Winterberg. Die Debatte um den Ausbau von Windkraftanlage in Winterberg wird emotional geführt. Pro und Contra: Überwiegt der Schaden den Nutzen wirklich?

Schon länger tobt eine Diskussion in Winterberg zum Thema Windräder. Das neue Wind-an-Land-Gesetz hatte Winterbergs Bürgermeister Michael Beckmann gar als „Politik mit dem Holzhammer“ bezeichnet und der CDU-Fraktionsvorsitzende Bundkirchen sprach von einem Tritt in den Rücken der Kommunen. Zuvor hatte er die Winterberger SPD scharf angegriffen und ihr vorgeworfen, dass sie den „irreführenden ideologischen Kurs der Bundesregierung“ folge, anstatt sich vorher angemessen zu informieren, bevor man den Ausbau von Windanlagen in Winterberg fordere. Die SPD selbst konterte und warf der CDU ihrerseits vor, an keiner parteiübergreifenden Lösung interessiert sei.

Die WP hat sich zu dem Thema die Meinungen sämtlicher HSK-Bundestagsabgeordneter und des Geschäftsführers des Landesverbands Erneuerbare Energie NRW eingeholt.

Friedrich Merz (CDU)

Friedrich Merz beim Besuch im  Windpark in Meerhof-Marsberg
Friedrich Merz beim Besuch im Windpark in Meerhof-Marsberg © WP | Jana Naima Schopper

Für den CDU-Parteichef Friedrich Merz steht fest, dass es auch im Hochsauerland einen weiteren Ausbau der Windenergie geben wird. „Der Umfang und die genauen Standorte hängen allerdings wesentlich von der Landesplanung und dem Einvernehmen mit den Städten und Gemeinden ab. Nicht alle Flächen sind für den Ausbau der Windenergie gleichermaßen geeignet, auch die sogenannten Kalamitätsflächen, die durch Windwurf und Borkenkäfer entstanden sind, sind nicht uneingeschränkt für Windenergie nutzbar“, sagt er auf WP-Anfrage. Die Städte und Gemeinden im Hochsauerland befänden sich gegenwärtig in einem engen Abstimmungsprozess, die er als Wahlkreisabgeordneter begleite und unterstütze.

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Neben den notwendigen Ausbauzielen werde es in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, ein größtmögliches Einvernehmen mit den Städten und Gemeinden und ihren Einwohnern zu erzielen, damit die Windenergie auf eine möglichst hohe Akzeptanz in der Bevölkerung stoße. „Hierbei müssen wir gerade im Hochsauerland auch das Landschaftsbild im Blick behalten, das ganz wesentlich die Attraktivität als Fremdenverkehrsregion bestimmt“, sagt Merz.

Dirk Wiese (SPD)

Dirk Wiese.
Dirk Wiese. © www.marco-urban.de | Marco Urban

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretender Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese verteidigt das „Wind-an-Land-Gesetz“ der Ampel-Koalition. Dieses sei richtig und wichtig. Es werde der Ausbau der Windenergie nun vereinfachen. Darin werde gesetzlich klar geregelt, dass jedes Bundesland rund zwei Prozent seiner Flächen verpflichtend für Windkraft zur Verfügung stellen muss. Hier seien jetzt die 16 Bundesländer in der Verantwortung. Denn erst wenn ein Bundesland die Zielmarke von zwei Prozent in den nächsten Jahren nicht erreicht, wird der Bund wieder aktiv. „Es rächt sich nun, dass NRW in den letzten Jahren den Ausbau der Windenergie nahezu unmöglich gemacht hat. Besonders gravierend war hier die Entscheidung der CDU, den Regionalplan Energie bei der Bezirksregierung Arnsberg 2017 kurzfristig zu kippen“, kritisiert Wiese. Dies führe nun zu einer erhöhten Unsicherheit in den Städten und Gemeinden.

