Arnsberg/Winterberg. . Massive Gewalt soll an der Tagesordnung gewesen sein. Gutachter sprechen imFall der 10-fachen Mutter von Vernachlässigung der Primärbedürfnisse.

  • Fast acht Stunden lang hat das Schwurgericht am Freitag verhandelt
  • Das am ersten Verhandlungstag entstandene Bild der fürsorgenden Mutter bekam Risse
  • Die Rahmenbedingungen, in denen das Kind gelebt habe, seien deprimierend gewesen

Es war ein Mammut-Tag. Fast acht Stunden lang hat das Schwurgericht am Freitag verhandelt. Acht Stunden wurde versucht, weitere Puzzleteilchen zu sortieren, um sich ein Bild von einer 40-jährigen Frau und ihren Lebensumständen zu machen. Acht Stunden, nach denen immer noch nicht feststeht, ob sie eine Rabenmutter ist, ob sie maßlos überfordert oder von Gewalt durch ihren Mann eingeschüchtert und steuerungsunfähig war. Die zehnfache Mutter soll zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt haben. Der Zweijährige starb in einem erbärmlichen Zustand; die neunmonatige Schwester wurde in letzter Sekunde gerettet.

Gespräche mit einigen Kindern der Familie geführt

„Mama, die Kleinen schreien. Geh doch mal hin!“ Es sind erschütternde Details, die Diplom-Psychologin Eva Pütz zitiert. Sie hat Gespräche mit einigen Kindern der Familie geführt. Und dabei soll dieser Satz gefallen sein. Sie habe hochgradig traumatisierte Kinder mit Schuldgefühlen kennengelernt, die von massiver körperlicher Gewalt durch den Vater berichtet hätten. Die Älteren, aber auch junge Geschwister hätten demnach „nicht altersgerechte Aufgaben“ von Erwachsenen übernehmen müssen. Ein älterer Sohn habe gesehen, wie sich der Zustand seiner kleinen Geschwister verändert habe. Auf das Faxenmachen der Geschwister sollen sie nicht mehr reagiert haben, deutliche Veränderungen in ihren Gesichtern habe er wahrgenommen. Die Kleinen hätten viel geweint und nicht mehr gelacht...

Familienrechtliches Gutachten ist ernüchternd

Das am ersten Verhandlungstag entstandene Bild der fürsorgenden Mutter bekam Risse. Was die Sachverständigen in ihrem familienrechtlichen Gutachten als Fazit schildern, ist ernüchternd. „Das kleine Mädchen konnte nicht erwarten, dass sich jemand feinfühlig und zeitnah um seine Bedürfnisse kümmerte“, sagte die Psychologin. Von „nicht angemessener Zusprache seitens der Bezugsperson“ und „Vernachlässigung der Primärbedürfnisse“ ist die Rede. Die Rahmenbedingungen, in denen das Kind gelebt habe, seien deprimierend gewesen. Nach drei Monaten in der Pflegefamilie sei das Mädchen hingegen aufgeblüht. Es habe gegessen und aktiv seine Umwelt wahrgenommen. Es habe aber verspannt und abwehrend reagiert, sobald die richtige Mutter bei einem Besuch den Raum betreten habe.

Sehr massiv und nahezu täglich soll die häusliche Gewalt des Vaters gegenüber den Kindern gewesen sein. Von Schlägen mit Hand, Knüppel und Messer berichtet Diplom-Psychologe Hans Bierbrauer nach Gesprächen mit den Kindern, die seiner Meinung nach durchweg gravierende Entwicklungsdefizite und behandlungswürdige Störungen haben. Die Angeklagte sei nicht bereit gewesen, Hilfe zur Familienpflege anzunehmen. Vielleicht sei dies aber aus Scham nicht passiert. „Ich vermute, sie hatte eine starke Sehnsucht nach einer Familie, die sie selbst nie gehabt hat.“ Sie habe vor der Wahl gestanden, wem gegenüber sie loyal sein wolle: gegenüber dem Vater oder ihren Kindern.

Familiensituation berücksichtigen

Für Verteidiger Stephan Lucas sind die Ausarbeitungen der Sachverständigen hypothetisch, die Rückschlüsse „voreilig und tendenziös“. Die Familiensituation werde nicht vollständig berücksichtigt. Es sei nicht klar abgrenzbar, welche Rolle der Kindsvater in der Erziehung gespielt habe. Selbst wenn hier eine Vernachlässigung vorläge, sei nicht klar, ob ein bewusster Vorsatz oder eine Überforderung seiner Mandantin oder eine Einschüchterung durch die massive Gewalt des Kindsvaters vorgelegen habe.

  • Der Prozess wird länger als geplant dauern. Für nächsten Freitag waren Plädoyers und Urteil geplant, an dem Tag sollen aber unter Umständen einige der Kinder als Zeugen aussagen. Auch die Aussage des Vaters steht noch aus. In Anbetracht der massiven Beschuldigungen gegen ihn, ist ein Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht auszuschließen. Es ist daher auch fraglich, ob er unter diesen Umständen Angaben machen wird.


  • In Anbetracht des Vorwurfs der häuslichen Gewalt durch den Vater, soll die Mutter noch einmal von einem Gutachter untersucht werden.

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