Hagen/Köln. Peter M. und Leslav H. haben schon ein Bandidos-Buch geschrieben, nun sind sie angeklagt. Haben sie die Rockerkriege in Hagen und Köln befohlen?
- Rocker-Prozess: Bandidos wegen Mordversuchs in Hagen vor Gericht.
- Angeklagte sollen für Schüsse auf Mitglieder der „Hells Angels“ verantwortlich sein.
- Laut Staatsanwaltschaft stehen unter anderem der „National Vice-President“ der „Federation West Central“ und der „National Vice-President Europe vor Gericht.
Nach dem Urteil kam die Auszeichnung. Und zwar in Form eines begehrten Aufnähers für die Rocker-Kutte als Lohn für die Attacke auf die Rivalen – das ist sich die Anklage sicher: Mit drei Jahren Haft war im April vergangenen Jahres der 32-jährige Hagener eigentlich ganz glimpflich davongekommen. Wegen versuchten Mordes stand das Mitglied der Rockergruppe Bandidos ursprünglich vor Gericht, weil er in Hagen auf einen BMW geschossen hatte, in dem Mitglieder der rivalisierenden Rocker von den Freeway Riders saßen. Am Ende wurde er dann wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt, durfte bis zum endgültigen Haftantritt den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.
Der 32-Jährige nutzte die Zeit, um sich bei diversen Bandidos-Partys im Lande sehen zu lassen – via Facebook war das zu verfolgen. Und er soll, das sagt die Staatsanwaltschaft in Hagen, in diesen Wochen auch die Auszeichnung bekommen haben: den Aufnäher, in der Rocker-Szene „Patch“ genannt, auf dem „Expect no Mercy“ stand. Erwarte keine Gnade. Eine Belohnung für eine schwere Straftat, vergeben von der Führungsriege der Bandidos.
Ein Puzzleteil für die kriminelle Vereinigung
Und damit für die Staatsanwaltschaft ein Puzzleteil, mit dem sie nachweisen will, dass es sich bei den Rockern um eine zumindest in Teilen kriminelle Vereinigung handelt. Dass die Führungsebene von all dem wusste. Und dass man damit vor allem auch den beiden Männern strafrechtlich etwas nachweisen kann, die seit Jahren führende Köpfe in der Rockerszene sind: Peter M. (56) aus und Leslav H.(58), die selbst sagen, dass sie die Bandidos in Deutschland gegründet haben und ihr Rockerleben sogar in einem Buch herausgebracht haben. Titel: „Ziemlich böse Freunde“.
Die beiden, von denen der Spiegel einst behauptete, sie seien für die Bandidos so wichtig wie Uli Hoeneß für den FC Bayern, stehen nun ab Donnerstag, 22. Oktober, vor dem Landgericht Hagen. Und mit ihnen drei weitere Bandidos: zwei Hagener (51 und 23) sowie ein 38-Jähriger aus Dortmund, dessen Anwesen die Polizei im Januar mit einem Räumpanzer gestürmt hatte und der seitdem in Untersuchungshaft sitzt. Ebenso wie der 23-jährige Hagener und auch Leslav H., der damals in seiner Heimatstadt Herne auf offener Straße von Spezialeinsatzkräften der Polizei verhaftet worden war. In den vergangenen Jahren hatten die Behörden weder ihm noch Peter M., der früher in Gelsenkirchen lebte und heute in Schermbeck wohnt, trotz ihrer langen Rocker-Karriere schwere Straftaten nachweisen können. Die Staatsanwaltschaft Hagen ist sich nun sicher, dass ihr das gelingt.
Tief in die Strukturen der Rocker vorgedrungen
Dass gerade sie zuständig ist, hat mit dem Hagener Rockerkrieg zwischen den Bandidos und den Freeway Riders zu tun, der 2018 teils blutig auf offener Straße ausgetragen worden war. Im Zuge der Ermittlungen drangen die Ermittler offensichtlich immer tiefer in die Strukturen der Rockergruppe vor. Und so ist man sich laut Anklage nun sicher, dass Peter M., Leslav H., der 51-jährige Hagener und der 38-jährige Dortmunder als führende Mitglieder der Rockergruppierung im März 2018 beschlossen hatten, einen territorialen Herrschaftsanspruch in Westdeutschland gegenüber konkurrierenden Rockern durchzusetzen – insbesondere in Hagen gegen die Freeway Riders und in Köln gegen die Hells Angels. Und zwar auch mit Straftaten.
