Hagen. Sie galten als die mächtigsten Männer der nun verbotenen Bandidos. Wie eine Staatsanwältin nun versucht, beide hinter Gitter zu bekommen.
Der Räumpanzer, der frühmorgens im gutbürgerlichen Dortmunder Stadtteil Holzen das Gartentor niederwalzt, um einem Großaufgebot der Polizei den Weg zu bahnen. Schüsse auf offener Straße. Oder der unterhaltsame Auftritt von Frank Hanebuth, dem kahlköpfigen Chef der berüchtigten Hells Angels, als Zeuge vor dem Landgericht Hagen. An spektakulären Bildern und Schlagzeilen hat es nicht gemangelt in den vergangenen Jahren, wenn es um die berüchtigte Rockergruppe Bandidos ging. Doch davon ist nicht mehr viel übrig im Hagener Schwurgerichtssaal.
Die großen Sicherheitsvorkehrungen mit aufwändigen Personenkontrollen sind längst wieder abgeschafft. Verteidigung und Staatsanwaltschaft, die in der Sache so sehr streiten mögen, scherzen miteinander. Und mittendrin drei Männer zwischen Anfang 40 und Mitte 50, die brav der Verhandlung folgen, obwohl sie sonst als führende Bandidos in Deutschland eher totalen Gehorsam gewohnt waren.
Wenn man so will, hat der Rechtsstaat dem Rockerleben, das eigentlich doch auf Machtdemonstrationen, auf übertriebener Männlichkeit und auf Drohgebärden basiert, alles Schillernde ausgetrieben. In 56 Verhandlungstagen binnen eineinhalb Jahren, mit knapp 100 Zeugenbefragungen, mit dem Verlesen von Akten und länglichen Protokollen von abgehörten Handy-Gesprächen oder Whats-App-Kommunikationen.
Bandidos-Gründer als Buchautoren: „Ziemlich böse Freunde“
Gleichwohl: Das Urteil, das die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Bernhard Kuchler am kommenden Dienstag, 26. April, verkünden will, wird so oder so wieder für Aufsehen sorgen. In der Rockerszene, aber auch in Sicherheitskreisen. Es wird zeigen, ob die Angeklagten Peter M. und Leslav H., die sich selbst als Gründer der Bandidos in Deutschland bezeichnen und das unter dem Titel „Ziemlich böse Freunde“ sogar in einem Buch verewigt haben, tatsächlich keinem Motorradclub, sondern einer kriminellen Vereinigung vorstanden. Und ob sie in Selahattin E. - dem Mann, der frühmorgens so unsanft mit dem Räumpanzer in der Garageneinfahrt geweckt worden war – einen ebenso kriminellen Helfer hatten.
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Die Verteidiger haben ihr eigenes Urteil schon längst gefällt: Nichts sei zu beweisen, abgesehen von einer illegalen Waffe, die bei Peter M. gefunden wurde und für die allenfalls eine Geldstrafe angemessen sei. Daher für alle drei: Freispruch. Staatsanwältin Julia Frehse zeichnet dagegen ein anderes Bild in ihrem Plädoyer. Das Bild eines brutalen Männerclubs, der sich mit eigenen Regeln außerhalb der Rechtsordnung gestellt hat. Der schwerste Straftaten mit clubinternen Auszeichnungen belohnt hat. „Leslav H. und Peter M. haben die Befehle erteilt, sie waren die Identifikationsfiguren“, sagt die Frau, deren Spezialgebiet die Organisierte Kriminalität ist und die mit ihrem Kollegen Axel Noelle schon in einem anderen Verfahren die Richter letztlich überzeugen konnte, dass es sich bei den Bandidos um eine kriminelle Vereinigung handelt.
Mit illegalen Umarex-Waffen die Rockerszene aufgerüstet
Frehse beschreibt die großen Linien: „Man kann nicht sagen, dass jedes Mitglied der Bandidos oder jedes Chapter kriminell ist. Aber es gab das System, in dem Gewalt belohnt wurde.“ Die Tötung von „Reiki“, einem 63-jährigen Mitglied des konkurrierenden Rocker-Clubs Freeway Riders in Gelsenkirchen im Oktober 2018 sei so möglich gewesen. Vier Bandidos sind dafür inzwischen wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt worden. Staatsanwältin Frehse widmet sich zudem dem Kölner Rockerkrieg zwischen Hells Angels und Bandidos, der deutschlandweit mit Verfolgungsjagden auf dem Kölner Ring und Schüssen auf das Café „Joker“ für Aufsehen gesorgt hatte.
Und sie zeigt auch die Verbindungen zum Umarex-Prozess auf: Bei dem Arnsberger Waffenhersteller hatte ein Mitarbeiter in großer Zahl Waffenteile herausgeschmuggelt, diese zuhause quasi in Heimarbeit zusammengebaut und dann im großen Stil illegal verkauft. Die Rocker waren Großkunden, die Szene wurde so massiv aufgerüstet. „Leslav H. hat entschieden, dass sämtliche Chapter der Bandidos so bewaffnet werden sollte“, sagt Staatsanwältin Frehse.
