Hagen. Vor 75 Jahren flogen alliierte Bomber den zweiten großen Luftangriff auf Hagen. Hunderte starben, weil die Bevölkerung viel zu spät gewarnt wurde.
Es war ein Wettlauf mit dem Tod. Ein Wettlauf, den am Abend des 2. Dezember 1944 610 Hagener verloren. Ein Wettlauf, der auch deshalb stattfand, weil es den alliierten Streitkräften gelungen war, die deutsche Flugabwehr derart zu täuschen, dass noch niemand ernsthaft mit einem derartigen Großangriff auf Hagen rechnete. So lange nicht – bis die ersten Bomben fielen.
Beim zweiten großen Luftangriff auf die Stadt Hagen wurden 610 Menschen getötet, mehr als 500 wurden schwer verletzt. Rund 25.000 Hagener wurden ausgebombt. Das gesamte Abwurfgewicht der Bomben, die von 465 Flugzeugen nach Hagen gebracht wurden, lag bei 1812 Tonnen – 140 Minenbomben, 2000 schwere Sprengbomben, 15.000 Stab- und 2000 Phosphorbrandbomben.
1900 Gebäude in Hagen von Bomben getroffen und zerstört
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Nächster Großangriff war nur vorgetäuscht
Am 4. und 5. Dezember sollten noch einmal 54 zweimotorige Mosquito-Bomber die Stadt Hagen bombardieren.
Damit sollte ein Großangriff auf Hagen vorgetäuscht werden, um von den eigentlichen Zielen dieser Nacht – Würzburg und Karlsruhe – abzulenken.
Die Zielmarkierungen sowie Luftminen und Sprengbomben gingen wegen technischer Probleme und einer dichten Wolkendecke östlich von Hagen nieder.
In und um Hohenlimburg wurden 15 Menschen getötet und Häuser zerstört.
Über 1900 Gebäude im gesamten Stadtgebiet wurden getroffen“, sagt der Hagener Historiker Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen, „das war eine Zerstörung kaum vorstellbaren Ausmaßes.“
Es war eine ernüchternde Bilanz, die das zuständige Fachamt der Stadt nach dem verheerenden Angriff zog: „1. Dem Gegner ist die Überraschung gelungen. 2. Die Warnungen kamen zu spät.“
Flugzeugbrummen in der Luft über der Innenstadt
Eine Einschätzung, die sich auch mit den Aufzeichnungen von Zeitzeugen deckt. „Wir liefen um unser Leben, denn inzwischen waren, obwohl höchstens kurze Sekunden nach der Alarmierung vergangen waren, die ersten Bomben gefallen“, schrieb Wilhelmina von Hagen, die in Wehringhausen lebte, drei Wochen nach dem Angriff, „die Luft dröhnte vom Flugzeugbrummen und den Detonationen. Heute sind wir dran. Die zuletzt in den Keller kommenden Nachbarn schlossen gerade erst die meterdicke Schleuse, als unter fürchterlichem Heulen die Bombe für uns nahte. Ein nicht zu beschreibender Schlag ließ selbst den Kellerboden schwanken, unter ohrenbetäubendem Krachen fiel das Haus über uns zusammen.“
Menschen, die Schutz in Kellern suchten, waren wie Wilhelmina von Hagen und ihre Nachbarn eingeschlossen. „Erst nach Stunden gelangten sie über einen Mauerdurchbruch in ein Nachbarhaus und von dort schließlich ins Freie“, so Dr. Ralf Blank.
Bunker und Stollen blieben während des Angriffs fast leer
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Auch Ilse Thormälen, von einem Hagener Rüstungsunternehmen dienstverpflichtet, erlebte den Angriff im Keller ihres Wohnhauses: „Der Angriff kam so plötzlich, dass die Stollen und Bunker fast leer waren“, berichtet sie später, „um 9 Uhr [am Abend] wurde noch gemeldet, dass das Reichsgebiet feindfrei sei und um 9.05 Uhr gab es Vollalarm ohne Voralarm, und dabei fielen schon die ersten Bomben.“ Und weiter heißt es: „Diesmal sind besonders viele Sprengbomben gefallen. Dadurch liegen natürlich viele Menschen unter den Hautrümmern und können nicht geborgen werden.“
In Teilen der Bevölkerung machte sich der Eindruck breit, als hätten die Bomberverbände genau dort angesetzt, wo sie vor etwas mehr als einem Jahr beim ersten großen Luftangriff auf Hagen aufgehört hatten. „Der Güterbahnhof ist ein großer Trümmerhaufen. Sämtliche Lebensmittelgroßhandlungen sind ausgebrannt, ebenso der Schlachthof“, hält Ilse Thormälen fest, „wir haben in den letzten Wochen unendlich viele Portionen Essen und belegte Brote in die geschädigten Städte geschickt, und jetzt ist für die Hagener Bevölkerung kaum etwas zu essen da.“ Auch sei beim Angriff nicht ein einziger Flakschuss gefallen, weil keine Flak da sei. Und dabei rücke die Front im Westen immer näher.
Kaum Treffer in der Hagener Innenstadt
Auch Bernhard Petersen schildert in einem Tagebucheintrag fünf Tage nach dem Angriff die Eindrücke eines Rundgangs: „Es ist furchtbar, wie unser Hagen zugerichtet ist. Dabei muss man aber staunen, welche Maßarbeit der Feind bei seinem diesmaligen Angriff geleistet hat. Die Stadtmitte, die ja schon am 1. Oktober des vorigen Jahres vollständig zerstört war, hat kaum einen Treffer abbekommen.“
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„Die Schwere des seit Wochen erwarteten Angriffs konnte die vorhandenen Sorgen der Menschen nicht schmälern“, sagt auch Dr. Ralf Blank, „der Angriff und seine schweren Auswirkungen wurden als ein Signal für eine zukünftig noch schlimmere Phase des Krieges gedeutet.“