Arnsberg/Winterberg. . Zehn Stunden dauert der Tag im Prozess um ein verhungertes Kleinkind am Arnsberger Landgericht, effektiv verhandelt werden davon drei.
Das Verfahren gegen die zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg zieht sich weiter. Auch der 21. Prozesstag im Fall um ein verhungertes Kleinkind hat keine wirklich neuen Erkenntnisse gebracht.
Der Tag beginnt mit einem erneuten Antrag von Verteidiger Stephan Lucas. Er hatte einen weiteren psychologischen Gutachter beantragt. Dem Ersuchen erteilt die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, Richterin Dorina Henkel, eine Absage.
„Das Gutachten liegt mir erst seit gestern Abend vor, ich konnte bisher nicht mit meiner Mandantin sprechen“, so Lucas. Nach einstündiger Beratungspause fordert er eine erneute, diesmal längere Unterbrechung. Als Reaktion auf den Antrag ist aus dem Zuschauerraum ein Seufzen zu vernehmen. Lucas weist darauf hin, dass er die Unterbrechung nicht als Herauszögerungstaktik nutzen wolle. Kommentare aus dem Publikum seien zudem nicht erlaubt.
Mentaler Zustand der Angeklagten
Zwei weitere Aufschübe führen dazu, dass Lucas erst um 13.30 Uhr seinen neuen Antrag vorträgt. Wieder geht es um den mentalen Zustand der Angeklagten. Ein weiterer unabhängiger Experte solle den Zustand seiner Mandantin bewerten. Nur weil seine Mandantin im April 2014 „äußerlich“ dem Geschlechtsverkehr mit ihrem Ex-Partner zugestimmt hätte, heiße das nicht, dass sie sich nicht „innerlich zu Wehr gesetzt“ habe.
Darum geht es in dem Fall
Seit September 2017 muss sich die 41-Jährige wegen des Vorwurfes der Körperverletzung mit Todesfolge und der Körperverletzung durch Unterlassen verantworten. Ihr 25 Monate alter Sohn war 2014 an Unterernährung gestorben.
Die jüngere Schwester war in einem schlechten Zustand, konnte aber gerettet werden.
Die Bewertung, ob die Angeklagte unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung infolge der mutmaßlichen Vergewaltigung durch ihren Ex-Partner leidet, hält der Verteidiger weiterhin für wesentlich. Der psychiatrische Gutachter Dr. Schlömer hatte der Angeklagten jedoch mehrfach volle Schuldfähigkeit attestiert. Für Schlömer liegt keine Belastungsstörung vor. Sein Urteil hatte er unter anderem darauf gestützt, dass die Angeklagte trotz der mutmaßlichen Vergewaltigung noch einmal mit ihrem Ex-Partner einvernehmlich Geschlechtsverkehr gehabt habe.
Schuldgefühle dem Ex-Partner gegenüber
Lucas kritisiert vor Gericht diese Argumentation. „Meine Mandantin hatte enorme Schuldgefühle ihrem Ex-Partner gegenüber. Insbesondere, weil sie ihm erst später vom Tod des gemeinsamen Kindes berichtet hatte.“ Die Frau habe sich dem „Willen ihres Peinigers“ gefügt, sagte der Anwalt. Er fordert ein neues Gutachten eines unabhängigen Experten.
Um 14.45 Uhr ist klar: Auch dieser Antrag ist gescheitert. Richterin Dorina Henkel: „Es gab bereits ein schriftliches Gutachten von Dr. Schlömer sowie zwei Nachexplorationsgespräche mit der Angeklagten.“ Dabei habe die Angeklagte nicht von dissoziativen Zuständen, als einer Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung, berichtet.
Feilschen um Verhandlungstermin
Zwischenzeitlich feilschen Richterin, Verteidiger und Staatsanwalt um einen neuen Verhandlungstermin. Zentrales Problem dabei: Anwalt Lucas reist für jeden Prozesstag aus München an. Er schlägt vor, für den nächsten Termin mit dem Flieger zu kommen, um Zeit zu sparen. Staatsanwalt Neulken ist nicht überzeugt: „Da wird ein Flug bezahlt und dann müssen Sie nach ein paar Stunden wieder weg?“
Plädoyers und Urteilsverkündung werden vertagt
Kurz vor 16 Uhr: Lucas kündigt einen neuen Antrag an. Richterin Henkel will wissen: „Wie lange brauchen Sie dafür?“ Lucas mit einem Anflug von Selbstironie in Bezug auf die Erfahrungen der letzten Monate: „Das meinen Sie wahrscheinlich mir einem Augenzwinkern, oder? Bei meinen bisherigen Einschätzungen zur Dauer hätten Sie auch einen Schimpansen fragen können.“ Staatsanwalt Neulken fordert: „Das Gericht könnte hier auch eine Frist setzen.“
Nach einer letzten Unterbrechung fällt die Entscheidung: Die Plädoyers und Urteilsverkündung werden vertagt. Anwalt Lucas: „Ich fühle mich heute nicht mehr in der Verfassung, mein einstündiges Plädoyer zu halten.“ Dafür fehle nach zehn Stunden die Konzentration.
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