Nachrodt-Wiblingwerde. Zumindest Fußgänger können seit Montag die Lenne bei Nachrodt-Wiblingwerde wieder passieren. Beobachtungen in einem geteilten Ort.

Es ist ungewöhnlich leer auf der Bundesstraße 236 nach Nachrodt-Wiblingwerde. Kein Wunder, schließlich ist die Strecke am Freitag zur Sackgasse geworden. Die Sperrung der Lennebrücke auf der wichtigen Ausweichroute für die bei Lüdenscheid unterbrochene A45 hat die Bindestrich-Gemeinde im Märkischen Kreis zu einem geteilten Ort gemacht. Für Autofahrer gibt es hier keinen Weg mehr über die Lenne. Über eine Behelfsbrücke können seit Montag wenigstens Fußgänger wieder das andere Ufer erreichen.

Zum Einstieg geht es steil bergab, fünf Schwimmboote tragen die neue Brücke kurz über der Wasseroberfläche, Holzplatten funktionieren als Geländer. Auch wenn viele Menschen gleichzeitig den Weg nutzen, steht das Provisorium so fest da, als würde es von Betonpfeilern auf dem Boden getragen werden und nicht von Booten in einer starken Strömung.

„Was die gemacht haben, ist toll“, sagen Gerd Turowski und Juliane Peters. Das Paar hat Hochachtung vor den Helfern des Technischen Hilfswerks (THW), die die Brücke am Wochenende so schnell aufgebaut haben. Juliane Peters hatte beim Einstieg ein paar Probleme mit ihrem Rollator, ihr Mann habe ihr aber helfen können.

Fünf Schwimmboote tragen die Brücke auf dem Wasser. Trotz des flüssigen Untergrunds wackelt die Brücke nicht.
Fünf Schwimmboote tragen die Brücke auf dem Wasser. Trotz des flüssigen Untergrunds wackelt die Brücke nicht. © WP | Katleen Diekgraefe

Rita Joergens ist ebenfalls begeistert. Die ehemalige Ratsfrau ist auf dem Weg zurück von der Hockergymnastik, die sie im Gemeindehaus Nachrodt leitet. Sie hatte Sorge, dass das Training schlecht besucht sei – aber fast alle Turnschwestern sind erschienen. Sie ist dankbar, dass die Gemeindevertretung, das THW und die Feuerwehr so schnell eine Lösung gefunden haben.

Und der Einsatz war nicht ohne. Montagnacht um zwei Uhr sei die Brücke fertig gewesen, berichtet Tim Ramin, Zugführer beim THW-Ortsverband Kamen-Bergkamen. Und das Ziel erreicht: Die Brücke sollte am Montag um 7 Uhr begehbar sein, damit alle Kinder zur Schule gehen können. Zweimal am Tag, so Ramin, werde die Brücke nun überprüft, es bestehe kein Grund zur Sorge: „Die Brücke ist so gebaut, dass sie für die Ewigkeit hält.“

Und was ist, wenn das Wasser der Lenne steigt? Kreisbrandmeister Michael Kling erklärt dazu, dass der Wasserstand mittels mobilem Pegel beobachtet werde. Dieser sende Messdaten und Alarme an die Feuerwehr: „Die Brücke ist so ausgelegt, dass Wasserstände plus minus 3 Meter ausgeglichen werden können. Wind ist kein Problem für sie.“

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Familie Georg muss kreativ werden, um die Kinder pünktlich zur Schule zu bringen, schließlich muss das Paar auch zur Arbeit. Das Auto von Vater Florian parkt nun auf der einen Seite der Lenne, das Auto seiner Frau auf der anderen. So kann die Familie die Lenne zu Fuß auf der Brücke überqueren und auf der anderen Seite weiterfahren. Besser als die 30 Kilometer lange Umleitung zu nutzen: „Mit dem Auto durch Veserde zu fahren, ist unzumutbar“, sagt das Paar und erzählt von den engen Straßen, die unzähligen Autofahrern nun als Umleitung dienen.

Früh werden Autofahrer auf die Brückensperrung hingewiesen. Die Strecke muss großräumig umfahren werden.
Früh werden Autofahrer auf die Brückensperrung hingewiesen. Die Strecke muss großräumig umfahren werden. © WP | Katleen Diekgraefe

Unterricht konnte wie gewohnt stattfinden

Der erste Unterrichtstag nach der Sperrung verläuft in der Grundschule eher unspektakulär. „An unseren beiden Standorten in Nachrodt und Wiblingwerde sind nahezu alle Schülerinnen und Schüler gekommen“, berichtet Leiterin Carsta Coenen.