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Leslav H. soll dabei als Chef der „Federation West Central“ eine besondere Entscheidungsgewalt gehabt haben. Und Peter M. soll als einer der Deutschland-Chefs der Bandidos an den entsprechenden Planungsgesprächen teilgenommen haben. Der 51-jährige Hagener und der 38-jährige Dortmunder wiederum sollen als so genannte „Seargeant of Arms“ in Hagen und Köln die direkte Order an die örtlichen Bandidos-Chapter gegeben haben und auch für die Bewaffnung verantwortlich gewesen sein. Unter anderem soll der Dortmunder 50 Schusswaffen illegal geordert haben, die aus Einzelteilen bestanden, die ein ehemaliger und inzwischen zu einer langen Haftstrafe verurteilter Mitarbeiter des Arnsberger Waffenherstellers Umarex aus dem Firmengebäude geschmuggelt hatte.
Die Schüsse im Rockerkrieg in Köln angeordnet?
Der Dortmunder soll auch die Anweisungen gegeben haben, die Anfang 2019 den Rockerkrieg in Köln zwischen Bandidos und Hells Angels eskalieren ließen und die ab Donnerstag im Zentrum des Prozesses stehen werden. Sowohl die Schüsse auf ein Auto an der Autobahnabfahrt Köln-Kalk werden dort verhandelt, als auch die insgesamt 14 Schüsse auf das Lokal „Jokers“ in Köln, das als Treffpunkt der Hells Angels gilt. Weil diese Tat laut Anklage im Bandidos-Clubhaus in Schwerte verabredet wurde, wird das Ganze nun auch in Hagen verhandelt.
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Wegen versuchten Mordes – hier sind bis zu 15 Jahren Haft möglich – sind daher auch der Dortmunder und auch der jüngere Hagener angeklagt. Der 23-Jährige soll mit drei weiteren Bandidos Schüsse auf das „Jokers“ abgegeben haben und dafür mit einer Vollmitgliedschaft bei den Bandidos belohnt worden sein. Gegen seine drei mutmaßlichen Komplizen wird es wohl noch ein separates Verfahren geben. Sie waren erst im Juni zu langjährigen Haftstrafen wegen gemeinschaftlichen Totschlags verurteilt worden, weil sie für den Tod von „Reiki“, einem 63 Jahre alte Freeway Rider verantwortlich sein sollen, der im Oktober 2018 nach einer Feier in Gelsenkirchen brutal attackiert worden war und an den Folgen starb.
Für Verteidiger sind die Vorwürfe „ein Witz“
Die Verteidiger von Leslav H. und dem 38-jährigen Dortmunder wollen sich im Vorfeld des Prozesses nicht äußern. Der Bochumer Anwalt Reinhard Peters, der Peter M. vertritt, sieht die Anklage dagegen „jedenfalls was meinen Mandanten betrifft“ auf tönernen Füßen. Der Deutschland-Chef der Bandidos ist „nur“ wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Aber auch dafür drohen bis zu fünf Jahre Haft. „Das Ganze ist ein Witz, mein Mandant war bei keinem dieser angeblichen Treffen dabei“, sagt Reinhard Peters. „Und er kennt die meisten der Leute gar nicht, mit denen er da geredet haben soll.“ Und dass die „Patches“ mit der Aufschrift „Expect no mercy“ als Ehrenbekundungen für schwere Straftaten vergeben worden seien, sei auch Blödsinn. „Das trägt doch dort bei denen jeder zweite. Das heißt nur, dass man vielleicht mal bei einer Prügelei seinen Mann gestanden hat.“
Der 32-jährige Hagener, dem das Patch im vergangenen Jahr nach dem Urteil verliehen worden sein soll, konnte das übrigens nicht lange in der Öffentlichkeit zeigen. Der Bandido wurde kurz darauf wieder festgenommen und er muss sich erneut vor Gericht verantworten. Der Vorwurf lautet wieder: Mordversuch an einem Freeway Rider.
>> INFO: Kuttenverbot
- Der Prozess findet ab Donnerstag unter verschärften Sicherheitsbedingungen statt. Unter anderem gilt ein „Kuttenverbot“.
- Bislang sind 36 Prozesstage bis zum 26. März vorgesehen.