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Zudem seien auch Sorgen um das Sauerland als Tourismusregion durchaus differenziert zu betrachten, denn der Windkraftausbau finde bei Touristen durchaus Zuspruch, sagt Wiese und verweist auf eine Gästebefragung der IHK Arnsberg die zum Ergebnis kam, dass etwa 80 Prozent der Übernachtungsgäste und Tagesausflügler des Sauerlandes einem Ausbau der Windkraft aufgeschlossen gegenüberstehen.

Im Hinblick auf die Situation rund um Winterberg betont er, dass man „kritisch anmerken“ müsse, dass einige Kommunen das Thema Erneuerbare Energie in den vergangenen Jahren vorausschauend deutlich aktiver vorangetrieben hätten. „Bürgerwindparks und diverse Formen der Beteiligungen, damit die Wertschöpfung vor Ort bleibt, sind genau die richtigen Ansätze. Hier hat insbesondere die örtliche CDU-Mehrheitsfraktion sicherlich Chancen zur Gestaltung vertan“, sagt Wiese. Denn erst im März dieses Jahres hätte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Mecklenburg-Vorpommersche Gesetz über die verpflichtende Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks mit dem Grundgesetz vereinbar sei. „Es sollte daher nichts dagegen sprechen, dass sich NRW jetzt endlich an dieser Regelung ein Beispiel nimmt und Betreiber von Windparks auch in diesem Bundesland dazu verpflichtet, Bürgerinnen und Bürger vor Ort finanziell zu beteiligen“, findet er und kritisiert die CDU Winterberg scharf: „Die Aussagen einzelner örtlicher CDU-Politiker dienen allerdings oftmals nicht der aktiven Gestaltung der Energiewende, sondern der gezielten Verhinderung. Zudem entsprechen sie nicht dem heutigen Stand der Technik, da Siemens in einem Windpark bereits die erste SF6-freie-Hochspannungsschaltanlage (GIS) in Betrieb genommen hat“, sagt Wiese und bezieht sich damit auf die Aussagen des Winterberger CDU-Fraktionsvorsitzenden Timo Bundkirchen, der einen kritischen Bericht der ARD zur Verwendung des klimaschädlichen SF6-Gases bei Windkraftanlagen zum Anlass nahm, um die SPD heftig anzugreifen.

Dirk Wiese spart außerdem nicht mit Kritik an HSK-Landrat Dr. Karl Schneider. Dessen „Sonntagsreden“ wonach aus „dem Land der 1000 Berge kein Land der 1000 Windräder werden dürfte“, seien auch nicht hilfreich gewesen und zeigten sich heute in erheblichen Abhängigkeiten bei fossilen Energieträgern.

Carlo Cronenberg (FDP)

Auch der Sauerländer FDP-Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg stellt sich hinter das Wind-an-Land-Gesetz. So sei der Ausbau der Erneuerbaren nicht nur im Koalitionsvertrag vereinbart, sondern mit Putins Krieg dringlicher denn je geworden. Es gehe jetzt um Tempo und damit man Schaden abwende. Entscheidend dafür seien beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren, die die Bundesregierung ermöglicht habe. Trotz der bestehenden Vorgaben durch Bund und Länder bleibe die Mitsprache von Städten und Gemeinden bestehen. „Akzeptanz muss da sein. Politik und Investoren stehen vor der Herausforderung, diese Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern auch in Winterberg herzustellen und tourismusschonende Standorte zu finden. Bürgerwindparks sind ein Konzept, von dem Kommunen und Privatpersonen profitieren und das vielerorts Konsens schafft“, so Cronenberg.

Der Lobbyverband

Christian Mildenberger, Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW.
Christian Mildenberger, Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW. © Lee | Georg Schreiber

Naturgemäß stellt sich der Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energie NRW, Christian Mildenberger, hinter das neue Gesetz. Dass potenzielle Windkraftbetreiber Interesse an Standorten rund um Winterberg hätten, letztlich im gesamten Hochsauerlandkreise, habe seiner Meinung nach zwei Gründe: Vorhandene Flächen, auf den es bislang keine Windenergieanlagen gibt, sowie gute Windgeschwindigkeiten.

