Lüdenscheid. Landwirtin (27) aus dem Sauerland findet Bauernproteste überfällig, aber sie setzt nicht auf große Traktoren, sondern kleine Strukturen

Es ist ein Idyll, dem man mit dem Auto in gut 15 Minuten von der Lüdenscheider Innenstadt Meter für Meter näherkommt. „Wir liegen recht abseits“, beschreibt Landwirtin Marie Woeste die Lage des Hofs Woeste in einem ruhigen Seitental in den in der Tat „grünen Sauerländer Bergen“.

Die letzten zwei, drei Kilometer vor dem landwirtschaftlichen Betrieb finden sich keine Straßenlaternen mehr. Man sollte tunlichst auf geteerten und gepflasterten Wegen bleiben und sich nicht von manchen Navigationsgeräten auf einen Schotteruntergrund irreführen, sprich: auf die falsche Fährte locken lassen.

Die 13. Generation

Der Weg ist das Ziel, das ist auch das Credo für Marie Woestes Sichtweise für eine zukunftsträchtige, moderne und weiblichere Landwirtschaft. Die 27-Jährige repräsentiert die 13. Generation auf dem 600 Jahre alten Hof der Familie Woeste. Zusammen mit ihrem Partner Lewis Zierke erfindet die Landwirtin den 28-Hektar-Hof (die Hälfte Wald, die andere landwirtschaftliche Fläche) neu. Mit dem Anbau von verschiedenen Gemüsesorten und Kräutern, mit dem Pflanzen von Streuobstbäumen und mit der Haltung von Weidehähnchen. „Ich will essbare Landschaften schaffen“, sagt sie.

Landwirtschaft der Zukunft: Marie Woeste und Lewis Zierke gehen mit ihrem Gemüse- und Kräuteranbau auf ihrem Hof neue Wege.
Landwirtschaft der Zukunft: Marie Woeste und Lewis Zierke gehen mit ihrem Gemüse- und Kräuteranbau auf ihrem Hof neue Wege. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Regenerative bzw. enkeltaugliche Landwirtschaft heißt das Zauberwort: „Wir möchten unseren Hof und unseren Boden nach unserer Bewirtschaftung besser vorfinden als vorher, um langfristig allen zukünftigen Generationen zu ermöglichen, davon zu leben.“ Die Elemente dieser Art von Landwirtschaft: „Minimale Bodenbearbeitung, Bodenbedeckung durch Mulchmaterialien, Einsatz von organischen Düngern und Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel.“

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Marie Woeste und Lewis Zierke haben in dieser Woche unter anderem Möhren, Grünkohl und Wirsing geerntet. „In diesen Wintertagen sind es insgesamt 14 Kulturen“, sagt die Landwirtin und erklärt das Prinzip der auf dem Hof praktizierten „solidarischen Landwirtschaft“: Die Beiden versorgen 200 Haushalte in der Umgebung mit von ihnen geernteten Gemüsen und Kräutern. Vor der Saison haben diese Mitglieder der solidarischen Landwirtschaft entsprechende Ernte-Anteile gekauft. „Sie können so hautnah erleben, was Landwirtschaft bedeutet und wie saisonale Ernährung ausschaut.“

Marie Woeste und Lewis Zierke fahren mit einem kleinen Einachstraktor übers Hofgelände. Die meisten Arbeiten werden mit den Händen und ohne schwere Geräte ausgeführt.
Marie Woeste und Lewis Zierke fahren mit einem kleinen Einachstraktor übers Hofgelände. Die meisten Arbeiten werden mit den Händen und ohne schwere Geräte ausgeführt. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Im Studium der ökologischen Agrarwissenschaften im nordhessischen Witzenhausen haben sich Marie Woeste und Lewis Zierke kennengelernt. Und „viele neue Ansätze des Microfarmings, also von kleinen Flächen leben zu können“. So werden die meisten Arbeiten auf dem Hof vor den Toren Lüdenscheids von dem Paar und einigen Helfern mit den Händen und ohne schwere Geräte ausgeführt („die umweltverträglichste Art der Landnutzung“).

Höfesterben hält an

Man hat die bundesweiten Bauernproteste vor Augen, bei denen leistungsstarke High-Tech-Traktoren, die Giganten der konventionellen Landwirtschaft, in langen Konvois zu kraftvollen Symbolen wurden. „Der Trend der Landwirtschaft geht zu immer größeren Flächen und größeren Maschinen“, sagt Marie Woeste: „Unsere Idee von zukunftsfähigen Betrieben liegt darin, sie wieder klein-strukturierter zu machen und die Menschen wieder in die Landwirtschaft zu holen.“

In diesem Winter werden 14 verschiedene Kulturen angebaut. Derzeit wird Grünkohl geerntet.
In diesem Winter werden 14 verschiedene Kulturen angebaut. Derzeit wird Grünkohl geerntet. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hält das Höfesterben unvermindert an. Von Anfang 2020 bis Ende 2023 mussten in Deutschland 7800 landwirtschaftliche Betriebe schließen, insbesondere viele kleine Höfe tun sich schwer. Wie passt das zur „Idee“ von klein-strukturierten Betrieben?

Subventionen für die Großen

„Kleine Höfe sind der Grundstein für eine Regionalversorgung, für eine nachhaltige Bewirtschaftung“, sagt Marie Woeste. Doch es mache keinen Sinn, wenn diese kleinen Einheiten, und hier besonders Bio-Betriebe, wegen niedriger Lebensmittelpreise und fehlender Subventionen nicht davon leben können. Die derzeitige Subventionspraxis ist auf große Betriebe ausgelegt.“

Daher findet die junge Landwirtin aus dem Sauerland die aktuellen Bauernproteste „längst überfällig“. Sie selbst ist bislang nicht mit auf die Straße gegangen, die Arbeit auf dem Feld und ihr sechs Monate alter Sohn Theo erfordern ihre ganze Aufmerksamkeit. Marie Woeste sieht Zukunfts-Chancen für ihren Berufsstand in einer „kleinen, aber feinen regionalen Landwirtschaft“.

Gute Preise durch Direktvermarktung

Aus ihrer Sicht müsste sich die Landwirtschaft „grundlegend in ihrem Verständnis“ ändern. Die Direktvermarktung auf einem Hof sei „eigentlich das einzige Mittel, um einen guten, nicht vom Großhandel gedrückten Preis für eigene Erzeugnisse und die notwendige Wertschätzung in der Bevölkerung zu bekommen.“ Zunehmend junge Menschen, das zeigten auch die Praktikumsanfragen, interessierten sich für diese Art der Bewirtschaftung. „Das, was wir machen, zieht mehr Mädchen und Frauen in die Landwirtschaft.“

Bis zu dieser Generation wurde auch in meiner Familie von männlichen Nachkommen verlangt, eines Tages den Betrieb zu übernehmen
Marie Woeste

Bei Marie Woeste selbst waren da einige Bretter zu bohren. „Bis zu dieser Generation wurde auch in meiner Familie von männlichen Nachkommen verlangt, eines Tages den Betrieb zu übernehmen.“ Als sie nach dem Studium zurück an den Hof kam, sei es zunächst nicht einfach gewesen. Alles längst Vergangenheit. Die Landwirtschaft wird weiblicher: „Viele meiner Freundinnen aus dem Studium wollen nun den elterlichen Betrieb übernehmen“, sagt die 27-Jährige und blickt in die Zukunft: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, unseren Beruf gleichberechtigt zu betreiben. Aber wir sind auf einem guten Weg.“