Arnsberg/Winterberg. . Wende im Prozess gegen die zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg. In einer Erklärung hat sie schwere Versäumnisse eingestanden.

  • Angeklagte gibt Erklärung ab und räumt Versäumnisse ein
  • Gutachter spricht von einem gestörten Mutter-Kind-Verhältnis
  • Prozess vor dem Arnsberger Landgericht geht in die Endphase

Überraschende Wende im Prozess gegen die zehnfache Mutter vor dem Schwurgericht Arnsberg. Die 40-Jährige hat am Dienstag durch ihren Anwalt eine Erklärung verlesen lassen. Darin räumt sie ein, dass sie den schlechten Ernährungs- und Pflegezustand zweier ihrer Kinder ab einem gewissen Zeitpunkt erkannt, aber nicht reagiert habe. Der Angeklagten wird Körperverletzung mit Todesfolge bzw. vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Frau lebte damals mit ihren neun Kindern im Raum Winterberg. Ihr zweijähriger Sohn starb im Februar 2014; seine neun Monate alte Schwester überlebte durch die Kunst der Ärzte im Krankenhaus Hüsten.

Erklärung abgegeben

„Meine Mandantin möchte nach reiflicher Überlegung eine Erklärung abgeben“, sagte Verteidiger Stephan Lucas. Demnach habe die Mutter gewusst, dass ihr Sohn „viel zu dünn war“ und dass er habe leiden müssen. Mit ihren Möglichkeiten habe sie es nicht vermocht, daran etwas zu ändern. Sehenden Auges sei sie nicht eingeschritten und habe keinen Arzt gerufen. Sie habe aber niemals gewollt, dass das Kind sterbe. Sie werde sich ihr Leben lang Vorwürfe machen und sich der Verantwortung stellen. „Ich liebe und vermisse ihn, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Ich habe nicht geglaubt, dass sein Zustand so ein Ausmaß annimmt. Und ich dachte, es reicht, wenn ihn sich der Arzt bei der nächsten U-Untersuchung anschaut.“

Überraschende Einlassung

Mit dieser überraschenden Einlassung hat die 40-Jährige ihren Kindern eine Vernehmung im Zeugenstand erspart. Insgesamt vier Kinder hatte die Zweite große Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Dorina Henkel geladen. Die Vorstellung, dass die Kinder in einem Prozess aussagen müssten, in dem es um die Beurteilung der Schuld ihrer eigenen Mutter gehe, sei unerträglich, begründete die Angeklagte ihren Schritt.

Damit rückt das Ende des Prozesses in greifbare Nähe. Auch die Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes, die gestern geladen war, muss nun nicht mehr aussagen. Gegen sie läuft noch ein Berufungsverfahren, nachdem sie vom Amtsgericht Medebach wegen angeblicher Versäumnisse bei der Kontrolle der Familie zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden war.

Gutachten vorgestellt

Am Dienstag stellte der Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Heymut Omran aus Münster sein Gutachten über die beiden Kinder vor. Es waren mitunter erschreckende Details über den Gesundheitszustand des 25 Monate alten Jungen und seiner neun Monate alten Schwester. „Solche schlechten Werte habe ich in meinem Berufsleben noch nicht gesehen“, sagte er zum Blutbild des Jungen. Der habe „ausgeprägte Austrocknungsanzeichen, einen hochgradig reduzierten Ernährungszustand und einen fast vollständigen Schwund sämtlicher Fettzellen“ gehabt. Er wog noch 6650 Gramm. Ein Jahr vorher war er in einem Krankenhaus behandelt worden; das Gewicht damals: 8110 Gramm. Der Fachmann schließt jegliche andere Erkrankungen aus: „Dieses Kind hätte unbedingt einem Arzt vorgestellt werden müssen.“ Nur unwesentlich besser war es offenbar um das Mädchen bestellt. Auch hier war von „Ausmergelung, veränderten Salzwerten und stärksten Anzeichen von Austrocknung“ die Rede. Das Kind wog mit neun Monaten 4600 Gramm; 4800 Gramm wäre dagegen das Normalgewicht eines neun Wochen alten Mädchens.

Gestörtes Mutter-Kind-Verhältnis

Dr. Omran glaubt nicht, dass den Kindern gar keine, sondern schlussendlich zu wenig Nahrung angeboten wurde. Er neigt zu der Theorie eines „gestörten Mutter-Kind-Verhältnisses, bei dem Kommunikation und Interaktion nicht funktionierten.“ Vielleicht sei die Frau in ihrer familiären Situation überfordert gewesen und habe den Kindern nicht ausreichend viel Zuwendung geben können. Elternsein bedeute nicht nur Kalorienspendung, sondern Zuwendung.

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