Hagen. Jahrelang haben Ermittler versucht, die Bandidos-Bosse Peter M. und Leslav H. hinter Gitter zu bringen. Vergeblich. Wie es nun gelang.

Das Weihnachtsfest werden sie auf jeden Fall noch in Freiheit verbringen können. Und Leslav H. (61) darf auch darauf hoffen, dass er die drei bei ihm sichergestellten Rocker-Kutten wiederbekommt. Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten für H. und seinen langjährigen Kumpel Peter M. (59). Die beiden Ruhrgebiet‘ler, die als die Gründer der Bandidos in Deutschland gelten und die ihre Rocker-Karriere sogar literarisch in dem Buch „Ziemlich böse Freunde“ haben aufarbeiten lassen, müssen nun endgültig in Haft. Der Bundesgerichtshof hat – bis auf die Beschlagnahmung der Kutten – ihre Revision gegen ein Urteil des Hagener Landgerichts vom Frühjahr des vergangenen Jahres verworfen.

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In dem achtseitigen Beschluss, der der Redaktion vorliegt, wird die Argumentation der Hagener Strafkammer unter Leitung des damaligen Vorsitzenden Richters Bernhard Kuchler bestätigt: Die Bandidos waren demnach eine kriminelle Vereinigung. Und Peter M. sowie Leslav H. waren ihre führenden Köpfe. Schon seit Jahren hatten andernorts Ermittler versucht, genau dies den beiden nachzuweisen – unter anderem, indem über Monate ein Bandidos-Clubhaus in Bochum abgehört worden war. Bei H. und M. gab es immer wieder Razzien, immer wieder Ermittlungen, aber zu Verurteilungen als Rocker-Anführer kam es nicht.

Bundesgericht bestätigt Verbot der Bandidos

Das ist nun erst durch die akribische Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft in Hagen gelungen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs markiert damit fünf Jahre nach Beginn des so genannten Hagener Rockerkriegs den strafrechtlichen Schlusspunkt. Und das, nachdem schon im September das Bundesverwaltungsgericht auf einer anderen juristischen Spielwiese für Klarheit gesorgt hatte: Die Richter in Leipzig hatten das im Jahre 2021 vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ausgesprochene Verbot des Bandidos-Dachverbands „Federation Central West“ sowie von 38 örtlichen Chaptern bestätigt. Ein Verbot, das ebenfalls auf den Hagener Ermittlungen fußte, die den teils sehr blutigen Kampf der Bandidos um die Vormachtstellung in Hagen (gegen die Freeway Riders) und in Köln (gegen die Hells Angels) intensiv durchleuchtet hatten.

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Dabei waren Leslav H. und Peter M. lange geradezu stolz, dass ihnen die Polizei eben nichts nachweisen konnte. Geradezu genüsslich hatten sie das in ihrem vor gut zehn Jahren mit schriftstellerischer Unterstützung eines Ghostwriters erschienenen Buch „Ziemlich böse Freunde“ dargelegt. In dem ist auch viel von der Biografie der beiden zu lesen. Sie inszenieren sich darin als Kinder des Ruhrgebiets, die in Gelsenkirchen aufgewachsen sind, die sich dort im Umfeld der vielen kinderreichen Familien schon früh auf der Straße in den Jugendbanden durchsetzen mussten und so viel über Freundschaft und Treue lernten. Und sie beschreiben, wie sie erst bei den Ghostrider’s MC in der Ruhrgebiets-Rocker-Szene aktiv waren, den Club aber dann zu den Bandidos überführten und so die weltweit agierende Rockergruppe quasi nach Deutschland holten. Dort wurden sie schnell zu den führenden Köpfen, sowohl in Deutschland als auch in Europa.

„Friedensschluss“ mit Frank Hanebuth

Peter M. wurde auch bundesweit bekannt, als er im Jahr 2010 öffentlichkeitswirksam einen Friedenschluss mit den verfeindeten Hells Angels verkündete und dafür mit deren Chef Frank Hanebuth vor die Kameras trat. Der Frieden hatte nie gehalten, Hanebuth legte aber Jahre später in dem Hagener Bandidos-Prozess als Zeuge einen launigen Auftritt hin.

26. Februar 2021 im Landgericht Hagen: Hells-Angels Chef Frank Hanebuth muss in den Zeugenstand.
26. Februar 2021 im Landgericht Hagen: Hells-Angels Chef Frank Hanebuth muss in den Zeugenstand. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kriminelle Aktivitäten bei den Bandidos? Einzelne Mitglieder mögen demnach krumme Dinger gedreht haben, aber er, schreibt Peter M. in dem Buch, habe davon nichts gewusst: „Jedes Chapter macht sein eigenes Ding, ich denke, da geht es jedem Chef eines mittelgroßen Unternehmens ähnlich: Auch der weiß nicht, wer gerade bei der Steuer trickst, wer gerade seine Spesenabrechnung frisiert oder welcher Außendienstler gerade auf einer Autobahn rechts überholt hat.“

Gericht sieht in M. und H. die Bandidos-Rädelsführer

Der Bundesgerichtshof bestätigt jetzt ein ganz anderes Bild: Demnach waren H. und M. immer im Bilde, als es um die blutigen Rocker-Machtkämpfe in Hagen und Köln ging. Es war dort zu Schüssen auf offener Straße gekommen, zu Verfolgungsjagden. Die Bandidos-Chefs hätten „von den Konflikten und Handlungen stets in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erfahren“. Mitglieder seien sogar von einem zum anderen Bandidos-Chapter verschoben worden, um die Truppen in den umkämpften Gebieten zu stärken. Rädelsführer seien H. und M. gewesen.

