Essen. Die EM 2024 ist vorbei, Spanien hat verdient gewonnen. Auf den Rängen und Straßen war einiges los. Fünf Fanlager, die in Erinnerung bleiben.
Wenn die ganze Stadt schon vor den Aufräumarbeiten des Folgetages in Orange getaucht ist, dann kann das nur bedeuten, dass die Niederländer da sind. Bis zum EM-Halbfinale kamen zunächst Hamburg, Leipzig, Berlin, München und nochmal Berlin in den Genuss, die zu zehntausenden angereisten niederländischen Fans zu beherbergen, ehe sie ihrer „Deutschland-Tour“ zum Halbfinale in Dortmund die Krone aufsetzten. Über 100.000 niederländische Fans sollen vor Ort gewesen sein. Die Zahlen variieren. Was sicher ist: Sie haben eine rauschende Party gefeiert. Fünf Fangruppen, die auch nach der EM 2024 in Erinnerung bleiben.
Niederlande: „Naar links, naar rechts“ und fast bis ins EM-Finale
Was war das für ein Tag in Dortmund? Am Tag des EM-Halbfinals gegen England dominierte die Farbe Orange das Stadtbild. Rot-Weiß? Schwarz-Gelb? Keine Chance. Die Fans der Niederlande hatten Dortmund fest im Griff. Als sie sich gegen 16:30 Uhr zu einem Fanmarsch aus der Innenstadt zum Westfalenstadion zusammenschlossen, ergab sich ein beeindruckendes Bild. Zehntausende Oranje-Fans liefen dem zum Markenzeichen gewordenen Partybus hinterher, tanzten, sangen und tranken.
Ein besonderes Highlight: Als tausende Niederländer mitten in Dortmund Snollebollekes „Links rechts“ feierten. Menschenmassen bewegten sich von einer Seite zur anderen und ergaben ein beeindruckendes Bild. Auch wenn „Oranje“ schließlich in jenem Halbfinale unglücklich an England (1:2) scheiterten: der zahlenmäßig größte Haufen an Gästefans, der dem ein oder anderen Einheimischen auch über das Turnier hinaus einen Ohrwurm dagelassen hat, bleibt in guter Erinnerung.
England: Reisefreudige Trunkenbolde im typisch britischen Stil
Eigentlich trennen Engländer und Deutsche im Fußball eine große Rivalität. Das Wembley-Tor von 1966, als England durch ein vermutlich irreguläres Tor Weltmeister wurde. Die „Wiederholung“ 2010, als Frank Lampards Treffer zu Unrecht nicht zählte und Deutschland ins WM-Viertelfinale einzog. Und dazwischen viele Spiele, in denen vor allem Deutschland die Oberhand behielt. Nicht umsonst sagte die englische Fußball-Legende Gary Lineker 1990: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“
34 Jahre später hat dieser Ausspruch einiges an Aktualität eingebüßt. Deutschland musste im Viertelfinale die Segel streichen, England steht im EM-Finale. Immer begleitet von tausenden Fans, die in den deutschen Innenstädten schon von weitem zu erkennen waren. Typisch britisch hängten sie stets ihre Zaunfahnen an die Außenfassaden jener Bars und Biergärten, in denen sie sich niedergelassen hatten.
Auch wenn sie mit der Stadt Gelsenkirchen (Stichwort: Sh*thole) offenkundig nicht viel anfangen konnten, hinterließen sie auf den Rängen, anders als auf dem Rasen, einen bleibenden Eindruck. Klassiker wie „Don‘t take me home“ oder „On our way“ sorgten ebenso für Stimmung wie das Abkulten einzelner Spieler oder die Nationalhymne „God save the king“. Ein gern geäußerter Vorwurf: Die Engländer singen nur, wenn sie erfolgreich sind. Das waren sie bei diesem Turnier. Und wenn die ganze Kurve einstieg, war dem kein gegnerisches Kraut gewachsen.
Schottland: Sympathieträger mit Bier und Kilt - und bald jährlich in Deutschland?
Sie waren eine der Entdeckungen der EM: Gleich zum Eröffnungsspiel standen die schottischen Fans im Mittelpunkt, weil sie den Spielort München in eine Partyzone verwandelten. Der Marienplatz war blau-weiß, Fans badeten in Fischbrunnen und tranken Bier in Strömen. Manche Bars wurden schlicht „leergetrunken“.
