Winterberg. Der Ex-Tourismus-Chef und jetzige Bürgermeister von Winterberg, Michael Beckmann, im Interview über das Tourismus-Chaos und die Konsequenzen.
- Tausende Ski-Touristen haben in Winterberg tagelang für Chaos gesorgt - Stau, Müll und Fäkalien in Vorgärten brachten die Anwohner zur Verzweiflung.
- Bürgermeister Michael Beckmann spricht von einer „absoluten Ausnahmesituation“, verspricht konkrete Hilfe für die Bürger und kündigt an, Ordnungswidrigkeiten weiterhin zu sanktionieren.
- Besonders über jene Ausflügler, die Müllberge in der Natur und auf Parkplätzen hinterließen, ärgert sich Beckmann. Ihr Verhalten bezeichnet er als „unverantwortlich“.
Winterberg ist tagelang im Chaos versunken. Jeden Tag kamen tausende Tagestouristen, um im Corona-Lockdown einen Tag im Schnee zu verbringen. Die Folgen: Staus, Menschenansammlungen, Missachtung der Corona-Regeln, Fäkalien auf der Straße und sogar in Vorgärten, Müllberge und, und, und. Viele Bürger waren sauer und verzweifelt, jetzt atmet die Stadt auf - vorerst. Maßnahmen wie eine massive Erweiterung der Maskenpflicht oder die Sperrung von Pisten brachten nicht den erwünschten Erfolg. Die Touristenwelle überschwappte weiter die Stadt. Erst die Sperrung der Zugangsstraßen sorgte für Entspannung.
Der Bürgermeister von Winterberg, Michael Beckmann, im Interview:
Herr Beckmann, 17 Jahre lang waren Sie als Tourismus-Direktor der maßgebliche Macher der Marke Winterberg. Ist das, was sich in den vergangenen Tagen bei Ihnen abspielte, so etwas wie der Fluch der guten Tat?
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Nein, was wir in den vergangenen Tagen und Wochen erlebten, ist eine absolute Ausnahmesituation, die mit normalen Wintersport-Tourismus nichts zu tun hat. Wir befinden uns in einem Lockdown, in dem es für die Menschen kaum Möglichkeiten gibt und ja auch nicht geben soll, den eigenen vier Wänden zu entfliehen. Heißt, die, die jetzt vielleicht auch bei uns oder woanders im normalen Winterurlaub wären, die shoppen gehen oder andere Freizeitmöglichkeiten in ihrem Umfeld nutzen würden, haben diese Alternativen einfach nicht. Dies hatte zur Folge, dass unglaublich viele Menschen, die sonst Winterberg überhaupt nicht in den Fokus nehmen würden, nun auf einen Schlag auf die Idee gekommen sind, einen Tag im Schnee zu verbringen. Es ist ja bezeichnend, dass wir selbst an sehr guten Wintersport-Wochenenden so einen Ansturm nicht haben. Im Übrigen haben alle Schneegebirge Deutschlands das Gleiche erlebt.
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Welche Spätfolgen erwarten Sie?
Natürlich stehen wir gerade im medialen Blickfeld und es gibt auch viele kritische Stimmen zu unseren Maßnahmen. Wir dürfen aber auch nicht die unglaublich zahlreichen positiven Rückmeldungen vieler Menschen vergessen, die uns und unsere Situation sowie die Rahmenbedingungen wie den Lockdown richtig einordnen und uns Mut zusprechen und in unserem Handeln unterstützen. Wir machen dies ja nicht aus Spaß, sondern um unseren Teil dazu beizutragen, dass möglichst bald wieder ein normales Leben und auch Wintersport möglich sein kann. Wir möchten, dass unsere Betriebe so schnell wie möglich wieder öffnen können, um den Menschen wirkliches Urlaubs- und Freizeitgefühl zu vermitteln. Ich glaube, die Menschen, die Winterberg kennen und jetzt kennenlernen, die sich unsere nachhaltige Philosophie anschauen, die werden auch und gerade nach dem Lockdown bzw. dann, wenn das Reisen wieder möglich ist, Winterberg ganz neu oder wiederentdecken.
Haben Sie schon über Konsequenzen, die aus dem Chaos gezogen werden sollten, nachgedacht oder gesprochen und wenn ja, wie sähen die aus?
Zunächst sind wir aktuell fortlaufend dabei, die vergangenen Tage zu bilanzieren und die richtigen Schlüsse für die noch vor uns liegenden Wochenenden zu ziehen. Wir als Stadtverwaltung haben jetzt alle Register gezogen, die wir rechtlich ziehen durften und wir haben unsere guten Netzwerke genutzt, um nicht nur auf unsere Situation aufmerksam zu machen, sondern konkret Hilfe und Unterstützung zu bekommen. Dafür bin ich auch sehr dankbar, denn letztlich geht es um unsere Bürgerinnen und Bürger, um deren Sicherheit sowie um die Sicherstellung eines vernünftigen Alltags. Es geht um die Sicherstellung der Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen, es geht um die Sicherstellung eines vernünftigen Rettungsdienstes, einer guten medizinischen Versorgung, aber auch darum, das Eigentum der Menschen zu schützen, wenn Einfahrten einfach zugeparkt werden oder private Grundstücke von Menschen nicht respektiert werden. Wir alle gehen davon aus, dass im Laufe der nächsten Monate durch die angelaufenen Impfungen ein großes Stück Normalität zurückkehrt, insofern gehe ich davon aus, dass solche Maßnahmen künftig nicht mehr notwendig sein werden.
