Dortmund. BVB-Star Nico Schlotterbeck bewirbt sich im EM-Achtelfinale um einen Startplatz im DFB-Team. Doch Bundestrainer Nagelsmann hat eine Tendenz.

Antonio Rüdiger saß auf dem Hosenboden im eigenen Strafraum. Er hatte soeben in der Nachspielzeit den Schuss des Dänen Jannik Vestergaard geblockt und zelebrierte dies auf eine für ihn typische Art mit dem Hang zum Wahnsinn. Rüdiger schrie, schlug seine Fäuste immer wieder in die Luft und hatte den Mund weit aufgerissen. „Ich bin ein emotionaler Spieler auf dem Platz. Es war ein wichtiger Block, es war wie ein eigenes Tor“, sagte Rüdiger später, als er wieder tiefenentspannt zur Pressekonferenz erschien.

Eine andere Beobachtung zu den deutschen Innenverteidigern am Samstagabend: Nico Schlotterbeck hatte im großen Dortmunder Stadion seinen Bruder wiedergefunden. Keven (27), der zuletzt für den VfL Bochum spielende Bundesliga-Profi, unterstützte den drei Jahre jüngeren Nico im pink-lilanen Schlotterbeck-Trikot mit der Nummer 15 von der Tribüne aus. Beide grinsten in die Kamera. Der eine, stolz auf seinen kleinen Bruder. Der andere glücklich darüber, es vielen Kritikern gezeigt zu haben.

DFB-Team: Nico Schlotterbeck gelingt sein bisher bestes Länderspiel

Jonathan Tah sah das 2:0 (0:0) im EM-Achtelfinale gegen Dänemark im Deutschland-Retrotrainingsanzug. Fans schossen Erinnerungsfotos mit dem gesperrten Abwehrmann auf der Tribüne. Nach Schlusspfiff durfte Tah auch mit auf den Rasen und fiel gleich Sportdirektor Rudi Völler um den Hals.

Ein Jubel, der in Erinnerug bleiben wird: Antonio Rüdiger nach seinem Block gegen Jannik Vestergaard.
Ein Jubel, der in Erinnerug bleiben wird: Antonio Rüdiger nach seinem Block gegen Jannik Vestergaard. © DPA Images | Marcus Brandt

Und Julian Nagelsmann? Der zuckte mit den Schultern, womit er eine gewisse Ohnmacht ausdrücken wollte, dass er wohl keine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung entwickeln wird. Der Bundestrainer steht im Viertelfinale vor einem „Luxusproblem“, in Folge dessen er entweder Schlotterbeck oder Tah auf die Bank setzen muss. „Nico hat sehr gut gespielt, aber Jonah hat alle Spiele auch herausragend gut gestaltet.“ Knifflig.

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Was insbesondere daran lag, dass Schlotterbeck, 24, in seinem Heimstadion sein bisher bestes Länderspiel absolviert hat. Der von Nagelsmann lange nicht berücksichtigte Dortmunder rutschte auf den letzten Drücker in den EM-Kader, seine Rolle schien klar definiert zu sein als Innenverteidiger Nummer drei hinter Anführer Rüdiger und Tah. Doch ob der Gelb-Sperre des Leverkuseners erhielt Schlotterbeck ausgerechnet in Dortmund seine Chance, auf der großen Bühne des Achtelfinals – und nutzte sie. Mit einer Ausnahme, bei der er im Strafraum den Ball vertändelte und großes Glück hatte, dass Rasmus Hojlunds Schuss nur im Außennetz einschlug.

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    „Ich glaube, dass wir ein super Spiel gemacht haben“, sagte Schlotterbeck. „Wir haben etwas im Land ausgelöst. Wir spielen mit Euphorie, wir spielen mit Spaß und das ist das, was im Fußball das Schönste ist. Ich bin gottfroh, dass wir zu Null gespielt haben. Wir haben außergewöhnlich verteidigt.“ Er selbst war präsent. In der Abwehrarbeit am Boden und in der Luft, aber auch bei eigenen Standardsituationen. Beinahe hätte er noch eine ganz besondere Geschichte geschrieben. Nach vier Minuten köpfte er bereits zum vermeintlichen 1:0 ein, doch dem vorausgegangen war ein Block von Joshua Kimmich, der seinen Gegenspieler an sich abprallen ließ. Der Videoassistent griff ein, Schiedsrichter Michael Oliver nahm den Treffer zurück. Eine kleinliche Entscheidung, meinte Nagelsmann.

    Der Ball im Tor, doch es sollte nicht zählen: Nico Schlotterbeck dreht trotzdem zum Jubel ab.
    Der Ball im Tor, doch es sollte nicht zählen: Nico Schlotterbeck dreht trotzdem zum Jubel ab. © Getty Images | CARL RECINE

    So blieb dann ein anderer Moment in Erinnerung, bei dem viele Fans im Dortmunder Stadion ein Deja-vu erlebten. Wie so viele Male, vor allem in der Rückrunde, schlenzte Schlotterbeck den Ball über das gesamte Spielfeld, optimal platziert in den Lauf des Angreifers. Ein Zuckerpass im Regen. Jamal Musiala spurtete schließlich allein auf den zu zögerlichen dänischen Torwart Kasper Schmeichel zu und schob zur Entscheidung ein (68.).

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    Und hinten stand die Null, was auch an Manuel Neuer lag. Und den Torwart verzückte. „Kompliment an unsere Verteidiger, das haben sie wirklich stark gemacht“, befand Neuer. Rüdiger war allein schon aufgrund seiner mitreißenden Zweikampfführung maßgeblich dafür verantwortlich. „Es wird viel über Stürmer gesprochen bei einem Turnier, aber es ist wichtig, zu Null zu spielen, in so einer Phase des Turniers“, meinte der Abwehrchef von Real Madrid, der gegen die Dänen eine Seriösität an den Tag legte, wie man sie von ihm im Trikot der Nationalelf noch nicht allzu häufig gesehen hat.

    Durfte im Achtelfinale von Dortmund bloß zuschauen: Jonathan Tah.
    Durfte im Achtelfinale von Dortmund bloß zuschauen: Jonathan Tah. © AFP | Ina Fassbender

    Im Viertelfinale wird er daher in jedem Fall spielen. Für beide möglichen Partner, Tah oder Schlotterbeck, gibt es stichhaltige Argumente, doch Nagelsmann dürfte dazu tendieren, wieder mit Double-Sieger Tah zu beginnen. Vielleicht stellt der Bundestrainer bis dahin in der Trainingswoche aber auch selbst noch die eine oder andere Beobachtung an.

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