Brilon/Marsberg/Olsberg. Denunziert, deportiert, in Lagern getötet: An die Opfer des Nazi-Regimes erinnern auch im Sauerland viele Stolpersteine. Wer kümmert sich darum?

Was macht eigentlich das Projekt „Stolpersteine“ im Sauerland? Ist es abgeschlossen? Geht es irgendwann weiter? Wer kümmert sich um die kleinen Tafeln, pflegt sie, macht lockere Steine wieder fest? Fragen, die sich stellen. Denn inzwischen hat der Künstler Gunter Demnig in Nürnberg den 100.000 Stolperstein verlegt.

Begleitet von großem öffentlichen Interesse verlegt Gunter Demnig 2016 Stolpersteine in Olsberg und Bigge.
Begleitet von großem öffentlichen Interesse verlegt Gunter Demnig 2016 Stolpersteine in Olsberg und Bigge. © WP | Thomas Winterberg

Anfangs wurde das Projekt „KunstDenkmal Stolpersteine“ sehr kritisch beäugt. Der inzwischen 75 Jahre alte Berliner Künstler Demnig wollte einen Kontrapunkt setzen zu den Bestrebungen der Nationalsozialisten, verfolgte Menschen zu Nummern zu degradieren und ihre Identität zu löschen. 1992 entwickelte er die Idee, die Namen jüdischer Mitbürger wieder in die Straßen der Städte und Dörfer zurückzuholen – in Form von kleinen Messingtafeln, die den Namen, das Geburtsjahr und zum Beispiel das Datum der Demütigung, Entrechtung oder Flucht eingraviert bekamen.

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„Geschichte und menschliche Schicksale mit Füßen treten“ oder „Geldmacherei“ lautete die inzwischen verstummte Kritik. Mittlerweile wurde der 100.000 Stolperstein verlegt. Man findet sie in 1265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas. Auch in Brilon, Marsberg und Olsberg erinnern diese Steine an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Marsberg 2009 eine der ersten Städte im Altkreis

Marsberg war im Dezember 2009 die erste Stadt im Altkreis, in der das Projekt von Gunter Demnig sichtbar verwirklicht wurde. Im Stadtgebiet wurden insgesamt 47 Stolpersteine in Beringhausen, Borntosten, Canstein, Essentho, Giershagen, Niedermarsberg, Udorf und Westheim verlegt. Einer erinnert an die 20-jährige Maria Silberberg, die aus Liebe zu einem polnischen Zwangsarbeiter denunziert wurde und im Konzentrationslager Ravensbrück starb. „Die Geschichte der Marsberger Juden ist sehr gut aufgearbeitet. Die Bücher von Gudrun Banke ,Auf den Spuren der Marsberger Juden‘ waren eine hervorragende Grundlage auch für die Dokumentation im Rahmen der Stolperstein-Aktion“, sagt Stadtarchivarin Gabriele Döschner.

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Geschichte gut aufgearbeitet

Besagte Bücher (Band 1 erschien 2007, Band 2 später) waren auch 2008 der ausschlaggebende Impuls für das Jugendparlament unter Vorsitz von Tim Folcz, um die Aktion Stolpersteine für Marsberg ins Leben zu rufen. Seit 2016 gibt es eine Broschüre, in der man viele Informationen und Hintergründe zu den Schicksalen der einzelnen Personen und Familien findet. Die rund 15 000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen stehen auch im Mittelpunkt einer App, die der WDR erarbeitet hat: Unter dem Motto „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“ macht die Sendeanstalt die Geschichte der Menschen hinter den Steinen des Künstlers Gunter Demnig seit gut einem Jahr auch digital zugänglich.

Zuletzt wurden die Stolpersteine in Marsberg im Juni 2021 vom Deutschkursus des Carolus-Magnus-Gymnasiums gereinigt und im Oktober desselben Jahres gab es eine Führung entlang der Steine im Rahmen einer Städtepartnerschafts-Aktion, so Gabriele Döschner. Es sind also keine toten Steine.

