Untersuchungshaft. Ein siebter Verdächtiger wurde am Nachmittag festgenommen und wird noch verhört.

Doch schon jetzt, so die Einschätzung aus Ermittlerkreisen, könne man die Aktion als sehr entscheidend im Kampf gegen die Rocker-Kriminalität ansehen: Man habe Erkenntnisse über die Rocker-Strukturen gewonnen, die auch für die Ermittlungen in anderen Städten von entscheidender Bedeutung sein könnten.

So lief am Dienstagmorgen der Einsatz

Am Dienstagmorgen war der Großeinsatz im Rockermilieu gestartet : Am Morgen haben Kriminalbeamte um 6 Uhr zeitgleich acht Wohnungen in Wuppertal, Schwerte, Dortmund, Gelsenkirchen, Schermbeck, Herne und Castrop-Rauxel durchsucht. An einem Objekt in Dortmund öffneten die Einsatzkräfte ein Tor mit einem Spezialfahrzeug mit Räumschild.

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Sechs Personen wurden zunächst festgenommen worden, ein siebter wurde am Nachmittag festgenommen. Sie alle gehören der Führungsebene der Bandidos. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Gegen zwei der Festgenommenen bestand bereits ein Haftbefehl. Die Beamten transportierten alle Festgenommenen in das Polizeigewahrsam Hagen. Hier wurden die Männer, die zwischen 36 und 56 Jahre alt sind, vernommen, vier kamen wieder auf freien Fuß. In den Wohnungen sicherten die Beamten zahlreiche Beweismittel. Eine Schusswaffe wurde sichergestellt.

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„Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Festzunehmenden griffen die Ermittler bei den Festnahmen auf mehrere Teams der Spezialeinheiten zurück“, erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft. Insgesamt waren etwa 240 Polizisten beteiligt, davon große Teile der Hagener Kriminalpolizei sowie Unterstützungskräfte aus anderen Behörden.

Erkenntnisse aus Hagener Rockerkrieg

Staatsanwaltschaft und Polizei in Hagen sind federführend bei der Aktion, weil die Erkenntnisse gegen die sechs Tatverdächtigen, die festgenommen wurden, aus den Ermittlungen im sogenannten Hagener Rockerkrieg stammen. Dort gibt es seit etwa zwei Jahren teils gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Bandidos und den seit mehr als vier Jahrzehnten in Hagen ansässigen Freeway Riders.

Sowohl die Freeway Riders, als auch die Bandidos hatte die Staatsanwaltschaft Hagen im Laufe der Ermittlungen in Teilen als kriminelle Vereinigung eingestuft und auf Basis des Paragraphen 129 des Strafgesetzbuches Ermittlungen eingeleitet. Erst vor wenigen Tagen waren bereits Mitglieder der Bandidos verhaftet worden. Auch hier lautet der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

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In der vergangenen Woche hatten die Rocker der Freeway Riders aus Hagen für Schlagzeilen gesorgt. Sie sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hagen einen 22-jährigen Hagener bedroht und entführt haben. Der Mann war nach eigenem Bekunden mit den Rockern in Drogengeschäfte verwickelt und hatte Schulden, die diese nun offenbar einzutreiben versuchten.