Hagen. Er polarisiert, hat Fürsprecher und solche, die ihn ablehnen. Dies ist die Selbstwahrnehmung des Coaches von Phoenix Hagen.
Ein Spiel, eine Niederlage. Im Grunde ist überhaupt nichts passiert. Denn obwohl Phoenix Hagen in der vergangenen Woche schon drauf und dran war, das Auftaktspiel für sich zu entscheiden, verloren sie am Ende doch noch in der Ischelandhalle gegen Jena. Ein Team, das für die Verhältnisse der zweiten Liga Pro A mit echter Star-Power durchsetzt ist und als klarer Aufstiegsfavorit gilt. Bei uns war klar zu sehen, dass wir noch nicht komplett eingespielt sind“, sagte Phoenix-Coach Chris Harris nach dem Spiel. Hoch spannend ist kurz vor dem Duell mit den Kirchheim Knights (19 Uhr, Ischelandhalle) aber der Satz, der danach folgte: „Es gab heute viele kleine Momente, in denen wir – auf dem Feld und auch ich als Trainer – nicht smart genug waren.“ Harris ist öffentlich selbstkritisch. Der Kanadier arbeitet seit sechs Jahren in einem besonderen Spannungsfeld in Hagen zwischen Beliebtsein, als Angezweifelter, fast schon Weggeschickter und als Top-Besetzung.
„Es gibt niemanden wie ihn, der uns als Verantwortliche so herausfordert wie Chris. Er sucht Wochen und Monate nach Spielern, führt tausende Gespräche, schaut Videos, holt Erkundigungen ein, bereitet unheimlich akribisch vor und nach. Das sieht niemand.“
„Ich weiß, wie unpopulär ich war. Das habe ich mitbekommen“, sagt der 45-jährige Kanadier aus Calgary mit Blick auf seine Anfangszeit als Cheftrainer in Hagen. Harris kam damals als Co- und zwischenzeitlicher Cheftrainer des Erstligisten Bremerhaven nach Hagen. Hier hatte er mehrere Jahre schon als Jugend- und Herrentrainer den BBV Hagen betreut. Professionelle Herrenteams coacht Harris seit 20 Jahren. Er hat also nicht mehr das Nervenkostüm eines Grünschnabels, sondern hat schon ein paar Stürme erlebt.
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Das besondere Hagener Publikum
Im Gespräch mit der Redaktion nimmt sich Harris Zeit, auf das besondere Hagener Publikum einzugehen, bevor er zum Kern seiner Antwort auf die Frage kommt, ob sich sein durchwachsenes Image verbessert habe: „Ich bin viel, viel lieber hier in Hagen, wo Basketball geliebt und gelebt wird, anstatt irgendwo tätig zu sein, wo es kaum jemanden interessiert, was wir machen. Es gibt hier in Hagen so viele Basketball-Verrückte und natürlich haben viele von ihnen auch eine starke Meinung.“ Harris weiß aber auch, dass in der traditionsreichen und deutschlandweit berüchtigten Halle am Ischeland regelmäßig bis 3000 Zuschauer sitzen, von denen viele ebenfalls glauben, ein ganz guter Zweitligatrainer zu sein.
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„Ich glaube zum Beispiel, dass die Covid-Saison eine meiner besten war. Wir hatten einen sehr kleinen Etat und keinen Heimvorteil wegen der Kontaktbeschränkungen. Und das interne Ziel lautete: nicht absteigen. Am Ende hatten wir 9 Siege und 17 Niederlagen, aber viele Fans waren enttäuscht und ich war bei vielen unpopulär. Dabei war das unter diesen Bedingungen einfach nur top. Das war der Kontext damals.“
Da ist sogar in Teilen etwas dran. Die Hagener Basketballszene ist nicht vergleichbar mit den Massen, die an Fußballstandorten wie Schalke oder Dortmund oder im Basketball in Berlin zusammenkommen. Dadurch, dass der Standort klein, aber hochklassig ist, sitzen eben viele Funktionäre, Trainer, Basketballbewanderte oder Fortgebildete auf der Tribüne. Und sie alle machen sich jenes Bild von Chris Harris, das ein einzelnes Spiel produziert. Wie wechselt er? Wie reagiert er auf schlechte Läufe? Wie verhält er sich in Schlussphasen?