Die Kritik der Winterberger Stadtführung und der CDU sei nicht nachvollziehbar. „Winterberg hat in der Vergangenheit nichts unternommen, um Vorrangzonen für die Windenergie rechtsfrei auszuweisen. Dass die neue Landesregierung in Düsseldorf plant, die zukünftige Flächenausweisung über die Regionalpläne zu organisieren, heißt nicht, dass Winterberg selbst keinen Einfluss mehr hat und selbst keine Flächen für die Windkraftnutzung mehr ausweisen kann“, sagt Mildenberger. Laut dem Geschäftsführer sei eher das Gegenteil der Fall. Schließlich habe die zuständige NRW-Energieministerin Mona Neubaur wiederholt betont, dass Kommunen weiterhin Windkraftflächen planen könnten, die dann auf höherer Ebene berücksichtigt würden. „Winterberg wäre also gut beraten, mit potenziellen Projektierern eine echte Bürgerbeteiligung festzuschreiben. Das könnte beispielsweise eine Beteiligung der Stadtwerke Winterberg oder eine direkte finanzielle Beteiligung von Bürgern an möglichen Windenergieanlagen sein. Vorstellbar ist beispielsweise auch ein preiswerterer Bürgerstromtarif“, sagt Mildenberger.

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In den zurückliegenden Jahren habe es einige, nach Meinung Mildenbergers, „mediale Kampagnen gegen die Windbranche“ gegeben. Windkraftanlagen seien Vögel- oder Insektenkiller hätten unter anderem die Vorwürfe gelautet. Derzeit mache „auf niedriger Flamme“ ein Beitrag des ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus die Runde, wonach in Windenergieanlagen Schwefel-Hexafluorid (SF6) eingesetzt, ein durchaus klimaschädliches Treibhausgas – was seit langem bekannt ist.

SF6 werde als sogenannter Isolator in allen Mittel- und Hochspannungsanlagen in der gesamten Elektrizitätswirtschaft eingesetzt, sprich in Transformatoren, Schaltanlagen, Ortsnetzstationen oder Industrieanlagen. Klimaschädlich sei SF6 immer dann, wenn Leckagen auftreten. Also nicht die Windbranche allein nutzt SF6. „Will man den SF6-Einsatz skandalisieren, müsste die Elektrizitätswirtschaft, allen voran viele Netzbetreiber, am Pranger stehen. Im Mittelspannungsbereich gibt es bereits Lösungen durch die Kombination von Vakuum- und Feststoffisolationstechnik, die ohne das schädliche SF6-Gas auskommen“, sagt Mildenberger. Der Europäische Windenergieverband und auch der Bundesverband Windenergie würden seit längeren auf die Schaltanlagen mit Co2-neutrale Lösungen drängen, was auch für alle andere konventionelle Anwendungen bindend sein sollte. Das Problem SF6 sei bekannt, so Mildenberger. Erste Lösungen gebe es bereits und würden umgesetzt.

Dass die Tourismusbranche im Sauerland dem weiteren Windkraftausbau in der Region gelassen entgegensehen könne, dafür sei eine im Juni veröffentlichte Studie der Industrie- und Handelskammer Arnsberg der beste Beleg: Dabei zeigten sich von den 1.000 Befragten, schwerpunktmäßig aus dem Ruhrgebiet, immerhin knapp 80 Prozent der potenziellen Gäste und Tagesausflügler dem weiteren Ausbau der Windenergie in der Region auf Freiflächen oder Höhenzügen aufgeschlossen gegenüber.

Auch die Nutzung von Waldschadensflächen, die sogenannten Kalamitätsflächen, hielten 73 Prozent der Befragten für richtig oder vertretbar. „Angst vor Windenergieanlagen sieht anders aus“, sagt der Geschäftsführer.