Ob das Projekt in Marsberg abgeschlossen ist? „Was jüdische Familien anbelangt ja. Aber es gibt Anfragen und Überlegungen von auswärts, an Sinti und Roma oder an die Euthanasie-Opfer in Marsberg zu erinnern“, sagt Gabriele Döschner.

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Brilon will weitere Steine verlegen

In Brilon wurden seit März 2015 exakt 107 Stolpersteine ins Trottoir gebracht. Das Projekt sei aber noch nicht abgeschlossen. Allein in der Kernstadt seien noch 16 weitere Stolpersteine zu verlegen; die nächste Aktion sei für 2024 geplant, so die Stadt auf Nachfrage. Beschädigungen an den Steinen habe es bislang noch nicht gegeben. „Das Jugendparlament kümmert sich um die Steine und es werden gemeinsame Pflegeaktionen mit den Briloner Schulen organisiert“, heißt es aus dem Rathaus. Das Jugendparlament sei nach wie vor stark in das Projekt eingebunden. „Vor der Coronapandemie sind die Stolpersteine im Beisein von Schülerinnen und Schülern Briloner Schulen verlegt worden. Das war während der Pandemie nicht möglich. Daher ruht das Projekt seit 2020.“ Wenn die Aktion in der Briloner Kernstadt abgeschlossen ist, soll es in den Ortsteilen weitergehen. Einen Zeitplan gibt es aber noch nicht.

Regelmäßige Gedenkveranstaltungen für Holocaust-Opfer

Die Herstellung eines Stolpersteines kostet übrigens 120 Euro. Hinzu kommen etwa 20 Euro pro Stein an Bauhofkosten für die Unterstützung bei der Verlegung. Das Projekt wurde bisher zum Teil aus Spenden finanziert. Die restlichen Kosten hat die Stadt Brilon übernommen. Auch in Brilon ist die Dokumentation/Auflistung in der genannten Stolperstein-App hinterlegt – zum Teil auch schon über Steine, die noch verlegt werden sollen. Die Infos werden nach und nach vom Jugendparlament erweitert.

Und damit es nicht „nur“ bei den Steinen bleibt, ist z.B. in Brilon für den 9. November 2023 wieder eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Holocaust geplant - voraussichtlich wieder in Form eines Gedenkmarsches „Weg des Gedenkens“ mit Abschluss am Platz der ehemaligen Synagoge an der Kreuziger Mauer.

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Zwischen 2015 und Ende 2016 sind im Stadtgebiet Olsberg (u.a. in Olsberg, Bigge und Assinghausen) insgesamt 53 Stolpersteine als Erinnerung an die während der Nazi-Diktatur ermordeten Juden verlegt worden. Der Archivar des Olsberger Heimatbundes, Eckehard Wagener, kann sich noch erinnern, dass das Projekt auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat angestoßen wurde und ein breit aufgestellter Arbeitskreis für die Stolpersteine gegründet wurde.

Parteiübergreifende Aktion

„Unsere Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag damals im Rat eingebracht. Der hat gesagt: Wir machen das parteiübergreifend und der Heimatbund hat vieles koordiniert“, sagt Uta Weigand, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, die damals dem Arbeitskreis vorgestanden hat. Sie erinnert sich an Ausstellungen in Schulen, an den Besuch eines früheren jüdischen Mitbürgers und daran, dass durch die Aktion vieles in Bewegung gekommen sei. „Ich würde nicht sagen, dass das Thema abgeschlossen ist. Wir haben uns auf die Bürger beschränkt, die deportiert, verfolgt und ausgewandert sind. Es fehlen noch eine Broschüre mit den detaillierten Daten zu den persönlichen Geschichten der einzelnen Betroffenen.“ Auch ein beschriebener und eigens ausgewiesener Gedenk-Rundweg sei wünschenswert. „Vielleicht ist der 100.000 Stein ein guter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken“, so Uta Weigand, der Ortsverband sich Steine im vergangenen Jahr gereinigt hat.

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Bei der Sanierung der Bruchstraße sowie bei den Arbeiten im Olsberger Ortskern mussten einige Stolpersteine wegen Tiefbauarbeiten ausgebaut und eingelagert werden. Danach wurden sie dann wieder an ihren Plätzen angebracht - gegen das Vergessen.