Gevelsberg. Corona hat die Welt von Anja Oetzel aus Gevelsberg auf den Kopf gestellt. So lebt sie heute mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS).
Es ist nicht lange her, da hatte Anja Oetzel sich gewünscht, wieder ihr altes Leben leben zu können. Mittlerweile ist der Frau aus Gevelsberg klar: Es wird nicht mehr wie vorher. Die 46-Jährige leidet seit ihrer Corona-Erkrankung unter Long-Covid und infolgedessen unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Im Frühjahr kämpft sie seit drei Jahren mit ihrer Gesundheit. Die Redaktion begleitet sie fast von Anfang an, dokumentiert ihren Gesundheitszustand und die Folgen für Oetzels Alltag kontinuierlich.
Während nun mit dem Fallen der letzten Schutzmaßnahmen die Pandemie allmählich aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwindet, beginnt damit für Anja Oetzel als Betroffene von Langzeitfolgen ein mitunter schmerzhafter Prozess.
Am vergangenen Donnerstag debattierte auch der Deutsche Bundestag über das Thema. Etwas, das Anja Oetzel Hoffnung gibt, wenn es ihr akut auch nicht helfen mag. Hintergrund war ein Antrag der FraktionCDU/CSU mit dem Titel „ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen endlich helfen – Für eine bessere Gesundheits- sowie Therapieversorgung, Aufklärung und Anerkennung“.
Auch nach Reha arbeitsunfähig
Ärztemarathon, Quarantäne, wochenlange Krankschreibungen, letztlich die Genesung, die Schutzimpfung – die hauptberufliche Versicherungskauffrau hat in Sachen Corona schon einiges durchgemacht. Von Anfang September bis Anfang Oktober 2021 verbrachte sie mehrere Wochen in einer Einrichtung für Menschen, die sich körperlich und mental von einer Covid-19-Erkrankung erholen müssen. Aus der Reha wird sie nach eigenen Angaben arbeitsunfähig wieder entlassen.
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Seitdem hat sie nicht mehr aktiv gearbeitet, wie sie sagt. Sie geht zur Psychotherapie, lässt sich von einem Neuropsychologen behandeln, hinzu kommen normale Arztbesuche und Sport – so gut es eben geht. Dazu sei gesagt, dass die Gevelsbergerin auch unter weiteren chronischen Erkrankungen leidet. Konzentrations-Übungen am Laptop macht sie nur noch, wenn sie einen guten Tag hat.
Aber egal ob sie zur Therapie geht, sich im Cardio-Sport versucht oder Gewichte stemmt: Es scheint keine Fortschritte zu geben. „Ich fühle mich wie ein Akku, der immer bei 50 Prozent rumdümpelt, mal auf 55 Prozent steigt und dann aber wieder auf 40 fällt“, beschreibt Anja Oetzel. „Das ist super frustrierend.“
Dauerhaft krankgeschrieben
Dass etwas „zu viel“ ist, ist ihr ständiger Begleiter. „Ich muss immer schauen: Was mache ich? Was schaffe ich? Und was verschiebe ich?“, sagt die 46-Jährige. „Wenn ich noch staubsauge, nachdem ich die Küche aufgeräumt habe, und danach zum Rehasport gehe, ist für den Rest des Tages nichts mehr möglich.“ Zum Spaziergang mit dem Hund muss sie sich danach fast quälen.
Ihr Hausarzt unterstütze sie und gebe ihr Tipps, mit Prognosen halte er sich aber zurück. „Ich bin dauerhaft krankgeschrieben“, sagt sie. Aus dem Krankengeld sei sie raus. Mittlerweile habe sie Arbeitslosengeld 1 beantragt. „Das war mir sehr unangenehm“, gibt sie zu. „Man kommt sich vor wie ein Bittsteller.“ Gleichzeitig laufe ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Ihre Hoffnungen auf einen Pflegegrad haben sich zerschlagen. „Sie sind vielleicht hilfsbedürftig, aber nicht pflegebedürftig“, habe sie zu hören bekommen.
Auch von anderen fühlt sie sich mit ihrer Erkrankung nicht ernst genommen. „Es kommt euch Long-Covidlern echt gelegen, dass ihr nicht mehr arbeiten müsst“, habe jemand mal zu ihr gesagt. Dabei habe sie ihren Job geliebt. „Es macht mich fertig, dass ich nicht so leistungsfähig bin, wie andere“, lässt sie ihren Frust raus.
Forschung und Aufklärung
Gleichzeitig geht für viele andere Menschen in ihrem Umfeld das normale Leben weiter. „Einerseits finde ich gut, dass es irgendwie normal weitergeht“, sagt Anja Oetzel. „Für Menschen wie mich, die mit Spätfolgen zu kämpfen haben und die dafür belächelt werden, ist es aber eine Riesenklatsche.“
Ab Februar fällt in NRW die Maskenpflicht im ÖPNV. Auf Masken zu verzichten, hält sie aber für falsch. Auch wenn sie von anderen belächelt wird, getreu dem Motto: „Jetzt ist aber auch mal gut.“ Für die Gevelsbergerin ist es noch nicht gut. „Ich übe mich in Akzeptanz“, sagt sie. Diskussionen um ihren Gesundheitszustand führe sie nicht mehr. Anders als früher.
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Wie lange ihr Zustand noch so bleibt, weiß die 46-Jährige nicht. „Das Leben geht trotzdem weiter. Nur die Reise ist ungewiss“, stellt sie für sich fest. Dass sich die Politik mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom befasst, stimmt sie positiv. „Das hilft mir jetzt aktuell vielleicht nicht weiter, aber es ist gut, dass da eine Wende stattfindet. Ich bin ja nicht die Einzige, die betroffen ist“, macht sie klar. „Wenn da jetzt mehr in Forschung und Aufklärung investiert wird, denke ich mir: endlich passiert da was.“