Was hat Sie persönlich am meisten betroffen gemacht?
Es gab und gibt sehr viele Gäste, die sich vorbildlich verhalten haben. Die ihren Müll mitgenommen haben, unsere Natur geschützt sowie fremdes Eigentum respektiert und die Corona-Regeln beachtet haben. Es gab und gibt aber auch viele Menschen, die das nicht getan haben. Dies finde ich unverantwortlich allen anderen Mitmenschen gegenüber. Wenn man sich alleine die Müllberge in der Natur und auf den Parkplätzen anschaut, macht mich das sehr ärgerlich und fassungslos. Ich glaube, es gehört sich einfach, das, was man mitgebracht hat, auch wieder mitzunehmen, seine Notdurft nicht überall ohne Schamgefühl zu verrichten, fremdes Eigentum zu respektieren und die gängigen Regeln einzuhalten. Verstöße werden wir weiter ahnden und sanktionieren. Die Frage ist, ob es überhaupt in Lockdown-Zeiten so weit kommen muss. Grundsätzlich gilt weiterhin unser Appell, zuhause zu bleiben und Kontakte zu reduzieren mit dem Ziel, Reisen, Ausflüge und Urlaub so bald wie eben möglich wieder genießen zu können. Das sichert auch die Arbeitsplätze und Betriebe in unserer Stadt. Dies wünschen wir uns sehr, da hilft aber nur den Lockdown zu beachten.
Gibt es auch etwas, das Sie ermuntert und ermutigt hat?
Es hat sich innerhalb von Stunden eine riesige Hilfsbereitschaft von Altenfeld bis Züschen entwickelt. Unser Ordnungsamt wurde zum Beispiel durch ehrenamtliche Kräfte bei Absperrmaßnahmen unterstützt, die Verpflegung der eingesetzten haupt- und ehrenamtlichen Kräfte haben die Hoteliers und Gastronomen ehrenamtlich übernommen und man kann sich sicher vorstellen, was es heißt, an diesen kalten Tagen eine heiße Suppe mit einem herzlichen Dankeschön überreicht zu bekommen. Oder unsere Bäcker, die die Brötchen gestiftet haben. Das war und ist ein unglaubliches gutes Gefühl. Wir haben auch unglaublich viele Zuschriften und Anrufe bekommen, die uns in unserem Anliegen und Ziel, die Menschen zu sensibilisieren, jetzt nicht zu kommen, um bald wieder alle Freiheiten genießen zu können, unterstützen und uns Mut machen. Natürlich sind wir gezwungen, harte Maßnahmen umzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen und die Sicherheit unserer Einheimischen zu gewährleisten. Umso schöner ist es natürlich, dafür, neben den zum Teil sehr respektlosen Mails, so großen Zuspruch zu erfahren.
Inwieweit müssen Sie als frischgebackener Bürgermeister eigentlich andere Prioritäten setzen als in ihrer früheren Tätigkeit?
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Der Blickwinkel als Bürgermeister, losgelöst von der aktuellen Situation, ist natürlich ein anderer. Wenn es vorher maßgeblich um die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt, vom Einzelhandel über das Handwerk bis zum Tourismus ging, liegt der Fokus jetzt auf der Weiterentwicklung unserer Schulen, der Digitalisierung unserer Stadt, der Sicherstellung einer guten und wohnortnahen medizinischen Versorgung, der Weiterentwicklung des Wohnraums, der Entwicklung von innovativen Mobilitätsformen oder auch neuen Beteiligungsformaten von der Jugend bis zu unseren Seniorinnen und Senioren. Und das alles vor dem Hintergrund schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen. Da kommt dann auch wieder die weitere wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt ins Spiel. Eine gut laufende Wirtschaft führt wieder zu guten städtischen Einnahmen, mit denen wir dann wieder in der Lage sind, in die Lebensqualität unserer Stadt zu investieren.
Was wünschen Sie sich für Winterberg und die Region für den Rest der Saison?
Ich wünsche mir, dass der harte Lockdown sehr bald eine positive Wirkung zeigt und unsere Betriebe branchenübergreifend so schnell es geht wieder öffnen dürfen. Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel, Dienstleister und unsere Freizeit-Unternehmen müssen wieder rasch eine verlässliche Perspektive bekommen. Natürlich wünsche ich mir auch, dass wir bei uns noch für ein paar Wochen eine Wintersport-Saison sehen und erleben dürfen, unsere Wintersport-Branche noch einmal durchstarten und Winterberg sich von seiner besten Seite zeigen kann. Unsere Saison ist aber inzwischen eine Ganzjahres-Saison. Deshalb ist es mein größter Wunsch, dass die Impfungen und die wärmeren Temperaturen dazu führen, dass wir die Pandemie schlussendlich so schnell wie möglich hinter uns lassen, um dann mit vereinten Kräften wieder stark und erfolgreich aus dieser Krisenzeit herauskommen und die Normalität in allen Bereichen genießen können.
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