Willingen/Hochsauerland. Geht’s ohne Party-Orgien? Wo liegt die Zukunft in Willingen am Rande des Sauerlands? Zwei Sichtweisen zwischen Partytourismus und Familienidylle.

„Ihr alle verdient euer Geld mit der Party“, „Ihr habt es so gewollt“, „Willingen kann ohne Party nicht existieren“: Von solchen Aussagen zeigt sich Michèle Volkenrath mittlerweile „regelrecht gelangweilt“. Denn Substanz hätten sie nicht, erklärt die Geschäftsführerin des Hotels „Rauszeit“, das sich ganz dem Outdoor-Tourismus verschrieben habe.

+++ Mehr zum Thema +++

- Zoff um „Viva Willingen“: Der Ort wird Party-Image nicht los

- Aus für Party-Tourismus in Willingen: „Ich bin enttäuscht!“

- Knallhart-Kurs in Willingen: Aus für extremen Partytourismus

„Es hat sich bewiesen, dass Willingen sehr gut ohne exzessiven Party-Tourismus auskommt“, erklärt sie mit Blick auf die Einschränkungen der Corona-Zeit, die lange das Feiern abwürgte, aber Natur-Tourismus zeitweise laufen ließ. Wie viele im Ort etwas vom Clubtourismus haben, sei nicht zu beziffern: „In jedem Fall die Betriebe am Ettelsberg, viele andere profitieren ebenfalls davon. Mancher fühlt sich mittlerweile wohl auch ohnmächtig und glaubt, in Willingen könne es keinen anderen Tourismus mehr geben als diesen.“

Gäste fernab des Club-Milieus

In ihrem Hotel beherberge sie Gäste fernab des Club-Milieus, welche die Willinger Freizeit-Infrastruktur nutzten – vor allem in der Woche. Am Samstag fahre sie Gäste hingegen oft nach Brilon, um auf dem Rothaarsteig zu wandern. „Der Gast, der innerhalb der Woche anreist und ins Wochenende reinrutscht, lernt Willingen anfangs noch von seiner idyllischen Seite kennen und kommt erneut wieder – dann eher von Sonntag/Montag bis Freitag. Wer Willingen ausschließlich am Wochenende kennenlernt, ist schockiert und kommt eher nicht wieder – so zumindest bei unserem Gästeklientel“, hält sie fest.

Lesen Sie auch: Busfahrerin im HSK: Marie Köhler kämpft gegen Vorurteile

Zuweilen müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden; um das eigene Angebot trotz des Willinger Party-Images präsent zu machen, müsse die „Rauszeit“ viel Geld für Marketing in die Hand nehmen. Für Betriebe, die an sieben Tagen die Woche „gute Gäste“ haben könnten, seien die wachsenden Störungen durch den Club-Tourismus bitter – ebenso für Willinger, die mit dem Tourismus überhaupt nichts zu tun haben. Da kippe die Stimmung.

Konzept für erholungssuchende Aktivurlauber und Familien

Damit sich gar keine Clubs einbuchen, biete das Hotel online Übernachtungen erst ab drei Nächten an, erklärt Michèle Volkenrath. „Sofern doch einmal eine Party-Gruppe anfragt, erklären wir unser Hotelkonzept, das auf den erholungssuchenden Aktivurlauber und Familien ausgerichtet ist. Wir verzichten daraufhin auf die Buchung, da sich derartiger Gast nicht mit unserem Gästeklientel verträgt.“ Den meisten Betrieben gehe es so, dass sie keine Clubs wollen. Doch viele dieser Gäste kämen in unbewachten Ferienhäusern unter, etwa im Hoppecketal, auch in Schwalefeld nehme das zu. Andere kämen mit Bussen und verschwänden ohne Übernachtung.

Lesen Sie auch: Eigentumswohnung: 5400 Euro pro Quadratmeter in Winterberg

Willingen als eine der führenden freizeittouristischen Destinationen Deutschlands würden viele beneiden. „Das vorhandene Potenzial wird durch den exzessiven Partytourismus jedoch leider zu wenig wertgeschätzt und genutzt“, resümiert Michèle Volkenrath. Groß geworden sei der Willinger Tourismus durch diesen nicht: Schon die Urgroßeltern- bis Elterngenerationen leisteten Aufbauarbeit; Weltcup und Bike-Festival hätten den Ort vor der Jahrtausendwende bekannt gemacht: „Willingen war über die deutschen Grenzen hinaus bekannt als quirliger Wintersportort und sporttouristische Destination – nicht als Partydorf.“

Keiner habe etwas gegen geselligen Tourismus – bei zunehmenden Exzessen müssten andere Betriebe aber überlegen, ob sich Investitionen noch lohne. Bessere Ansätze gebe es – doch es dürfe nicht jeder nur sein Ding machen, der Ort müsse zusammenarbeiten.

