Hagen. Rockerkrieg Hagen: Wie es überhaupt dazu kommen konnte und warum Ermittlern vom „Wilden Westen“ sprechen.
Warum konnte im vergangenen Jahr der Rockerkrieg in Hagen so eskalieren? Warum wurden Menschenleben durch Schüsse und Messerstiche aufs Spiele gesetzt? Warum riskieren einige Akteure, ob von den Freeway Riders oder den Bandidos langjährige Haftstrafen? Und warum gefährden einige der Rockerclub-Mitglieder, die Familie und teils sehr bürgerliche Berufe haben, ihre Existenzen? Auf die Fragen haben nach WP-Informationen auch die Ermittler letztendlich keine ganz schlüssige Antwort gefunden.
Aber es scheint fraglich, ob es hier in Hagen tatsächlich um großes Geld, gar um die Vormacht im Rotlicht- oder Drogenbereich ging, wie es in anderen Städten bei Rocker-Auseinandersetzungen der Fall war. Vielmehr scheint sich der Konflikt an scheinbaren Nichtigkeiten unkontrolliert hochgeschaukelt zu haben, bis das Blut floss.
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Konflikt schwelt seit Herbst 2016
Das legen auch die Aussagen des 38-jährigen „Kronzeugen“ nah, dessen Aussagen zuletzt im Prozess gegen ein 58 Jahre altes Freeway-Riders-Mitglied eine große Rolle gespielt haben. Er selbst musste zwar nicht vor Gericht aussagen, die Polizisten, die seine Vernehmung geleitet haben, saßen aber im Zeugenstand und berichteten.
Spannungen gab es schon seit Herbst 2016. Damals hatten die Bandidos verkündet, ein eigenes Chapter in Hagen gründen zu wollen – und das in der Stadt, die die Freeway Riders seit 1974 als ihr Herrschaftsterritorium betrachten. Die Freeways reagierten unter anderem mit einem Marsch vom Clubheim in Kückelhausen zum Friedrich-Ebert-Platz in der Innenstadt als Machtdemonstration. Es gab weitere Reibereien, aber der Konflikt schien danach wieder relativ ruhig zu verlaufen.
Rocker als „Hurensöhne“ beschmipft
Das änderte sich aber spätestens im Mai 2018. Der 38-jährige Kronzeuge hatte das in seinen Aussagen auch an konkreten Vorfällen festgemacht. Bandidos-Mitglieder sollen demnach an dem Haus, in dem ein Freeway-Riders-Mitglied wohnt, auffällig oft gestanden haben. Der beschimpfte diese dann wohl als „Hurensöhne“. Am 9. Mai 2018 stürmte daraufhin ein Trupp Bandidos nach diesen Schilderungen in Unterzahl eine Feier auf dem Clubgelände in Kückelhausen. Es soll zu einer großen Schlägerei gekommen sein.
Dann gab es immer wieder heftige Auseinandersetzungen, von den die Polizei zunächst nie etwas mitbekommen hatte, weil die Rocker jede Zusammenarbeit mit der Polizei ablehnen: Mal eine nächtliche Keilerei vor dem Café Paris, mal eine Attacke auf ein Freeway Riders Mitglied mitten in der Stadt.
Persönliche Verbindungen zwischen Bandidos und Freeway Riders
Was die Sache wohl noch schwieriger, vielleicht auch noch irrationaler gemacht hat: Es gab und gibt Querverbindungen zwischen den verfeindeten Rockergruppierungen. So war zum Beispiel der aktuelle Hagener Freeway-Riders-Präsident einst bei den Bandidos, ein heute führender Bandido dagegen zuvor bei den Freeway Riders.
Und eben weil er einst Bandido war, meinte der Freewa-Riders-Chef aus seinen weiterhin existenten Verbindungen dorthin rausgehört zu haben, dass sich die Bandidos weiter bewaffnen würde. Die Folge: Auch die Freeway Riders sollten aufrüsten. So gab es offensichtlich Kontakt zu einem dubiosen Waffenhändler in Bochum. Als am 6. Dezember 2018 bei einer Großrazzia viele Durchsuchungen stattfanden, da stießen die Ermittler auf ein großes Waffenarsenal.
Und der Verdacht existiert, dass neben den existierenden „scharfen Waffen“ auch noch Schreckschusspistolen zu scharfen Waffen umgebaut werden sollten. Hier laufen auch noch gegen viele Beschuldigte Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz – auch gegen den Kronzeugen (38).
Wie weit mit einem wachsenden Waffenarsenal der Konflikt noch eskaliert wäre, ist Spekulation. Im Herbst vergangenen Jahres war es aber auch so schon zu diversen, teils blutigen Zwischenfällen gekommen. Etwa an jenem 28. September, als auf einen Freeway Rider geschossen wurde.
Opfer vom Bergischen Ring sagt nach Monaten bei Polizei aus
An diesem Fall zeigt sich nun aber im Nachhinein ein gewisses Umdenken. Denn ob bei Freeway Riders oder Bandidos: Eigentlich gilt die Regel, dass die Polizei nicht eingeschaltet wird. Es sei denn , dritte Unbeteiligte sind bei einer Attacke betroffen. So etwa beim Fall der Schüsse auf ein Freeway-Riders –Auto auf der Saarlandstraße. Hier saß die Freundin eines Freeways auf dem Beifahrersitz – weil sie auch hätte gefährdet werden können, ging man damals zur Polizei.
Der Vorfall vom 28. September am Bergischen Ring hingegen war der Polizei trotz des Schusses, trotz der Attacken nicht bekannt. Erst der „Kronzeuge“ berichtete in seiner Polizei-Aussage davon, während andere zu dem Zeitpunkt noch eisern schwiegen. Auch das Opfer, auf das geschossen wurde.
Das hat sich in der vergangenen Woche plötzlich geändert: Das Freeway-Riders-Mitglied, auf das geschossen wurde, sagte bei der Polizei aus und lenkte den Verdacht nun wieder auf einen 31-jährigen Bandido. Der ist inzwischen wieder wegen dringenden Verdachts des versuchten Totschlags wieder in Untersuchungshaft. Erst im April war er wegen der Schüsse aufauf der Saarlandstraße zu drei Jahren Haft verurteilt worden.
„Wilder Westen“ mit scharfen Waffen
Ob die Kooperation mit den Ermittlern weiter geht, ist unklar. Vielleicht bringt sie auch noch mehr Erkenntnisse zur Motivation der Rocker für den Konflikt. So lange bleibt auch die Einschätzung eines Ermittlers: „Die haben Wilder Westen gespielt, aber mit scharfen Waffen und im öffentlichen Raum. So etwas dürfen wir nicht zulassen.“