Winterberg. Winterberg kommt nach dem Touristen-Ansturm zur Ruhe. Zurück bleibt viel Unrat, aber auch die Erkenntnis, dass die Winterberger zusammenhalten.

  • In Winterberg kehrt etwas Ruhe ein, nachdem Tagestouristen den Ort quasi überrannt haben.
  • Von dem Touristen-Ansturm zeugen jede Menge Müll, aber auch Fäkalien am Straßenrand.
  • Aber es gibt auch positive Erkenntnisse: Wenn im Sauerland helfende Hände gebraucht werden, sind sie da.

„Winterberg ist auf einmal so leer, dass es fast schon unheimlich wird“. Ein Helfer an einer Straßensperre spricht aus, was vielen Einheimischen und Einsatzkräften durch den Kopf geht – nach einer Woche, die sich vorab niemand so vorstellen konnte.

Touristen ziehen weiter in die umliegenden Dörfer

Acht Tage lang ist Winterberg völlig überrannt worden. Unzählige Appelle und Berichte in den Medien haben nicht gefruchtet, selbst verschärfte Polizeipräsenz ab Samstag und die Verfügung von Sperrungen der begehrten Ausflugsziele in den Skigebieten und am Kahlen Asten nicht.

Als am Sonntagmorgen die nächste Blechlawine auf den Wintersportort zurollt, wird die Reißleine gezogen und Winterberg weiträumig abgeriegelt. Auch Willingen hat aufgrund des ungebrochenen Besucheransturms fast gleichzeitig die Zufahrtstraßen dicht gemacht.

Essensreste liegen in Winterberg im Schnee.
Essensreste liegen in Winterberg im Schnee. © Rita Maurer | Unbekannt

Aber das schreckt die Tagesausflügler nicht ab. Die Karawane zieht an den beiden Winter-Hochburgen vorbei auf die Dörfer rundherum bis nach Olsberg, Medebach, Hallenberg, Brilon und Schmallenberg. In Altenfeld haben Landwirte die Wege abgesperrt, damit die Autos nicht in die tief verschneiten, teilweise eingesäten Felder fahren können. Videos in den sozialen Medien zeigen, wie Fahrzeuge in und zwischen den Ortschaften dicht hintereinander in den Straßengräben und Wirtschaftswegen stehen. Das Problem des Massenansturms hat sich nicht gelöst, sondern verlagert.

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Familien wollen rodeln, Influencer Fotos machen

Eine fünfköpfige Familie hat es am Sonntagvormittag noch vor der Sperrung nach Winterberg geschafft und dafür eine mehrstündige Anfahrt aus Niedersachsen in Kauf genommen. Auf die Frage, ob sie von den angekündigten Maßnahmen wussten, widersprechen sie sich. Der Papa sagt ja, die Mama nein, ist ja auch egal, die Kinder sollten schließlich mal Schlitten fahren und Schnee sehen. Echt blöd, dass es jetzt nur zu einer Rutschpartie an der Böschung vorm Oversum reicht und dass dort noch nicht mal ein Aschenbecher steht.

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„Wo ist denn hier eine coole Location für Schneefotos“, fragt ein modisch gekleidetes, perfekt geschminktes und frisiertes junges Pärchen im Kurpark. Antwort: Überall liegt doch Schnee….. nein, das ist hier nicht cool genug, es muss irgendwie anders sein. „Wie kommt man denn zu den Skipisten und dieser Sprungschanze, die man im Internet immer sieht?“ Ein kritischer Blick auf das Schuhwerk der beiden: „Gar nicht mit so dünnen Schuhen, hohen Absätzen und ohne Socken!“ Die Enttäuschung über damit entgangene Likes in den sozialen Medien ist ihnen deutlich anzusehen.

Die Tagestouristen sind vorerst weg aus Winterberg - Müll und Fäkalien bleiben. Überall auf den Straßen, Parkplätzen und Pisten findet man die Hinterlassenschaften des Massenansturms.
Die Tagestouristen sind vorerst weg aus Winterberg - Müll und Fäkalien bleiben. Überall auf den Straßen, Parkplätzen und Pisten findet man die Hinterlassenschaften des Massenansturms. © Rita Maurer | Unbekannt

Haben die beiden überhaupt mitbekommen, dass seit heute in Winterberg alle Skigebiete gesperrt sind? „Ja, schon, aber wir wollen ja nur Fotos machen. Dass gleich so viel zu ist und man hier überall so schlecht laufen kann, ja also, das haben wir nicht so wirklich gewusst.“

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Tja, Winter im Sauerland ist nun mal in natura meistens kerniger als auf weichgefilterten Instagram-Fotos! Ein Kind in der Nähe plärrt lautstark, weil die Mutter keine weiteren Fotos und Videos von ihm macht. Grund: Der Speicher an ihrem Handy ist voll.

