Werl/Arnsberg. Hurra. Werl jubelt. Der Rat der Stadt freut sich, Einzelhändler frohlocken. Der Plan: Am Autobahnkreuz A 44/A 445 soll mit 18 000 Quadratmetern Verkaufsfläche eines der größten Factory Outlet Center (FOC) Deutschlands entstehen. Jenseits der Stadtgrenzen verwandelt sich der Jubel in Skepsis. Arnsberg, Lippstadt oder Soest fürchten den Abfluss von Kaufkraft und eine Verödung ihrer Innenstädte. Ein Lagebericht.
„Ganz Werl ist Feuer und Flamme“, sagt Stephan Rahmann, Chef der Marketing-Abteilung bei Möbel Turflon und Vorsitzender des Wirtschaftsrings Werl. „120 aktive Mitglieder stehen hinter dem Vorhaben.“ Kritik der benachbarten Kommunen und den Hinweis auf das vereinbarte regionale Einzelhandelskonzept wischt er weg. „Das ist der Neid der Besitzlosen.“ Allein der Werbeffekt für die Stadt sei unbezahlbar. „Wenn zehn Prozent der Kunden in die Stadt kommen, ist es in Gewinn.“
Seinen Optimismus teilt Raumplaner Prof. Dr. Michael Nadler von der Technischen Universität Dortmund nicht. „Wenn es keine Anbindung an Werls Innenstadt gibt, fahren die Leute von der Autobahn ab, gehen ins FOC und fahren wieder auf.“ Bei dieser Lage auf der grünen Wiese könne niemand ernsthaft eine Stärkung der Innenstadt erwarten.
Natürlich komme es zu einer Umverteilung der Kaufkraft in der Region. „Besonders im Bereich von Textilien und Sportartikeln. Die Menschen können das Geld nur einmal ausgeben.“ Investoren in dieser Größenordnung gingen von einem Umsatz von 4000 Euro pro Jahr pro Quadratmeter aus. „Da sind wir schnell im zweistelligen Millionenbereich.“
Wissenschaftler bestreitet Stärkung des Tourismus in Werl
Umsatz, der in den Geschäften betroffener Branchen fehle und den Einzelhandel in den kleineren und mittleren Städten in der Nachbarschaft in eine schwierige Situation bringe. Dass der Tourismus auf diese Weise in Werl gestärkt wird, glaubt der Wissenschaftler nicht. „Das gilt nur für Regionen, in denen Tourismus eine wichtige Rolle spielt.“
So wie es in Metzingen in Baden-Württemberg der Fall ist. Auf der Reise in den Süden gehört für viele ein Boxenstopp in Outlet City dazu. Nicht wenige kleiden sich hier für ein ganzes Jahr ein. Die Stadt hat darunter nicht gelitten. Warum? „Die Outlet-Geschäfte liegen im Zentrum“, sagt Christoph Heise, Sprecher der Industrie- und Handelskammer Reutlingen. „Sie sind organisch mit gewachsen. Outlet City ist touristisch ein Gewinn.“
Kritische Meinungen zu Projekten auf der grünen Wiese
Reutlingen, 112.132 Einwohner und um die Ecke, hat unter der Entwicklung nicht gelitten. „Die Stadt“, so Heise, „zieht mehr Kaufkraft an als sie verliert.“ Stichwort Zentralitätsziffer: Reutlingen hat 141,3. Es ist die Ziffer, mit der Experten Abfluss und Gewinn der Kaufkraft einer Stadt messen. Liegt sie über 100 wie für Reutlingen bedeutet es 41,3 Prozent mehr Umsatz, als Kaufkraft in der Stadt vorhanden ist, liegt sie unter 100 wie in Meschede und Arnsberg, fließt Kaufkraft ab. Wer auf die Grafik schaut, ahnt, was auf die Städte in Werls Nachbarschaft zukommt.
Thomas Frye: "Wir sollten nicht in Hysterie verfallen"
Thomas Frye vom Geschäftsbereich Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer Arnsberg, teilt die Hurra-Berichterstattung aus Werl nicht, will die Pläne, ohne nähere Einzelheiten zu kennen, nicht bewerten: „Das wäre verfrüht. Wir sollten nicht in Hysterie verfallen, wir wissen zu wenig.“
Die Kammer müsse eine kritische Haltung zu Projekten auf der grünen Wiese einnehmen. „Wir machen uns natürlich für die Belebung der Innenstädte stark.“ In der gegenwärtigen Diskussion beruhigt ihn, „dass ständig Standorte für Outlet-Center auftauchen und wieder in der Versenkung verschwinden“.
Center in Roermond und Würzburg warnende Beispiele
Dass Outlet-Center im niederländischen Roermond ist Wirklichkeit geworden - zum Leidwesen von Nora Timmerbeil, Geschäftsführerin des Rheinischen Einzelhandels- und Dienstleistungsverbands in Neuss. „Outlet-Center sind der Todesstoß für Innenstädte.“ Es werde billigend in Kauf genommen, dass die Innenstädte der kleinen Städte sterben. „Sie haben es ohnehin schwer.“ Ihr Kollege Volker Wedde, Geschäftsführer vom Einzelhandelsverband Unterfranken, der Wertheim Village bei Würzburg an der A 3 vor der Tür hat, stimmt zu: „Es fließt viel Kaufkraft ab.“
Das Schlusswort gehört dem Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Westfalen-Münster, Thomas Schäfer. Er sagt: „Der Einzelhandel gehört nicht auf die grüne Wiese. Es wäre wirklich eine Katastrophe.“ Die Stadt Werl schweigt. Sprecher Ulrich Canisius ruft nicht zurück. Er hat die Durchwahl 1001. Vielleicht ist alles ja auch nur ein Märchen.