Schwelm. Der Schwelmer Psychotherapeut Jürgen Okrongli rät dazu, körperliche Beschwerden zu hinterfragen. Denn: Oft hängen sie mit der Psyche zusammen.

Seit vielen Jahren hätte der Psychologische Psychotherapeut Jürgen Okrongli bereits in den Ruhestand gehen können. Doch das kommt für den Dienstältesten in Schwelm auf diesem Gebiet definitiv nicht in Frage. Im Rahmen unserer Serie „Mentale Gesundheit“ hat er über Burnout, Depressionen und Angststörungen gesprochen. Themen, die in seinen Augen unfassbar wichtig sind, auch weil sie sehr viele Menschen betreffen. Und es gibt noch ein Thema, das aus seiner Sicht von hoher Bedeutung ist. In seiner eigenen beruflichen Praxis hat er häufig mit der psychosomatischen Erkrankung zu tun hat. Im Interview erklärt Jürgen Okrongli, was das genau bedeutet und geht detailliert auf die Erkrankung ein.

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Hallo Herr Okrongli, heutzutage wird immer häufiger von Psychosomatischen Erkrankungen gesprochen, erklären Sie doch mal, was versteht man eigentlich darunter?

Jürgen Okrongli: Wenn Krankheiten nicht nur rein organisch bedingt sind oder die Psyche zu 100 Prozent der Verursacher ist, gibt es das „Mittelding“, wo psychische und körperliche Dinge eine Verbindung eingehen: Sehr bekannt sind da nervöse Magen-Darm-Beschwerden, Migräne, Herz-Kreislaufstörungen oder Schmerzstörungen, um nur einige zu nennen.

Und wie kommt es dazu, gibt es bestimmte Auslöser?

Zu den häufigsten Ursachen gehören Stress, Ängste oder Sorgen, Trauer, ungelöste Konflikte, traumatische Erlebnisse, schwierige Lebensumstände, Depressionen, Burnout. Sie merken schon, wie viele Überlappungen es zu Krankheitsbildern wie Angsterkrankungen gibt. Es ist daher sehr wichtig, dass zu Beginn einer Psychotherapie eine umfangreiche Analyse steht, damit eine genaue Diagnose erfolgen kann, aus der schließlich ein exakter Behandlungsplan folgt. Das zeigt die ganze Komplexität unseres Berufs. Wenn man sich heute entschließt, Psychotherapeut zu werden, begibt man sich auf einen zehn Jahre andauernden Studienweg: die Hälfte ist das Psychologiestudium, die andere Hälfte die Ausbildung zum Psychotherapeuten. Es ist, mit der Ausbildung zum Ostheopathen, die längste Ausbildung im Gesundheitssektor. Der Mensch ist eben komplizierter als ein Zwölfzylinder.

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Das klingt auf jeden Fall durchaus herausfordernd?

Krankheiten von heute sind nicht anders aufgestellt als vor 40 Jahren, sie haben heute nur eine andere Häufigkeit und modernere Behandlungskonzepte.

Zurück zu den Psychosomatischen Erkrankungen. Welche gibt es da denn genau?

Viel mehr, als die meisten es sich vorstellen. Meine damaligen Professoren liebten einfache Beispiele, was ich bis heute auch so mache, weil es im Gedächtnis bleibt. Zu den Gesetzen der Psychosomatik gehört, dass in unserem Körper nicht alle Nervenzellen gleiche Sensoren haben. Einige reagieren auf Aggression, andere auf unterdrückte Aggression, noch andere auf „ich kann nicht Nein sagen“. In den Aggressionsbereich fallen Haarausfall, Hauterkrankungen, Zähneknirschen, Dauerschmerz, Asthma, Bluthochdruck, Herz-Rhythmusstörungen, nervöse Gastritis, Reizdarm, Fingernägel-Kauen und -Knibbeln). Wenn unterdrückte Aggression zum Beispiel auf den Magen schlägt, wird Magensäure produziert, obwohl keine Nahrung zu sich genommen wurde. Die Magensäure greift dann die Magenschleimhaut an. Als ich noch Student war und das meinem Vater erklärte, sagte der: „Was für eine dumme Erfindung.“ Ja und nein. Wenn man es als Warnsignal nimmt, ist es ein körperlicher Hinweis: „So nicht!“

Der Volksmund weiß: „Das geht mir an die Nieren“, „Da dreht sich mir der Magen um“, „Das halte ich im Kopf nicht aus“ oder „Wer soll das ertragen?“ Wie ist das aus psychologischer Sicht zu verstehen?

