Winterberg. Drohen Deutschland medaillenlose Olympische Spiele? Einem Chef-Bundestrainer platzt der Kragen. Wen er hart attackiert, was er fordert.
Vor den Olympischen Winterspielen 2022 setzte René Spies dieses Thema zum ersten Mal auf die Agenda. Seitdem wird der Winterberger als Chef-Bundestrainer Bob des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland (BSD) nicht müde, über die seiner Meinung nach zu geringen Trainergehälter im deutschen Sport zu sprechen. Der 51-Jährige, der für etliche Olympia- und WM-Medaillen seiner Sportler verantwortlich ist, mahnt, warnt – und zieht auf Nachfrage vor dem Start in die Saison 2024/25 ein ernüchterndes Fazit.
Spies: Es ist nichts passiert
Herr Spies, Sie haben vor den Olympischen Winterspielen 2022 in China die Trainerbezahlung im deutschen Sport thematisiert und kritisiert. Was ist seitdem passiert?
René Spies: Es gibt vom Deutschen Olympischen Sportbund eine so genannte Traineroffensive, durch die es mehr Mittel und Anerkennung für Trainer geben soll. Aber, Stand jetzt – und da spreche ich nur für unseren Verband, den Bob- und Schlittenverband für Deutschland – ist gar nichts passiert. Die letzte Anpassung der Gehälter des Leistungssportpersonals war 2019.
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Vor fünf Jahren sind Gehälter zuletzt angepasst, also angehoben worden?
Ja, vor fünf Jahren. Jetzt schauen Sie sich die jährlichen Inflationsraten an. Die Trainer verdienen de facto rund 30 Prozent weniger als 2019. Und das prangere ich an. Der DOSB ist das Kontroll- und Verteilungsorgan und ein Organ, das die Verbände unterstützen und entwickeln soll. In den vergangenen 15 Jahren ist aber sehr, sehr wenig passiert in dieser Richtung. Deshalb prange ich diesbezüglich das Verhalten des DOSB an.
„Wir Trainer können das Gerede über Anerkennung nicht mehr hören. Es ist unerträglich, wenn man bei solchen Vorträgen sitzt.“
Fehlt dem DOSB die Erkenntnis, dass die Trainer ein wichtiger Faktor für den Medaillen-Erfolg sind?
Was ist das Wichtigste, um im Leistungssport eine Leistung zu entwickeln? Das ist in der täglichen Arbeit immer die Symbiose aus Trainer und Sportler. Das ist die Hauptbasis im Leistungssport. Dazu kommen motivierte Trainingswissenschaftler, Physiotherapeuten und Ärzte im Hintergrund. Natürlich benötigt man Infrastruktur. Wenn aber Trainer und Aktive die Basis sind, muss man diese stärken. Ich glaube, dass man das erkannt hat, weil schon seit 15 Jahren geredet wird. Aber der DOSB ist zu schwach, um die Basis zu stärken.
Spies als Sprecher der normalen Trainer
In den Reden der Offiziellen klingt das anders.
Wir Trainer können das Gerede über Anerkennung nicht mehr hören. Es ist unerträglich, wenn man bei solchen Vorträgen sitzt. Wichtig ist mir zu betonen, dass ich nicht von meiner persönlichen finanziellen Situation rede. Ich spreche allgemein über etwa 90 Prozent der Trainer im deutschen Leistungssport. Ich bin Chef-Bundestrainer und würde mich nie beklagen, mir geht es gut. Es geht um alle anderen Trainer.
Wie hoch – oder niedrig – sind die Gehälter der großen Mehrzahl der Trainer?
Die Spanne ist inhomogen. Das hat auch mit den jeweiligen Verbänden zu tun. Vielleicht liegt der monatliche Schnitt bei 4000 Euro brutto, vielleicht manchmal drunter. Wir sprechen über wiederkehrende Jahresverträge mit einer Arbeitszeit, die bei den meisten den Rahmen sprengt. Da reden wir nicht über 40 Stunden pro Woche.
Das Thema Arbeitszeit
Gibt es keine vorgeschriebene, tarifliche Arbeitszeit?
Wenn wir unterwegs sind, dann kommst du von Montag bis Sonntag nicht mit 40 und auch nicht mit 50 Stunden hin, meistens mit 60 auch nicht. Es gibt Vorgaben, aber die sind teilweise utopisch. Aber die Arbeitszeit ist nicht das Problem.
Sie ist aber ein Teil des Problems, oder?
Ja, aber wir sprechen über Leute, die brennen für ihren Job. Die Bezahlung ist einfach nicht adäquat.
Woher soll das Geld für adäquate Trainergehälter kommen?
Wenn man den Bundeshaushalt sieht, der für den gesamten Leistungssport Sommer und Winter etwa ein Promille seines Gesamtvolumens vorsieht, ist das wenig für einen Bereich, der Leistung bringt, der dafür sorgt, dass zehntausende Kinder und Jugendliche nicht auf der Straße herumlungern, sondern dass sie Werte für ihr späteres Leben mitbekommen. In den Bereich Soziales fließen ungefähr 40 Prozent des Haushaltes.
