Dortmund. Im EM-Halbfinale zeigt England seine beste Leistung und gewinnt 2:1 gegen die Niederlande. Nun aber wartet der bisher härteste Gegner.
Gareth Southgate tat, was er schon so oft getan hatte bei dieser Europameisterschaft, er schuf einen Moment, der für Ästheten nur schwer zu ertragen war. Der englische Nationaltrainer legte nämlich ein, nun ja, Tänzchen hin auf dem Rasen des Dortmunder Stadions. Da brach sie durch, die pure Erleichterung nach dem 2:1 (1:1)-Sieg gegen die Niederlande im Halbfinale der Europameisterschaft, das den Engländern die Teilnahme am Finale gegen Spanien am Sonntag (21 Uhr/ARD und Magenta) einbrachte. „One more! One more!“, rief Southgate den rund 20.000 völlig ekstatischen englischen Fans zu, ein Sieg also noch bis zum ersehnten Titel, den die Anhänger mit ihrer Lieblings-Liedzeile besangen: „It‘s coming home“, der EM-Pokal kommt nach Hause.
Finalteilnehmer England – das hatte sehr lange sehr unwahrscheinlich geklungen. Die Engländer waren mit fünf Punkten aus drei Spielen durch die Gruppenphase gerumpelt, im Achtelfinale hatte sie nur ein Geniestreich des Künstlers Jude Bellingham vor einem blamablen Aus gegen den Außenseiter Slowakei bewahrt, gegen die Schweiz brauchte es die Lotterie des Elfmeterschießens und mit jedem Spiel war die Kritik am Trainer Southgate gewachsen, der so viele herausragend begabte Spieler zur Verfügung hat, diese aber höchst uninspiriert spielen lässt. Fans, Journalisten, Experten: Sie alle meckerten über den unansehnlichen Fußball der Mannschaft und spekulierten fröhlich darüber, wann es denn vorbei sein würde mit dem Trainer Southgate.
Nun steht der mit seiner Mannschaft im Finale. „Wir werden in jeder Runde besser und das war mit Abstand unsere beste Leistung“, meinte Kapitän Harry Kane. „Wir hatten es absolut verdient, zu gewinnen.“ Das stimmte, besonders in der ersten Halbzeit. Da hatten die Engländer alle überrascht, erst recht ihre niederländischen Gegner, weil sie plötzlich das Spektakel statt der Kontrolle suchten.
Die taktische Maßnahme von Gareth Southgate ging auf
Ein wenig hatte das sicherlich zu tun mit dem frühen Führungstreffer der Niederländer, den Xavi Simons mit einer robusten Balleroberung gegen Declan Rice und einem prächtigen Schuss aus 20 Metern im Alleingang besorgt hatte (7.). Und ganz viel hatte es zu tun mit den personellen Maßnahmen des so oft kritisierten Southgate, der gleich vier Freigeister auf den Platz stellte: Kane, Foden, Bellingham und der 19-jährige Kobbie Mainoo durften sich weitgehend frei über den Platz bewegen, durften sich ohne allzu viele taktische Fesseln ihre Räume suchen und hebelten so das extrem mannorientierte Defensivspiel der Niederlande immer wieder aus. Harry Kanes Ausgleichstreffer per Elfmeter kam so prompt wie verdient (18.) und danach gab es viele weitere gute Chancen.
Oft initiiert durch Mainoo, den Mittelfeldspieler von Manchester United, der trotz seiner Jugend mit einer beeindruckenden Reife auftrat, der in den richtigen Momenten ins Dribbling ging, der die richtigen Pässe spielte und sich überaus klug auf dem Feld positionierte. Die Niederländer aber machten es auch leicht, weil sie das Mittelfeld oft entblößten. Erst als Bondscoach Ronald Koeman nach einer guten halben Stunde umstellte, fand die Elftal so richtig in die Partie, da schien sie das Spiel wieder auf ihre Seite zu ziehen. Bis der eingewechselte Engländer Cole Palmer in der Nachspielzeit einen klugen Pass in den Strafraum spielte, bis Ollie Watkins den Ball annahm, sich blitzschnell drehte und aus reichlich spitzem Winkel ins lange Eck schoss. Nun hatte Southgate auch noch ein goldenes Händchen bei seinen Wechseln bewiesen.
Die Engländer glauben an ihre Chance gegen Spanien
„Es gab vorher viel Gerede, zum Teil auch zu Recht“, sagte Kane. „Aber ich habe immer gesagt: Bewertet uns nach dem Turnier. Wir sind jetzt im Finale, darauf sind wir stolz, aber dafür sind wir nicht angereist. Wir wollen das Turnier gewinnen.“ Das allerdings wird extrem herausfordernd gegen eine spanische Mannschaft, die anders als die Engländer von Beginn des Turniers an überzeugt hat und die nun der erste richtig harte Brocken wird, dem sich die Engländer gegenüber sehen. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Der englische Weg ins Finale war nicht allzu kompliziert, die starken Mannschaften befanden sich fast durchweg im anderen Turnierbaum.
Doch mit jedem Spiel ist auch das Selbstbewusstsein der Three Lions gewachsen. „Wir glauben an unsere Fähigkeiten“, sagte Foden. „Spanien ist ein fantastisches Team, sehr stark im Ballbesitz. Aber wir haben auch unsere Stärken.“ Und Kapitän Kane verwies darauf, dass seine Mannschaft in allen drei Spielen der K.o.-Runde einen Rückstand gedreht hatte. „Das zeigt den Charakter und die Resilienz des Teams“, sagte er. „Wir haben alles, was man braucht, um ein Turnier zu gewinnen.“ Inzwischen sogar ordentlichen Offensivfußball – zumindest eine Halbzeit lang.