Als in den 70er-Jahren die psychosomatischen Forschungsbereiche so richtig in Schwung kamen, imponierte mir das Buch „Krankheit als Weg“. Es ist angenehm unwissenschaftlich geschrieben. Ein Beispiel sind Magen-und Verdauungsbeschwerden. Die führt der Autor auf die Fragen zurück, „Was will oder kann ich nicht schlucken? Fresse ich etwas in mich hinein? Worüber bin ich sauer? Wie gehe ich mit meiner Aggression um?“. Zu diesen Erkenntnissen ist man gekommen, indem bei Patienten unterschiedlichster Krankheitsbereiche, psychologische Persönlichkeitstests durchgeführt wurden. Heute sind wir ein halbes Jahrhundert weiter und haben in der Psychosomatik ein kleines Psychouniversum an Erkenntnissen. Es gehört zu einem meiner Spezialgebiete, weil es fast unsagbar spannend ist.

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Und Sie machen es seit 40 Jahren in ihrer Praxis, haben in Schwelm mit zehn Kollegen ein Bildungszentrum gegründet und 20 Jahre geleitet, wo ähnliche Themen im Vordergrund standen. Trotzdem sitzen Sie hier, sehen total entspannt aus. Verraten Sie doch mal Ihr Geheimnis, wie geht das?

(schmunzelt) Danke. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass mein Beruf viel mehr für mich ist, als nur ein Beruf. Es ist ein Teil meines Lebens, meine Leidenschaft. Sonst würde ich das ja auch nicht schon so lange machen. Und wie ich schon mehrfach sagte, ist eine Balance für mich sehr, sehr wichtig. Meine Frau und ich fahren seit Jahren regelmäßig auf unsere geliebte Insel Schiermonnikoog und können da so richtig abschalten.

Das haben Sie beide sich auch verdient. Eine Frage hätte ich aber trotzdem noch. Wie ist denn die psychotherapeutische Herangehensweise bei Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen?

Trotz der Unterschiedlichkeit der einzelnen Erkrankungen, gibt es, psychotherapeutisch gesehen, gemeinsame Nenner: Am Anfang einer Therapie steht die Lebensgeschichte des Patienten, aus der konkrete Bereiche herausgefiltert werden, aus denen man schon Spuren des entstehenden Krankheitsbildes erkennen kann. Dann stellt sich die Frage, was das spezielle Verhalten aufrecht erhält. Wenn das klar wird, beginnt oft der schweißtreibende Teil der Psychotherapie, für den Patienten, wie für mich. Es ist ja kein Klacks, einfach so, sein Verhalten zu ändern, sonst gäbe es meinen Beruf nicht. Nach einer umfassenden Analyse des Verhaltens, werden vereinzelt auch Partner in die Therapie einbezogen, die manchmal die Aufgabe eines Co-Therapeuten übernehmen. Sehr oft werden, neben dem Hauptstrang der Therapie, Entspannungstechniken vermittelt: Autogenes Training, Aktive Muskelentspannung, die Feldenkraismethode, Meditationstechniken, Tai Chi. Diese sollen dem Patienten die Möglichkeit geben, per eigenem Knopfdruck körperliche Spannungen zu mindern oder abzubauen. Psychotherapien dauern im Schnitt eineinhalb bis zwei Jahre, weil Verhaltensänderungen nicht allein dadurch geschehen, weil man es ja einsieht. Man muss auch aktiv werden.

Migräne als Orgasmus des Kopfes

Weitere Erläuterungen aus dem Buch, von dem Jürgen Okrongli im Interview spricht. Die möglichen Fragen, die sich die Betroffenen stellen könnten, sind vom Autor des Buches verfasst.

Augenkrankheiten = Was will ich nicht sehen? Versäume ich, im Geschehen, mich selbst zu erkennen? Habe ich Angst, die Dinge in ihrer Schärfe zu sehen?

Ohrenkrankheiten = Warum bin ich nicht bereit, jemandem mein Ohr zu leihen? Wem oder in welcher Situation will ich nicht gehorchen? Sind die beiden Pole „Egozentrik“ und „Demut“ bei mir im Gleichgewicht?

Kopfschmerzen (Migräne) = Worüber zerbreche ich mir den Kopf? Migräne wird auch der Orgasmus des Kopfes genannt. Bin ich zu ehrgeizig? Bin ich zu dickköpfig? Versuche ich durch Denken das Handeln zu ersetzen?

Hauterkrankungen = Grenze ich mich zu sehr ab? Wie steht es um meine Kontaktfähigkeit? Was juckt mich in Wirklichkeit? Lehne ich viele Dinge ab, will aber doch Nähe?

Nieren = Welche Probleme habe ich in meiner Partnerschaft? Halte ich zu sehr an alten Problemen fest? Was geht mir an die Nieren? Im psychosomatischen Sinne reagieren Männer eher über die Nieren, Frauen über die Galle.