Winterberg. Leonie Fiebig (BSC Winterberg) will bei der Bob-WM mit Kim Kalicki den Titel verteidigen. „Es geht um unser Leben“, warnt sie zudem.
An diesem Freitag (15 Uhr) startet mit den ersten beiden von insgesamt vier Läufen im Zweierbob der Frauen Teil zwei der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft in Winterberg. Leonie Fiebig, Anschieberin des BSC Winterberg, gehört mit Pilotin Kim Kalicki (TuS Eintracht Wiesbaden) zum Kreis der Favoritinnen. Die 33-Jährige spricht im Interview über das Projekt Titelverteidigung, aber auch über das Thema Sicherheit. „Es geht um unser Leben“, sagt sie und versteht einiges nicht.
Winterberg: Deutsches Podest?
Frau Fiebig, Ihre Vereinskollegin vom BSC Winterberg, die Pilotin Laura Nolte, startet mit Deborah Levi als Anschieberin in die WM. Beide holten 2022 Olympia-Gold, Levi feierte kurz vor der WM ihr Comeback nach einer langen Verletzung. Ist dadurch Ihr Ziel, die Titelverteidigung, umso mehr in Gefahr?
Leonie Fiebig: Laura und Debbi bilden natürlich ein weiteres Top-Duo. Aber wichtig ist, dass Kim und ich fit sind. Wir haben gut auf diese Weltmeisterschaft hingearbeitet. Ich hatte sogar das Privileg, in den vergangenen Wochen statt zum Beispiel den Weltcup in Altenberg zu fahren, nochmal in Köln gezielt an der Athletik trainieren zu dürfen. Wir sind fit und heiß. (grinst)
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Pilot Johannes Lochner prognostizierte für die WM im Zweierbob der Männer ein rein deutsches Siegerpodest. Trauen Sie sich diese Prognose für den Zweierbob der Frauen ebenfalls zu?
Wir schicken mit Laura und Debbi, mit Lisa Buckwitz und Vanessa Mark und natürlich mit Kim und mir drei starke Bobs an den Start. Ja, ich schätze ein rein deutsches Podest als möglich ein. Aber der Spielraum für Fehler ist beim Bobfahren so klein, dass man schnell mehrere Plätze verlieren kann, wenn man nur einen kleinen Fehler macht. Wir haben als Team in dieser Saison ja schon bewiesen, dass ein deutsches Podest möglich ist, allerdings sind die Anderen auch gut drauf.
Kalicki trotzt Wehwehchen
Wer sind die Anderen?
Teams aus den USA, Kanada und der Schweiz zum Beispiel – es sind einige Nationen.
Die Saison Ihrer Pilotin Kim Kalicki verlief nicht reibungslos. Sie war von mehreren Verletzungen geprägt. Wie geht es ihr?
Die Wehwehchen, die Kim hat, die bleiben erstmal, weil man sie nicht schnell beheben kann. Aber sie hat einen guten Weg gefunden, damit umzugehen. Und den Rest muss ich halt ausgleichen. (lacht)
Fiebig: Klares Ziel
Das heißt, dass zum Beispiel neue Startbestzeiten Ihr persönliches Ziel für die insgesamt vier Läufe sind. Denn das ist das, was Sie maßgeblich beeinflussen können.
Das Ziel, also unser Ziel, ist ganz klar die Titelverteidigung. Wir sind im vergangenen Jahr in St. Moritz Weltmeister geworden und alles andere wäre jetzt gelogen. Natürlich ist es meines Erachtens schwieriger, einen Titel zu verteidigen, als ihn zu holen. Deshalb wären Startbestzeiten schon sehr hilfreich. Wir sind die Gejagten. In dieser Position war ich noch nie.
Es fühlt sich aber ganz gut an, in dieser Position zu sein?
Die Herangehensweise an die Läufe ist wie bei jedem anderen Rennen auch. Klar weiß ich, dass wir bei einer Heim-WM starten, doch fokussiert bleiben muss ich so oder so. Ich bin gespannt, aber: Wir sind fit.
Offen, vielleicht sogar etwas frech gefragt: Sie sind mit 33 Jahren nicht mehr die Jüngste im Team – wäre eine Medaille bei einer Heim-WM nicht ein guter Zeitpunkt für das Karriereende?
