Siedlinghausen. Die Schmerzen in ihren Beinen sind unerträglich. Rita Schumacher aus Siedlinghausen besucht einen Arzt nach dem anderen, helfen kann keiner.
Rita Schuhmachers Schienbeine stechen manchmal, als würde jemand ein Brotmesser hineinrammen. Beim Laufen hat sie das Gefühl, ihre Zehen brechen ab. In den Beinen brennt es, manchmal unerträglich. Helfen kann ihr niemand so richtig, sagt sie. Die 72-Jährige aus Siedlinghausen ist ständig bei Ärzten. Sucht sich immer neue Anlaufstellen, bekommt als Antwort immer neue Diagnosen. Und die Schmerzanfälle bleiben. Ihre Geschichte ist eine langwierige Suche nach Ursachen. Eine Erzählung vom Älterwerden und der Angst vor dem immer sichereren Gefühl, irgendwann nicht mehr ernstgenommen zu werden.
Eine dicke Mappe gefüllt mit Ärztebriefen, Diagnosen, Berichten, Bescheiden
Die Küche ist hell, freundlich. Eine bezogene Essbank steht in der Ecke, die Schränke sind gepflastert mit selbstgemalten Bildern. „Für Oma“ steht darauf. Vor Rita Schuhmacher auf dem Esstisch liegt eine dicke Mappe. Sie ist gefüllt mit Ärztebriefen, Diagnosen, Berichten, Bescheiden. Eine Dokumentation ihrer Suche nach Hilfe. Zweieinhalb Jahre lang leidet Rita Schuhmacher schon unter den Schmerzen in ihren Beinen. Wenn sie den Rock bis zum Knie anhebt, sind auf ihren Unterschenkeln kleine wulstige Narben zu sehen. Frühere Eingriffe, die nur gelindert aber nicht geheilt haben.
Alles hat mit Schmerzen im Nacken angefangen
„Alles hat angefangen im April 2021, da hatte ich Schwierigkeiten beim Aufstehen. Wegen dem Nacken“, sagt sie und rückt ihren Stuhl zurecht. Sie hat fröhliche blaue Augen, ihre Stimme ist hell und etwas rau. Ihre Geschichte ernst. Rita Schuhmacher kommt kaum aus dem Bett heraus, so stark sind die Schmerzen. Sie ruft ihre Tochter an, die bringt sie in die Elisabethklinik. Zehn Tage bleibt sie dort, bekommt Infusionen. Mit letzter Kraft sei sie damals gelaufen, sagt sie. In Herne bekommt sie starke Medikamente in die Wirbelsäule gespritzt. Zwei Tage nach der Spritze bekommt sie ihre Corona-Impfung. „Ich habe angegeben, dass ich diese starken Medikamente bekommen habe, aber im Impfzentrum in Olsberg wurde mir gesagt, dass sei in Ordnung.“ Die Schmerzen verschwanden nicht.
Zwei Wochen nach der Impfung, im Juni 2021, wird eine Thrombose in Rita Schumachers Bein gefunden. Sie spürt einen Druck, Schmerzen. Zwölf Tage lang muss sie sich selbst Zuhause behandeln, mit Spritzen. Einen Zusammenhang zur Impfung sieht keiner der Ärzte. Im Juli hören die Schmerzen in den Beinen nicht auf. Im August fährt Rita Schumacher zu einem Neurologen in Meschede. Der stellt ein Tarsaltunnelsyndrom in ihrem Fuß fest. Zu den Symptomen gehört brennender oder kribbelnder Schmerz, der beim Gehen oder dem Tragen bestimmter Schuhe auftritt. Ein Leidensweg beginnt.
Monatelang kämpft die Frau aus Siedlinghausen mit Schmerzen
Monatelang hat Rita Schumacher Schmerzen, fährt zur Krankengymnastik und trägt spezielle Einlagen. Sie besucht Ärzte in Hessen und Meschede und Hattingen, bekommt verschiedene Diagnosen. Ein Neurologe diagnostiziert ihr eine Polyneuropathie, ein Orthopäde bescheinigt ihr eine Arthrose. Sie nimmt Mittel für die Nerven in ihrem Körper, ständig ist sie im Krankenhaus. In ihren Beinen entwickelt sich ein Lipom, direkt in der Kniekehle. Es wird entfernt. Eine Narbe bleibt zurück.
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„Sie wollen mir jetzt eine Knieendoprothese geben“
„Meine Füße und Schienbeine gehen mehr und mehr kaputt, ich gehe wie auf Kufen“, sagt Rita Schumacher und deutet auf die Narben auf der blassen Haut. „Sie wollen mir jetzt eine Knieendoprothese geben, aber ich will noch nicht an mein Knie. Ich habe das Gefühl, ich habe Geschwülste in meinen Beinen. Aber die Ärzte sagen, sie machen nur, was sie sehen.“ Sie fürchtet, dass die Ärzte nicht genau hinschauen. „Ich bekomme warme Händedrücke, aber in meine Kniekehle wird nicht geschaut. Ich fühle mich nicht ernst genommen. Mir wird gesagt, dass ich ein neues Knie brauche, aber das ist nicht das, was brennt.“
Die Schmerzen beherrschen Rita Schumachers Leben
Die Schmerzen beherrschen mittlerweile Rita Schumachers Leben. Ihre Gedanken, ihren Körper, ihren Alltag. Ihr Sohn, der bei ihr lebt, hilft ihr oft bei alltäglichen Aufgaben, das nötigste schafft sie noch allein. Mit der Bahnkarte fährt sie durch Deutschland, auf der Suche nach Hilfe. Eine reine Schmerztherapie will sie als Lösung nicht akzeptieren. In ihrem Kopf verknüpft sie den Beginn der Schmerzen mit der Corona-Impfung. Sicher ist sie nicht, die Ärzte sehen keinen Zusammenhang. Nur zeitlich passt das. Und es wäre eine Ursache, die Rita Schumacher so dringend sucht.
„Oma hat Flummis in den Beinen“
Rita Schumacher sagt, sie hat keine Lebensqualität mehr. Ihre Enkelin sagt immer, Oma hat Flummis in den Beinen. Oma ist ein Schrotthaufen. Rita Schumacher lacht herzlich darüber. „Ein bisschen bin ich noch im Garten, manchmal ein paar Schritte im Wald. Ich kann aber nicht weit gehen.“ Abends sitzt sie im Wohnzimmer vor einem Spielfilm, die Schmerzen hält sie aus. Eine andere Wahl hat sie nicht. „Ich gebe nicht auf. Ich will noch kämpfen, ich will noch weitersuchen.“