Herzogenaurach. Die Geburtsorte der Nationalspieler verraten viel über den deutschen Fußball. Eine Reise durch die Bundesrepublik – und Usbekistan.
Diese Reise zu den Spuren der Nationalspieler beginnt mehr als 5000 Kilometer südöstlich von der deutschen Hauptstadt Berlin entfernt. Olmaliq heißt die Stadt an den nördlichen Ausläufern des Quaramagebirges, etwas mehr als 100.000 Menschen leben dort. Waldemar Anton hat den Ort in Usbekistan, in dem er am 20. Juli 1996 geboren ist, noch einmal als kleiner Junger besucht. „Wir hatten einen riesigen Bauernhof mit vielen Tieren“, erzählt der Innenverteidiger des VfB Stuttgart. Der 27-Jährige zählt sie auf: Hühner, Ziegen, Kühe, Gänse. „Gefühlt gab es dort jedes Tier – und viel Natur.“ Wie passend. Die Stadt ist schließlich nach olma benannt, dem usbekischen Wort für Apfel, weil es dort so viele Bäume in freier Wildbahn gibt.
Waldemar Anton, der mit zwei Jahren nach Deutschland aussiedelte, ist damit der einzige deutsche Nationalspieler im Kader für die Europameisterschaft, der nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik zur Welt kam.
DFB-Team: Sogar Spuren zum Wunder von Bern
Die Reise geht weiter über die Hauptstadt Berlin, aus der Antonio Rüdiger und Maximilian Mittelstädt stammen. Über die Fußball-Hochburg Ruhrgebiet und viele kleine und mittelgroße Städte, die in der Liste der berühmten Söhne der Stadt Fußballer aufzählen und sonst nicht mehr viele andere. Und dann ist da noch Kaiserslautern, die Wiege des Wunders von Bern.
Als ein Motto für die Europameisterschaft hierzulande hat der Deutsche Fußball-Bund folgendes ausgegeben: „In Deutschland. Für Deutschland.“ Der Verband wirbt mit Plakaten, auf denen Thomas Müller, Florian Wirtz, Ilkay Gündogan und Niclas Füllkrug zu sehen sind. Ein Blick auf die Geburtsorte der Spieler zeigt den großen Wahrheitsgehalt dahinter.
Häufig wurde in den vergangenen Jahren über Herkunft und Identität deutscher Nationalspieler gesprochen. Es gab unsägliche Rassismus-Vorfälle. Aus der rechten Ecke des Stadions wird auch heute noch versucht, zu spalten, Spieler, deren Wurzeln im Ausland liegen, aus der Mannschaft und damit der Gesellschaft auszugrenzen. Dabei ist die deutsche Elf längst ein Abbild aller Menschen, die in diesem Land leben. Im Westen, Norden, Osten und Süden. „Wir sehen vielleicht anders aus, aber wir sind auch deutsch“, hat Kapitän Gündogan kürzlich in einem langen Gespräch mit dem Spiegel gesagt. „Ich weiß, dass es Menschen wie mich in Führungspositionen braucht, weil es eine neue Realität in Deutschland widerspiegelt.“
DFB-Team: Ruhrgebiet ist Hochburg des Fußballs
Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, stellt wie so oft in der Geschichte die meisten Nationalspieler. Das Ruhrgebiet hat dabei eine besondere Bedeutung. Gündogan und Manuel Neuer wuchsen in Gelsenkirchen auf, Leroy Sané ein paar Ausfahrten der Autobahn 40 weiter in Essen. Chris Führich ist Castrop-Rauxeler. „Im Ruhrgebiet wird oft Bolzplatz-Fußball gespielt“, weiß der Flügelstürmer. „Gleichzeitig gibt es viele sehr gute Nachwuchsleistungszentren, nicht nur die der Bundesligisten. Ich glaube, dass man dort eben viele versteckte Talente findet.“
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Die deutsche Mannschaft erzählt viel über deutsche (Fußball-)Geschichte. Als Toni Kroos 1990 in Greifswald geboren wurde, war die Mauer zwar eingerissen, aber Deutschland noch geteilt. Robert Andrich und Maxi Beier kommen aus Potsdam und Brandenburg an der Havel. Sie kennen die DDR wie Kroos nur aus Erzählungen.
Und dann ist da noch Robin Koch. Der 27-Jährige wird bei dieser Europameisterschaft höchstwahrescheinlich keine große Rolle spielen, in der Hierarchie der Innenverteidiger ist er auf Platz fünf. Aber er repräsentiert einen der wichtigsten Orte der DFB-Geschichte. Fünf Kaiserlauterer – Kapitän Fritz Walter, Ottmar Walter, Horst Eckel, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer – führten die Nationalmannschaft 1954 zu ihrem ersten WM-Titel. Heute steht der FCK nicht mehr für großen Fußball, dafür aber viel Tradition – eine Eigenschaft, die den deutschen Fußball auszeichnet.
DFB-Team zwischen Metropolen und kleinen Städten
Nicht zuletzt erkennt man die Gegensätze zu Stadt und Land. Rüdiger und Mittelstädt aus der Metropole Berlin, Jamal Musiala aus München, Emre Can aus Frankfurt, Jonathan Tah aus Hamburg. Dem gegenüber Oliver Baumann aus Breisach am Rhein und Deniz Undav aus Varel. Kombiniert haben die beiden Orte 38.000 Einwohnerinnen und Einwohner, doppelt so viele Fans besuchen am Freitag das Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland (21 Uhr/ZDF).
Undav, der Mann aus Ostfriesland mit Eltern aus der Türkei, hat vor seiner ersten Nominierung im Gespräch mit Bundestrainer Julian Nagelsmann eine klare Aussage getroffen: „Einigkeit, Recht und Freiheit – das habe ich ihm gesagt.“ Werte, die mehr zählen sollten als ein Geburtsort oder Wurzeln.