„Wir müssen nicht darüber reden, was für die Gesellschaft wichtiger ist: Eine Krankenpflegerin oder ein Spitzensportler? Meine Antwort ist immer die Krankenpflegerin.“
Wie meinen Sie diesen Hinweis?
Wir müssen nicht darüber reden, was für die Gesellschaft wichtiger ist: Eine Krankenpflegerin oder ein Spitzensportler? Meine Antwort ist immer die Krankenpflegerin. Das ist die Basis, die wir haben müssen. Aber es passt in den Kontext, denn auch bei Krankenpflegern sieht man, dass Leistung immer weniger wert ist. Die Spanne zwischen denen, die Leistung bringen, und denen, die Leistung bringen könnten, aber nicht wollen, wird finanziell immer geringer in Deutschland.
„Bei uns gibt es wenig Typen, die Lust haben, die Medaillen auszutanzen oder auszusingen.“
Sie dürften auch kein Freund der Abschaffung von Sieger- und Ehrenurkunden bei Bundesjugendspielen in der Schule sein.
Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass Leistung immer weniger gewollt ist, teilweise sogar verpönt. Aber bei uns gibt es wenig Typen, die Lust haben, die Medaillen auszutanzen oder auszusingen. Es prallen zwei Welten aufeinander. Es ist in den vergangenen drei Jahren rapide abwärts gegangen, eine Katastrophe, weil überall Geld fehlt.
Im Ausland lockt mehr Geld
Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Trainerzunft im deutschen Leistungssport?
Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist nach zwölf. Jeder Trainer verdient besser, wenn er woanders hingeht. Der deutsche Leistungssport existiert nur noch, weil man teilweise zuhause wohnt und Junggeselle ist, weil das Umfeld und – wie bei uns – der Verband gut sind. Ansonsten würde alles zusammenbrechen, weil jeder im Ausland mehr verdient oder in anderen Berufen weniger Stress hat.
Welche Bezahlung wäre Ihrer Meinung nach adäquat für Trainer?
Man könnte das System an einen Beamtentarif anpassen. Was ich aber hauptsächlich kritisiere: Es gibt immer nur Ein- oder Zweijahresverträge ohne Sicherheit, dass die Inflation mal bereinigt wird durch eine Anpassung. Das ist ein desaströses Gefühl für die Trainer, bei dem, was die leisten. Für alle Entbehrungen im Trainerjob müsste man mehr als in vergleichbaren Jobs verdienen. Wir fühlen uns vom DOSB alleine gelassen.
Spies: PotAS ein gefräßiges Monster
Obwohl es doch eine Traineroffensive gibt.
Es wird sehr, sehr viel geredet. Das ärgert mich einfach dermaßen, ebenso wie ein anderes Thema.
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Welches?
Die Potenzialanalyse PotAS, die der DOSB vor Jahren startete. Das ist ein gefräßiges Monster, das ganz, ganz viel Geld kostet, aber – ich spreche für unseren Verband – keinen unserer Aktiven eine einzige Hundertstelsekunde schneller oder einen Trainer besser gemacht hat. Der Anteil von PotAS an der Leistung, die wir produzieren, ist Null. Ich sage sogar: PotAS kostet viel Geld und macht uns schlechter.
Wie kommen Sie zu der Einschätzung?
Kurz gesagt, weil verantwortliche Personen, mit denen ich etwa nach Olympischen Spielen eigentlich eine Struktur für die nächsten vier oder acht Jahre entwickeln müsste, mehrere Wochen lang irgendwelche PotAS-Listen ausfüllen müssen. Das Geld für PotAS wäre in adäquaten Trainergehältern besser angelegt. Die Situation ist bei vielen prekär. Wir benötigen keine einzige Kommission mehr, wenn das Thema nicht angegangen wird. Ich kann es verbildlichen.
„Wir haben keinen Sprit mehr. Das ist etwas übertrieben dargestellt, aber so ist die Situation: Das Auto steht.“
Gerne.
Wir haben ein Auto mit 300 PS. Wir haben seit zehn Jahren gewarnt, dass wir auf Reserve laufen beim Sprit. Jetzt steht das Auto. Wir haben keinen Sprit mehr. Nun sagt der DOSB: Wir haben das erkannt. Wir geben euch das Geld für den linken Blinker und die Scheibenwischanlage und dann schaut ihr mal. Dann sagen wir: Schön, aber wir können das Auto nicht starten. Wir haben keinen Sprit mehr. Das ist etwas übertrieben dargestellt, aber so ist die Situation: Das Auto steht.
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Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der Trainer werden möchte?
Mach. Es. Nicht. Im Moment. Sobald die Bezahlung an den Öffentlichen Dienst oder so angepasst ist, würde ich sagen: Mach es sofort. Weil es der beste Job ist, den du haben kannst.
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