Das sei am Freitagnachmittag nicht vorhersehbar gewesen, als die Nachricht von der Sperrung kam. „Es hat einige Anrufe von aufgeregten Eltern gegeben“, sagt Carsta Coenen, „sie wollten wissen, ob und wie ihre Kinder am Montag zur Schule gelangen.“ 40 bis 45 Schülerinnen und Schülern wäre der Weg zum Unterricht verbaut gewesen.

Der Behelfsbrücke sei Dank, dass dieses Szenario nicht eingetreten ist. Auch zwei Kolleginnen mussten diese benutzen, so die Schulleiterin weiter: Die Frauen hätten ihre Fahrzeuge vor der Brücke im Norden Nachrodts abgestellt, dann den Behelfsübergang passiert und die folgenden 1,7 Kilometer bis zur Schule – überwiegend bergauf – zu Fuß absolviert. „Wenn man so will, haben sie nicht Park & Ride (Parken und Fahren) praktiziert, sondern Park & Walk (Parken und Laufen)“, sagt Carsta Coenen und ergänzt, dass man sich trotz der widrigen Umstände den Tag „freudig gestalten“ wolle. Zumal die Fahrt zur Arbeit, für die auswärtig wohnenden Mitglieder des Lehrerkollegiums am Morgen deutlich länger gedauert hat. „Ich wohne in Menden und habe erfahren, wie es ist, wenn eine Ausweichstrecke für die gesperrte A45 lahmgelegt ist.“

Diese Ruhe ist unheimlich.
Birgit Tupat, Bürgermeisterin von Nachrodt-Wiblingwerde

Knapp 900 Meter weiter, am Standort Nachrodt der Lenneschule, ist Gudrun Reinecke-Bartelt „sehr dankbar“, dass die behelfsmäßige Fußgängerbrücke „so schnell“ geschaffen wurde. Am Freitagnachmittag hatte die Leiterin der Sekundarschule noch auf der Homepage informiert, dass die Schülerinnen und Schüler, „die hinter der Brücke Richtung Iserlohn wohnen, am Montag nicht zur Schule gelangen“ könnten. Das sei zum Glück nicht eingetreten. „Wir sind glimpflich davongekommen“, sagt sie, „kein Vergleich zu der heimischen Wirtschaft. Erst die Sperrung der Rahmedetalbrücke an der A45, dann die Lennebrücke an der B236. Das Lennetal geht daran kaputt.“

Bürgerbus fährt nach Notfall-Fahrplan

Es sind Improvisation und Kreativität gefragt in diesen Tagen. Auch beim Bürgerbus, für den es jetzt einen „Notfall-Fahrplan“ gibt. Seit 28 Jahren besteht der Bürgerbusverein, aber so etwas wie jetzt hat der 1. Vorsitzende Dieter Nölke noch nicht erlebt. „Eine Brückensperrung – das ist einmalig hier“, sagt er und schüttelt er den Kopf, „typisch fürs ganze Land. Zu lange wurde die Infrastruktur vernachlässigt.“

Acht Bürger passen in den Bus. An Tag 1 nach der Sperrung ist der Bus zwischen der ersten (7.34 Uhr) und der letzten Fahrt (14.30 Uhr) stark nachgefragt.

Die Märkische Verkehrsgesellschaft hat am Montag ihre „Fahrplanmaßnahmen“ ab Dienstag vorgestellt. Durch die „unvorhergesehene Sperrung“ der Lennebrücke seien „massive Eingriffe in die Linienwege“ nötig, heißt es in einer Mitteilung.

Als „unvorhergesehen“ sieht Bürgermeisterin Birgit Tupat die Sache nicht an. Am Wochenende hatte sie die Sperrung des seit Jahren mangelhaften Bauwerks mit den Worten „sehenden Auges ins Unglück“ kommentiert. Am Montag steht sie wieder an der Lenne. Um die 13 000 Fahrzeuge passierten normalerweise täglich die B236 – nicht eingerechnet die Autos, die die A45 umfahren, überschlägt sie. Und jetzt? „Diese Ruhe ist unheimlich“, sagt sie und schaut sich um.