(lacht) Ehrlicherweise bin ich nicht mehr am Anfang meiner Karriere, weshalb ich von Saison zu Saison entscheide. Ich muss einerseits darauf hören, was mein Herz sagt. Andererseits muss ich aber auch darauf schauen, was mein Körper macht. Und momentan habe ich das Gefühl, dass ich in der Form meines Lebens bin. Ich habe aufgehört, zu viele Pläne zu machen, weil es doch oft anders kommt, aber momentan sagt mein Herz: Es geht so oder so weiter.
Fiebig fordert Westen-Pflicht
Umso mehr dürfte Sie die Sicherheitsdebatte interessieren, die nach dem schweren Viererbob-Unfall im Training zum Weltcup in Altenberg hochkochte. Wie stehen Sie dazu?
Besonders für mich als Anschieberin steht unsere Sicherheit an erster Stelle. Dieses Thema ist ein schwieriges, aber ein enorm wichtiges, das meines Erachtens schon sehr lange diskutiert wird. Es geht um unsere Gesundheit – und wie man sehen musste: um unser Leben. Dafür mahlen die Mühlen aus meiner Sicht viel zu langsam. Aber wir Athleten haben unsere Forderungen eingereicht und werden nicht locker lassen.
Welche Forderungen sind das?
Es geht zum Beispiel um die Pflicht, eine Kevlar-Weste zu tragen, und um bestimmte Umbaumaßnahmen an Bahnen. Ganz ehrlich? Ich hätte in Altenberg Probleme gehabt, in den Bob zu steigen, weil ich gesehen habe, was Sandro (Michel, schwer verletzter Anschieber aus der Schweiz; Anm. d. Red.) passiert ist. Für mich wäre das eine extrem schwierige Situation gewesen. Bei solchen Unfällen kann nicht nur die Karriere vorbei sein, sondern das Leben. Deshalb erwarte ich, dass wir – also Athleten, Verbände und Bahnbetreiber – zusammenhalten und schnell eine Lösung finden. Das kann nicht noch jahrelang so weitergehen.
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Wie empfinden Sie die Sicherheitsmaßnahmen bei der WM in Winterberg?
Für die WM würden alle nötigen Vorkehrungen getroffen. Aber jetzt gilt es, das im normalen Weltcup-Betrieb zu etablieren. Das ist die Herausforderung.
WM-Titel war Genugtuung
Für Leonie Fiebig, 33-jährige Wahl-Kölnerin, die ursprünglich aus Minden in Ostwestfalen stammt, war der Titelgewinn bei der WM 2023 in St. Moritz auch ein stückweit Genugtuung. Denn vor den Olympischen Winterspielen 2022 gehörte sie zu den besten deutschen Anschieberinnen. Doch Chef-Bundestrainer René Spies holte erst überraschend die Top-Sprinterin Alexandra Burghardt mit Blick auf die Olympischen Winterspiele für eine Stippvisite in sein Weltcup-Team und unterbrach dann auch die Ausbildung zur Pilotin bei Lisa Buckwitz. Das Resultat: Fiebig erlebte die Winterspiele in China als Ersatzanschieberin. Laura Nolte/Deborah Levi holten Gold vor Mariama Jamanka/Alexandra Burghardt. Kim Kalicki und Lisa Buckwitz wurden Vierte. „Olympia ist abgehakt“, sagte Fiebig vor der WM in St. Moritz.
Tragen Sie bereits eine Kevlar-Weste unterm Rennanzug?
Ohne die Kevlar-Weste steige ich nicht in den Bob. Du spürst sie kaum, weil sie nur etwas dicker als ein T-Shirt ist. Sie wiegt etwa 300 Gramm, klar, das muss man ins Gesamtgewicht einberechnen. Aber sie zu tragen ist total unproblematisch. Ich verstehe nicht, warum es keine Pflicht gibt und warum einige Athleten noch ohne fahren. Das ist für Anschieber der einfachste Schutz, den man haben kann. Bei Piloten ist der Helm ein Thema, damit die Halswirbelsäule nicht überstreckt wird.
Fiebig: Intensivste Stabi-Übung
Sandro Michel wurde aus dem Bob geschleudert. Wie stark klammern Sie sich während einer Fahrt fest?
Ich bin die ganze Zeit maximal angespannt. Das ist die intensivste einminütige Stabi-Übung, die man haben kann. Eigentlich fährt immer der Hintergedanke mit, nicht verloren zu sein, wenn wir stürzen. Alle Risiken wird man natürlich nicht ausschließen können, aber was machbar ist, sollte auch gemacht werden.