Staatsanwältin: „Behauptete Basisdemokratie gab es nicht“
Mit einem Ziel: Die Vormachtstellung der Bandidos zu behaupten. Und zwar durch ein intern streng hierarchisches System, in dem die Führungsfiguren das klare Sagen hatten, in dem Mitglieder zwischen den einzelnen Chaptern verschoben, Posten verteilt und Gewaltdelikte mit clubintern so wichtigen Aufnähern („Patches“) für die Kutten belohnt worden sein sollen: „Die behauptete Basisdemokratie bei den einzelnen Chaptern gab es nicht.“
Vom großen System kommt die Staatsanwältin aber zu dem, was den drei Angeklagten in Hagen ganz konkret juristisch – aus ihrer Sicht – nachzuweisen ist. Dass die Schüsse in Köln direkt von den Führungsfiguren angeordnet wurden, fällt dabei zum Beispiel wieder hinten runter. Aber am Ende kommt dann mit Verstößen gegen das Waffengesetz und der Gründung bzw. Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung noch so viel zusammen, dass den drei Männern lange Haftstrafen drohen.
Leslav H. der schon mehr als zwei Jahre Untersuchungshaft hinter sich hat und inzwischen gesundheitliche Problem hat, soll nach dem Willen der Anklage sechs Jahre ins Gefängnis, Peter M. drei Jahre und drei Monate und Selahattin E., der Vaterfreuden entgegen sieht, zweieinhalb Jahre. Es wären durchaus deutliche Strafen – auch vor dem Hintergrund, dass Leslav H. und Peter M. trotz ihrer jahrelangen Rocker-Vergangenheit bislang nicht vorbestraft sind.
LKA: Keine Tarnorganisationen, Bandidos-Verbot war erfolgreich
Würden die Richter nun der Staatsanwaltschaft folgen, es wäre auch Wasser auf die Mühlen des Verbotsverfahrens gegen die Bandidos. Im Juli vergangenen Jahres hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) das Verbot gegen die Bandidos MC Federation West Central und 30 Teilorganisationen ausgesprochen. Und zwar auch mit ausdrücklichem Verweis auf den laufenden Prozess gegen die Bandidos-Spitzen am Landgericht Hagen.
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Dass Hagen so eine zentrale Rolle spielt, liegt an der akribischen Ermittlungsarbeit der dortigen Polizei und Staatsanwaltschaft, nachdem im Jahr 2018 die Rivalität zwischen den Freeway Riders und den Bandidos in einem blutigen Rockerkrieg eskaliert war. In der Folge gelang es den Ermittlern sowohl die internen Rocker-Strukturen aufzudecken als auch die Waffenbeschaffung durch den Ex-Umarex-Mitarbeiter.
Hunderte Seiten starke Klageschrift gegen Bandidos-Verbot
Dass aus all dem resultierende Verbotsverfahren war nach Einschätzung des Landeskriminalamtes (LKA) erfolgreich: „Mit dem Vereinsverbot ist es gelungen, kriminelle Rockerstrukturen nachhaltig zu zerschlagen und deren Kennzeichen aus der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen“, so Sprecher Frank Scheulen. Bislang gebe es keine Erkenntnisse, dass die Bandidos neue „Tarnorganisationen“ gegründet haben oder dass andere Rockergruppen von dem Ende der Bandidos profitiert haben könnten. Deren Mitgliederzahlen seien gleich geblieben.
Ob das Verbot der Bandidos aber tatsächlich Bestand haben wird, muss sich noch zeigen. Die Klage beim Oberverwaltungsgericht dagegen sei eingereicht, so Reinhard Peters, Bochumer Anwalt, der seit Jahren die Bandidos vertritt. In wenigen Wochen werde eine auf Verwaltungsrecht spezialisierte Kollegin die mehrere Hundert Seiten starke Begründung der Klage einreichen. „Und auch in dem strafrechtlichen Verfahren wird das hier in Hagen noch nicht das letzte Kapitel sein“, sagt Peters, der Bandidos-Gründer Peter M. vertritt. „Ob Staatsanwaltschaft oder Verteidigung: Eine der beiden Seiten wird vor den Bundesgerichtshof ziehen. Da wird am Ende erst entschieden.“
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- Einer der Angeklagten in dem Hagener Prozess war schon im vergangenen Jahr wegen versuchten Mordes verurteilt worden. Er hatte zugegeben, auf Hells Angelas in dem Kölner Café mindestens 13 Schüsse abgegeben zu haben. Unter Einbeziehung einer alten Strafe hatte er eine Strafe von acht Jahren und vier Monaten erhalten.
- Das Landeskriminalamt (LKA) geht nach dem Bandidos-Verbot (zuletzt 740 Mitglieder in 28 Chaptern) von diesem Kräfteverhältnissen bei den Rockern in NRW aus:
- 1. Freeway Riders MC (32 Chapter/390 Mitglieder), 2. Gremium MC (8/160), 3. Hells Angels MC (20/200), 4. Outlaws MC (4/30), 5. Brothers MC (7/50), 6. United Tribuns (2/20)
- Insgesamt also 73 Rocker-Charter/Chapter mit 850 Mitgliedern.