Hagen. . Vor 75 Jahren warfen britische Bomber ihre tödliche Fracht über Hagen ab. 250 Menschen starben, hunderte wurden verletzt.
Der Tag, an dem der Krieg nach Hagen kam, liegt am 1. Oktober 2018 genau 75 Jahre zurück. Es war der Tag, an dem die alliierten Bomberverbände zum ersten Mal einen Großangriff auf die Stadt mit dem Decknamen „Rainbow“ flogen. In nur 15 Minuten legten sie weite Teile der Innenstadt in Schutt und Asche. Rund 250 Hagener starben an diesem Freitagabend, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. Über das Ausmaß und die Auswirkungen des ersten von insgesamt drei großen britischen „Flächenangriffen“ auf Hagen sprach unsere Zeitung mit dem Historiker Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen.
Vortrag im Museum und Konzert im Theater
Über den ersten Luftangriff auf Hagen spricht Dr. Ralf Blank, Leiter des Stadtmuseums und Stadtarchivs Hagen, am 1. Oktober, 18.30 Uhr, im Osthaus-Museum.
Auf den Tag genau 75 Jahre nach dem verheerenden Bombardement wird der Historiker die Hintergründe, den Ablauf und die Folgen des Luftangriffs vorstellen.
Zahlreiche Fotografien ermöglichen einen Eindruck von den Zerstörungen sowie einen Rundgang durch die im Oktober 1943 zerstörte Stadt. Recherchiert hat Blank u.a. im britischen Nationalarchiv in London.
Die Veranstaltung wird unterstützt vom Museums- und Archivverein Geschichtsfreunde Hagen, dem Hagener Heimatbund und vom Karl-Ernst-Osthaus-Bund. Der Eintritt liegt bei 3 Euro (Abendkasse)
Ein Sonderkonzert im Theater Hagen findet am 1. November 2018 um 18 Uhr im Theater Hagen (Großes Haus) unter dem Titel „Die zerstörte Stadt“ ein Sonderkonzert zum Gedenken an den ersten Großangriff auf Hagen im Oktober 1943 statt.
Gespielt werden: Johann Sebastian Bach – Violinkonzert E-Dur BWV 1042; Hans Herwig – Trauermusik; Paul Hindemith – Nobilissima visione. Es handelt sich u.a. um Stücke, die zu dieser Zeit vom Philharmonischen Orchester Hagen gespielt wurden. Karten kosten regulär 15 Euro, Zuhörer des Vortrags zahlen 12 Euro.
Warum wurde Hagen zunächst von den Luftangriffen verschont?
Ralf Blank: In der „Battle of the Ruhr“ (März – Juli 1943) blieb Hagen noch verschont. Noch im Jahr zuvor waren die Alliierten davon ausgegangen, dass Köln und Hagen wichtige Standorte für die Produktion von U-Boot-Batterien seien. Hagen galt als „Naval Target“, als ein „Marineziel“. Beim 1000-Bomber-Angriff auf Köln im Mai 1942 wurde die dortige Batteriefabrik beschädigt. Doch stellten die Alliieren keine Auswirkungen auf den Bau und Einsatz von U-Booten fest.
Hatte das Folgen für Hagen?
Die Alliierten vermuteten, dass die Produktion von U-Boot-Batterien dezentral über das ganze Reichsgebiet verteilt sei. Daher könne sie nicht erfolgreich lahmgelegt werden. Was sie nicht wussten: In Köln wurden keine U-Boot-Akkus produziert. Als rüstungswirtschaftlich bedeutendes Angriffsziel geriet Hagen deshalb zunächst nicht in den Fokus.
Hätten die Alliierten die Bedeutung richtig erkannt, wäre was passiert?
Für die Volmestadt erwies sich diese Fehleinschätzung als Vorteil. Nach dem Krieg erkannten die Alliierten im Sommer 1945 ihren Fehler. Sie stellten fest, dass eine frühzeitige Zerstörung der Stadt mit der Batteriefabrik eine bessere Strategie als die Bombardierung von Werften wie etwa in Hamburg und U-Boot-Stützpunkte wie z.B. in La Rochelle gewesen wäre.