Prozessauftakt im Oktober 2020 am Landgericht Hagen: Zwei der Angeklagten sitzen zur Eindämmung der Infektionsgefahr auf der Anklagebank des Landgerichts hinter Plexiglasscheiben .
Prozessauftakt im Oktober 2020 am Landgericht Hagen: Zwei der Angeklagten sitzen zur Eindämmung der Infektionsgefahr auf der Anklagebank des Landgerichts hinter Plexiglasscheiben . © dpa | Bernd Thissen

Leslav H. war im April 2022 zu vier Jahren Haft verurteilt worden – wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und wegen Verstößen gegen das Waffengesetz. Er hatte nach Überzeugung der Richter den Kauf von 16 Waffen in Auftrag gegeben, die konspirativ in Menden im Sauerland übergeben worden waren, um verschiedene Bandidos-Chapter aufzurüsten. Die illegalen Waffen stammten von einem inzwischen verurteilten Ex-Mitarbeiter des Arnsberger Unternehmens Umarex. Der hatte die Waffenteile aus der Produktion geschmuggelt, sie quasi in Heimarbeit zusammengebaut und illegal auf den Markt gebracht.

Bei Schalke 04 erfolgreicher Jugendfußballer

Leslav H., der nach eigenen Angaben in der Jugend ein Top-Fußballer bei Schalke 04 war und in der B-Jugend mit Wolfram Wuttke und Hans-Jürgen Draxler, dem Vater von Julian Draxler, auf dem Platz stand und gegen Michael Zorc kickte, hatte nach einer Großrazzia Anfang 2020 bis zum Hagener Urteil schon knapp zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Er muss jetzt noch die verbleibenden eineinhalb Jahre verbüßen.

Insbesondere, dass die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bestätigt wurde, ist sehr wichtig.
Dr. Gerhard Pauli, Oberstaatsanwalt Hagen

Sein Kumpel Peter M. hingegen saß bislang nicht in U-Haft, hat also noch volle zwei Jahre zu verbüßen. Er kam mit einer erheblich geringeren Haftstrafe davon, weil bei ihm „nur“ eine illegale, mit zehn Patronen geladene Pistole in einem kleinen Abstellraum neben seinem Bett gefunden worden war, ihm aber im Gegensatz zu Leslav H. keine Verbreitung von Waffen nachgewiesen werden konnte.

Wann die beiden tatsächlich in die Justizvollzugsanstalt einrücken müssen? „Das ist noch nicht klar“, sagt der Hagener Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli. Noch habe man gar nicht die Akten vom Bundesgerichtshof zurückerhalten. Wenn die wieder in Hagen seien, werde man die beiden zum Haftantritt laden – ganz nach den Vorschriften. Dass man in Hagen aber sehr zufrieden ist mit dem Richterspruch, das lässt Pauli erkennen. „Insbesondere, dass die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bestätigt wurde, ist sehr wichtig.“ Zumindest im östlichen Ruhrgebiet sei der Schlag gegen die Rockerszene auch nachhaltig gewesen. Es herrsche derzeit Ruhe.

Das Ganze war auch ein Politikum.
Reinhard Peters, Anwalt

Die Anwälte von Leslav H. reagierten nicht auf eine Anfrage unserer Redaktion. Der Bochumer Reinhard Peters, Verteidiger von Peter M. und in vielen Rocker-Verfahren aktiv, zeigte sich hingegen enttäuscht. Einen Berliner Rechtswissenschaftler hatte man mit der Revisionsschrift für den Bundesgerichtshof beauftragt. „Wir haben uns schon große Chancen ausgerechnet.“ Jetzt sei es anders gekommen, die Möglichkeiten für seinen Mandaten, der noch nie eine Haftstrafe verbüßt habe, seien erschöpft. Es sei bei dem gesamten Rockerverfahren aber wohl nie nur um juristische Dinge gegangen: „Das Ganze war auch ein Politikum.“

Freeway Riders größte Rockergruppe in NRW

Die 1974 in Hagen gegründeten Freeway Riders sind nach dem Bandidos-Verbot die mit Abstand größte Rockergruppe in Nordrhein-Westfalen. Das geht aus den Zahlen des Landeskriminalamtes hervor. Demnach haben die Freeway Riders 400 Mitglieder, verteilt auf 32 örtliche Gruppen. Der „Gremium MC“ (160) und die Hells Angels (155) haben bedeuten weniger Mitglieder. Gleichwohl haben auch die Freeways binnen zwei Jahren einige Mitglieder verloren.

Insgesamt geht das LKA derzeit von 810 Mitgliedern in Rockerclubs in NRW aus, verteilt auf 65 örtliche Gruppierungen. Der Großteil hat seinen Sitz im Ruhrgebiet, eine weitere Konzentration sei im Bereich Köln festzustellen.

Bandidos: 2020: 750 Mitglieder in 30 Chaptern / 2022: 0 Mitglieder in 0 Chaptern
Freeway Riders: 2020: 420 Mitglieder in 30 Chaptern / 2022: 400 Mitglieder in 32 Chaptern
Gremium MC: 2020: 260 Mitglieder in 7 Chaptern / 2022: 160 Mitglieder in 8 Chaptern
Hells Angels: 2020: 270 Mitglieder in 21 Chaptern / 2022: 155 Mitglieder in 13 Chaptern
Outlaws MC: 2020: 55 Mitglieder in 3 Chaptern / 2022: 50 Mitglieder in 4 Chaptern
Brothers MC: 2020: 65 Mitglieder in 6 Chaptern / 2022: 45 Mitglieder in 8Chaptern
GESAMT: 2020: 1820 Mitglieder in 97 Chaptern / 2022: 810 Mitglieder in 65 Chaptern