Verbote gelten auch für Einheimische

Ein Winterberger fragt, ob er als Einheimischer denn in den gesperrten Gebieten spazieren gehen darf – jetzt, wo dort wieder Platz ist. Nein, leider nicht, das Betretungsverbot gilt für alle.

Die meisten schneehungrigen Ausflügler haben Winterberg vorerst verlassen – ihr Dreck bleibt. Schon seit Tagen sind überall Müll und Fäkalien zu beobachten. Doch jetzt, wo sich die Parkplätze leeren und die Besucherströme abziehen, wird das Ausmaß noch deutlicher: Die gesamte Straße „Am Waltenberg“ ist gesäumt von Unrat, überall liegen schmierige Essensreste, Masken, Becher, Flaschen oder Verpackungsfetzen.

Die Tagestouristen sind vorerst weg aus Winterberg - Müll und Fäkalien bleiben. Überall auf den Straßen, Parkplätzen und Pisten findet man die Hinterlassenschaften des Massenansturms.
Die Tagestouristen sind vorerst weg aus Winterberg - Müll und Fäkalien bleiben. Überall auf den Straßen, Parkplätzen und Pisten findet man die Hinterlassenschaften des Massenansturms. © Rita Maurer | Unbekannt

Auf den Parkplätzen haben viele offensichtlich alles aus ihren Fahrzeugen geworfen, was sie für überflüssig oder kaputt befunden haben – bis hin zu luftleeren Reifen, Kleidungsstücken und zerbrochenen Schlitten und Bobs oder kompletten Mülltüten.

Krähen fliegen herum und finden reiche Beute. Überall gelber, roter (von Glühwein?) und brauner Schnee. Manche Menschen scheinen sich einfach zwischen die parkenden Autos gehockt und erleichtert zu haben. Besser nicht darüber nachdenken, was demnächst Tauwetter noch alles zutage bringen wird.

Ein Blick hinter die großen Schneeberge rund um die Parkplätze? Keine gute Idee! Anwohner in Skigebietsnähe haben um ihre Grundstücke Flatterband gezogen, Schnee-Schutzwälle wurden teilweise umgefahren. Am Hillebachsee in Niedersfeld sind reihenweise die neuen Holz-Umkleidekabinen für kleine und vor allem große Geschäfte missbraucht worden.

Sauerländer helfen Sauerländern

Aber es gibt auch positive Momentaufnahmen an diesem Sonntag: Wenn im Sauerland helfende Hände gebraucht werden, sind sie da, notfalls über Nacht. Viele heimische Gastronomen haben sich am frühen Morgen spontan zusammen getan und bringen nun Kofferräume voller Kaffee- und Teekannen, belegte Brötchen und warme Suppen für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Stadt und die vielen ehrenamtlichen Helfer. Teilweise sind extra Mitarbeiter aus dem Urlaub oder der Kurzarbeit gekommen und haben gekocht.

Auch aus den Dörfern haben sich Freiwillige gemeldet, die das Ordnungsamt dabei unterstützen, die Straßen zu schließen und nur Einheimische durchzulassen. Nachbarn kommen und versorgen die Helfer mit warmen Getränken und Kuchen, bieten ihnen die privaten Toiletten an.

Viele Touristen Touristen hinterlassen Müll und Fäkalien in Winterberg – oder auch einen kaputten Schlitten.
Viele Touristen Touristen hinterlassen Müll und Fäkalien in Winterberg – oder auch einen kaputten Schlitten. © Rita Maurer | Rita Maurer

Die Einsatzkräfte und Verantwortlichen der Stadt haben an diesem Tag ein bisschen mehr Luft für kurze Gespräche. Bei allen herrscht Kopfschütteln über das, was sich im Laufe dieser Woche abgespielt hat und welches Verhalten viel zu viele Menschen an den Tag gelegt haben: Live in und rund um die Stadt, aber auch virtuell in Internet-Kommentaren, die erschreckend oft und heftig unter die Gürtellinie gehen.

Deutschland scheint nicht nur Millionen Bundestrainer und Virologen zu haben, sondern auch unzählig viele Krisenexperten für überlaufene Wintersportorte in Pandemiezeiten. Wie wird sich eine solche Gesprächskultur künftig auf die Gesellschaft auswirken. Zum Nachdenken darüber bleibt noch keine Zeit, erstmal geht der Blick in die ganz nahe Zukunft: „Was bringt uns und den Nachbarorten die kommende Ferienwoche?“