Wie genau hat sich der Angriff zugetragen?
Der Angriff war als klassischer Flächenangriff ausgelegt. Es sollten vor allem die bebaute Stadtfläche getroffen werden. 240 viermotorige Lancasters, eine im Vergleich zu damaligen Operationen relativ geringe Zahl, kamen zum Einsatz. Um 21.57 Uhr wurden die ersten Zielmarkierungen abgeworfen. Drei Minuten später erfolgte der Hauptangriff, der rund eine Viertelstunde andauerte. Ein Foto des ausgebrannten Rathauses zeigt die Turmuhr. Sie ist zum Ende des Bombardements um 22.12 Uhr stehengeblieben.
Was hat die Stadt getroffen?
Abgeworfen wurden über dem Zielgebiet rund 1200 Tonnen Brand- als auch Sprengbomben. Allerdings trafen „nur“ etwa 30 Prozent den Innenstadtbereich und die angrenzenden Vororte. Der Streuradius war erheblich. Etliche Bomben landeten in den Wäldern. Allerdings hatte eine der über 220 abgeworfenen, jeweils 1,8 Tonnen schweren Luftminen einen Schadensradius von 400 Metern. Das verdeutlicht das Ausmaß der angerichteten Zerstörung. Bereits am 2. und 3. Oktober wurden Aufklärungsflugzeuge nach Hagen gesandt. Allerdings waren an beiden Tagen die Rauchwolken noch dicht. Erst am 4. Oktober wurde das Ausmaß der Zerstörung auf Luftaufnahmen sichtbar.
Was waren denn genau die Folgen des ersten Angriffs?
Etwa 250 Hagener starben durch den Bombenangriff, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. So tragisch das auch war – im Vergleich zu anderen Angriffen auf deutsche Großstädte waren diese Verluste gering. Weite Teile der Innenstadt wurden komplett zerstört. Deutlich wurden die Auswirkungen in der Elberfelder Straße und in der Mittelstraße. Zerstört wurde aber auch die „Akku“ in Wehringhausen. Sie hatte für den Bau und den Einsatz von U-Booten eine erhebliche Bedeutung.
Und trotzdem hätten die Auswirkungen noch schlimmer sein können . . .
Gewiss. Viele Kinder und Frauen waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Stadt. Sie waren im Sommer 1943 in luftsicher geglaubte Regionen verschickt worden. Hinzu kam, dass die Hagener Feuerwehrkräfte über erhebliche Erfahrungen verfügten. Sie waren nach Angriffen auf andere Städte an Rhein und Ruhr zur Unterstützung angefordert worden. Während es die Innenstadt und angrenzende Stadtteile schwer traf, blieb z.B. Haspe mit den großen Eisen- und Stahlwerken fast ohne Schäden.
Wie reagierten denn offizielle Stellen auf den Angriff?
Albert Speer, Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, feierte am 2. Oktober 1943 den Abschluss des Wiederaufbaues der Möhnetalsperre. Speer eilte sofort nach Hagen, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Er kommandierte über 1000 Leute der Organisation Todt, eine paramilitärische Bautruppe, nach Hagen. Überwiegend waren es Zwangsarbeiter, die bis April 1944 die beschädigte Akkumulatorenfabrik instand setzten. Dr. Josef Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, verglich die Angriffsschäden in Hagen im Oktober 1943 mit einem Angriff auf Wuppertal, bei dem im Mai des Jahres über 3500 Menschen ums Leben gekommen waren.
Dieser Angriff vom 1. Oktober 1943 sollte aber nicht der letzte bleiben...
Nein. Die Briten strichen Hagen bis April 1944 von ihrer Zielliste. Schon im Mai war die Stadt wieder auf alliierten Ziellisten zu finden. So wollte die 8. US-Luftflotte vor der Invasion die Rangierbahnhöfe in der Stadt zerstören. Auch hier hatte Hagen als Knotenpunkt eine strategisch wichtige Bedeutung. Ab Herbst 1944 rechnete die Bevölkerung mit erneuten schweren Angriffen auf ihre Stadt. Am 2. Dezember 1944 war es dann so weit.