So gut wie immer mit dabei: Die in Schottland landestypischen Kilts und Dudelsäcke und eine Menge Sangesfreude. In München feierten schottische und deutsche Fans gemeinsam - auch wenn es sportlich mit dem deutschen 5:1-Sieg eine klare Nummer wurde. Schottland musste schon nach der Vorrunde die Segel streichen, für einen bleibenden Eindruck reichte das offenbar aber. Max Kirchi aus Berlin startete eine Petition mit dem Namen „Annual friendly match between Germany and Scotland“. Darin fordert er: „Wenn man sich die Bilder und Videos der letzten Tage in Deutschland anschaut, merkt man, dass sich ein Band zwischen den Fans aus Schottland und Deutschland bildet.“
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Der Berliner führte weiter konkrete Vorschläge ins Feld, wann und wo die Spiele stattfinden könnten. „Ob bei den Fanfesten, den Fanmeilen oder einfach im Alltag auf den Straßen und in den Kneipen, die Bürger beider Nationen werden zu Freunden. Deutsche jubeln für Schottland, Schotten jubeln für Deutsche.“ Stand Samstag, 13. Juli, hat die Petition knapp 90.000 schriftliche Unterstützer gefunden. Die Tartan Army, wie die schottischen Fans genannt werden, könnten als schneller als gedacht zurückkommen.
Georgien: gallisches Dorf im EM-Rausch - über Portugal bis Spanien
Es waren nicht die Massen, wie sie aus Schottland, England und den Niederlanden nach Deutschland kamen. Aber die Fans von Georgien vermittelten, was ihnen diese historische erste Teilnahme an einem großen Nationenturnier bedeutete. Nach dem 2:0-Sieg gegen Portugal und dem damit verbundenen EM-Achtelfinaleinzug brachen in Gelsenkirchen alle Dämme.
Die Bewohner des Staates an der Grenze zu Asien feierten frenetisch und verwandelten Gelsenkirchen in eine Partyzone. Im Kampf gegen russische Einflussnahme im Land war und ist der Fußball eine willkommene Ablenkung, die an diesem Abend sogar ins Achtelfinale führte. Zwar war da gegen Spanien (1:4) trotz früher 1:0-Führung Schluss, doch allein der Mannschafts-Empfang in der georgischen Hauptstadt Tiflis zeigte, was den Menschen dort dieses Turnier bedeutet: Zehntausende fluteten die Straßen und ließen die sympathische Geschichte vom Underdog, der den Europameister von 2016 geschlagen hat und so sensationell ins Achtelfinale eingezogen ist, noch einmal weiterleben.
Deutschland: Fast immer gute Gastgeber - mit Saxophon und neuer Euphorie
Zum Ende bleiben natürlich noch die Deutschen. Zahlenmäßig reicht natürlich nichts an Deutschlands Fans heran, doch wichtiger waren bei dieser EM andere Werte. Die Euphorie etwa, die die Nationalmannschaft bis ins Viertelfinale getragen und, bei einem anderen Schiedsrichter, womöglich auch noch darüber hinaus getragen hätte. Die Einigkeit, mit der die Fans in Zeiten, in der Deutschland vielerorts gespalten ist, zusammen hinter der Nationalelf standen. Und dann ist da noch André Schnura.
„Der Typ mit dem Saxophon“, wie er sich selbst nennt, tauchte immer wieder an verschiedenen EM-Spielorten auf und heizte den Menschen auf den Fanfesten ein. Er intonierte Klassiker wie „Samba de Janeiro“ oder den wiederbelebten „Major Tom“. Die Massen feierten. Er selbst wolle „mehr Liebe verbreiten“ und „die Menschen vereinen“. Womit wir wieder beim Thema wären. Auch Schnura hat seinen Teil dazu beigetragen.
Negativ in Erinnerung bleiben vor allem die Pfiffe gegen Marc Cucurella im EM-Halbfinale der Spanier. Cucurella war es, der einen Schuss von Jamal Musiala im Strafraum mit der Hand geblockt und dafür keinerlei Strafe bekommen hatte. Ob man ihn im Halbfinale, ohne deutsche Beteiligung, über das ganze Spiel hinweg auspfeifen muss? Eher nein. Aber am Ende bleibt es ein Wermutstropfen einer tollen EM, bei der auch die deutschen Fans beeindruckt haben.