Party-Tourismus nur eines von vielen Geschäftsfeldern, mit denen Willingen punktet

„Sechs Tage die Woche sind wir eine Bergbahn wie jede andere. Aber an sechs bis acht Stunden ist oben auf dem Ettelsberg Party“, sagt Jörg Wilke, Geschäftsführer der Ettelsberg-Seilbahn. Wirtschaftlich sei das ein guter Tag für den Betrieb. Aber „Brot und Butter“ sei es nicht mehr: So sei es gewesen, als bloß die alte Sesselbahn und die Ettelsberg-Hütte bestanden. Aber über die Jahre habe der Betrieb sich diversifiziert, sagt er und verweist auf den Bau der Kabinen-Seilbahn, des Hochheideturms, des Spielplatzes und Kyrill-Pfads, auf die durch die Beschneiungsanlagen von 30 auf mehr als 80 Tage ausgeweitete Skisaison und den Beitrag der Sesselbahn K1 zum Bike-Tourismus.

Mit Club-Tourismus Geld verdient und in andere Sparten investiert

Mit dem Club-Tourismus sei Geld verdient worden, das in andere Sparten investiert wurde, um neue Zielgruppen zu erschließen, hält Wilke fest. „Das ein oder andere in Willingen wäre vielleicht nicht entstanden“, sagt er – wobei er selbst nur für die Seilbahn sprechen könnte. Die negativen Begleiterscheinungen des Party-Tourismus seien da: „Wir verdienen Geld damit, von daher haben wir Verantwortung“, hält Wilke fest. Der K1-Bau sei ein Beispiel: „Viele Nachbarn hatten Angst, dass wir eine ,zweite Club-Bahn‘ bauen. Aber es wird niemand reingelassen, der im Ansatz den Eindruck macht, etwas getrunken zu haben.“ Auch an der Ettelsberg-Seilbahn gebe es seit Anfang an ein Kontrollkonzept – seit Anfang Mai werde es testmäßig ausgeweitet: Um die Seilbahn stehe am Wochenende ein Zaun mit zwei Eingängen, bewacht von je zwei Security-Mitarbeitern, die zusammen mit der Seilbar gestellt werden – wie die Hütten auf dem Berg und bei der K1 einem Pachtbetrieb der Seilbahn. Wer rein will, wird kontrolliert: Alkohol, Mitbringsel für Junggesellenabschiede und anstößige Kostüme werden nicht mehr mit hochgefahren, erklärt Wilke. Schon vor dem Besuch gebe es häufiger Anfragen, was mitgebracht werden darf, so Pressesprecherin Marina Kieweg.

Auswüchse des Party-Tourismus verschwinden nicht über Nacht

Für viele Gäste beginnt der Aufenthalt am Ettelsberg: „Wir sind der Anfang der ganzen Reihe“, weiß Wilke. Deshalb wolle die Seilbahn auch kommunizieren, was in Willingen geht und was nicht. Im Einlasskonzept sieht er merkliche Besserungen. Die Erwartungshaltung, dass die Auswüchse des Party-Tourismus über Nacht verschwinden, sei aber etwas hoch.

Lesen Sie auch:Hochsauerlandkreis: Zahl der illegalen Autorennen steigt an

Zumal der gesellige Teil des Angebots auch für die anderen Sparten Vorteile habe: Party-Gäste nähmen wahr, was es in Willingen noch gibt, und kämen wieder. Marina Kieweg ergänzt: „Es muss ein lebendiger Ort bleiben.“ Es seien nicht nur Landschaft und Strecken, die junge Sportaktive nach Willingen ziehen: Sie kämen, weil sie abends auch raus gehen könnten: „Das Leben drumherum darf man nicht abwürgen, nur die Auswüchse.“

Am Samstag in der Hand der Party-Urlauber

Das Segment Bike-Tourismus wachse, von Sonntag bis Freitag bestimmten Sportler, Familien, Kinder und Senioren das Programm. „Und die nächsten 25 Jahre werden wir hier Skifahren“, sagt Wilke. Zudem wolle die Seilbahn Einstiegspunkt für die Hängebrücke Skywalk werden. Der Party-Tourismus sei eins von vielen Geschäftsfeldern, bloß am Samstag mache er zwei Drittel aus. Klar sei: „Ein Wirtschaftsunternehmen kann nicht einfach sagen, das machen wir nicht mehr. Wir können es nur in eine gewisse Form bringen und Alternativen entwickeln.“