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In Teilen umstritten
Es hat Saisons gegeben, da war Harris nicht nur auf der Tribüne und in Basketballforen umstritten, sondern auch bei Gesellschaftern und Sponsoren. Nicht bei allen, aber bedeutenden. Das gehört zum Business. Harris weiß das. Er wisse aber auch, dass es zu oberflächlich ist, einen Profi-Trainer nur anhand von Spielen zu bewerten. Auch wenn die Zuschauer dieses Recht mit ihrer Eintrittskarte quasi mit bezahlen.
Harris gilt im Club als hoch akribischer Arbeiter, der Phoenix - abseits der Zeit für seine eigene Familie - lebt. Tag und Nacht. Phoenix-Geschäftsführer Martin Schmidt sagt über ihn: „Es gibt niemanden wie ihn, der uns als Verantwortliche so herausfordert wie Chris. Er sucht Wochen und Monate nach Spielern, führt tausende Gespräche, schaut Videos, holt Erkundigungen ein, bereitet unheimlich akribisch vor und nach. Das sieht niemand.“ Harris hat jedem einzelnen Spieler des Teams gemäß eines Führungs- und Verantwortungsmodells eine Rolle gegeben. Wie ein Profil, das genau beschreibt, was derjenige für das Team und die gemeinsamen Ziele geben kann.
Aufgehört, über sich zu lesen
„Wie man mich jetzt sieht, kann ich wirklich nicht sagen, weil ich nicht mehr lese, was im Internet und in den Medien über uns geschrieben wird“, sagt Harris und verweist darauf, dass das öffentliche Bild auch stark von der internen oder seiner eigenen Wahrnehmung abweichen könne: „Ich glaube zum Beispiel, dass die Covid-Saison eine meiner besten war. Wir hatten einen sehr kleinen Etat und keinen Heimvorteil wegen der Kontaktbeschränkungen. Und das interne Ziel lautete: nicht absteigen. Am Ende hatten wir 9 Siege und 17 Niederlagen, aber viele Fans waren enttäuscht und ich war bei vielen unpopulär. Dabei war das unter diesen Bedingungen einfach nur top. Das war der Kontext damals.“
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Erfahrener Coach als Mentor
Es helfe ihm auch, mit erfahrenen Coaches wie Peter Krüsmann zu reden, der ihm sage: „Chris, mach‘ dir keinen Kopf, du bist eh der Depp. Ist egal, was du tust, egal wie erfolgreich du spielst, der Trainer ist immer der Depp. Deswegen ist es viel gesünder für mich, wie es sich in den letzten Jahren sich so entwickelt hat. Ich nehme das auch gerne an, das gehört einfach dazu“, sagt Harris. Das sei überdies auch bei Gordon Herbert nicht anders oder bei Steve Kerr.
„Nicht, dass ich mich mit ihnen vergleichen möchte. Aber jemand, der in die Öffentlichkeit steht, wird kritisiert. Politiker, Sportler oder andere. Deswegen tut es mir einfach gut, mich auf die Sache zu konzentrieren, meinen Weg zu finden, mich darauf zu konzentrieren, was der Mannschaft hilft. Heimspiele von Phoenix sind das Ding in Hagen. Das ist das, was in Hagen los ist und nach den Spielen wird dann noch in der Kneipe über das Spiel diskutiert, es wird analysiert und gefachsimpelt – auch Tage danach noch. Wir geben den Menschen in Hagen etwas, das sie positiv und manchmal auch negativ begeistert. Wir spielen eine wichtige Rolle für sie. Und das ist doch schön.“