Siegen. Wie kommen die Menschen in Südwestfalen in Zukunft von A nach B? Mit Seilbahnen? Mit Anforderungsbussen? Ein Konzept gibt Antworten.

Irgendwann, vielleicht schon in zweieinhalb Jahren, wird den Menschen in Südwestfalen nicht mehr zuerst die Buchstaben-Wort-Kombination A 45 durch den Kopf schießen, wenn sie an Mobilität denken. Von A nach B zu kommen ist ja im ländlichen Raum eine ganz andere Herausforderung als in Großstädten. Was bringt etwa ein Deutschland-Ticket, wenn kein Bus fährt? Noch überstrahlt die gesperrte Sauerlandlinie die Diskussion, doch es gibt eine Zeit danach. Wie die Menschen in der Region in Zukunft mobil bleiben sollen, ist Thema beim Mobilitätsforum Südwestfalen. Im Kulturhaus Lyz in Siegen wurde dafür am Donnerstagabend nicht weniger als eine Mobilitätsstrategie für Südwestfalen vorgestellt.

Warum?

1,4 Millionen Menschen leben in Südwestfalen. Vor allem die jüngeren von ihnen möchten mobil sein, mal nach Dortmund oder Siegen in den Club fahren; viele Wege sind weit. Mit dem Fahrrad geht’s oft nicht, vor allem im Winter. Zahlreiche Freizeitziele in der Region selbst sind mit „Öffis“ nur schwer zu erreichen. Und auch Pendler brauchen den Pkw. Schon jetzt verfügt jeder Haushalt in der Region durchschnittlich über 1,5 Autos. Das liegt deutlich über dem Bundesschnitt. Müssen also immer mehr Autos her? Und was ist mit den Älteren, die nicht mehr selbst fahren wollen? Südwestfalen ist eine wichtige Industrieregion – wie werden die Unternehmen in Zukunft beliefert? Fragen, auf die das Konzept Antworten sucht.

Südwestfalen ist verkehrstechnisch eine schwierige Region. Berge, Täler, Flüsse zerschneiden die Landschaft. Die Industrie braucht eine funktionierende Infrastruktur, die Menschen wollen mobil bleiben, auch ohne Auto.
Südwestfalen ist verkehrstechnisch eine schwierige Region. Berge, Täler, Flüsse zerschneiden die Landschaft. Die Industrie braucht eine funktionierende Infrastruktur, die Menschen wollen mobil bleiben, auch ohne Auto. © WP Region | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Wer?

Aufgeschrieben haben die Strategie die Experten des Dortmunder Beratungsunternehmens Plansocietät, das sich auf kommunale und regionale Mobilitätskonzepte spezialisiert hat. Impulse lieferten der Mobilitätsbeirat Südwestfalen mit Vertretern aus den fünf Landkreisen, die mit dem Thema zu tun haben, und Expertenvorträge.

Was?

Teilautonome Kleinbusse, Versuchsstrecken für autonomes Fahren, digitalisiertes Parkplatzmanagement, neue Radwegnetze, intelligente Gewerbegebiete: In Südwestfalen gibt es bereits zahlreiche Modellprojekte, die unter anderem im Rahmen des Förderprogramms Regionale 2025 vorangetrieben werden. Sie müssen übertragbar sein, regional ausgebaut und vernetzt werden – das ist eine der Kernaussagen des Papiers. Grundforderung: Jedem Bürger müsse mindestens eine konkurrenzfähige Alternative zum Auto angeboten werden, und zwar möglichst umweltfreundlich.

Details bitte!

Die Strategie sucht in fünf Aktionsfeldern nach Lösungen: ÖPNV und Vernetzung, Freizeitmobilität, betriebliche Mobilität, Radverkehr für alle sowie lebenswerte Quartiers- und Ortsmitten.

Der ÖPNV soll verstärkt auf Anforderungsangebote (On Demand) und auf autonomes Fahren ausgerichtet werden. Ein regionales Schnellbuskonzept wird angeregt. Digitalisierte Bike- und Carsharing-Projekte, die als Modelle bereits existieren, sollen ausgebaut werden.

Freizeitziele wie etwa der Möhnesee oder die Wintersportregion im Hochsauerland sind fast nur mit dem Auto gut zu erreichen. Deshalb ist dort zu Spitzenzeiten die Hölle los. Mit digitalen Besuchermanagementsystemen soll der vorhandene Verkehrsraum besser genutzt werden. Künstliche Intelligenz kann für Frequenzmessung, Auslastungsprognosen und das Erteilen von Empfehlungen eingesetzt werden.

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Damit Berufstätige und Auszubildende ohne Führerschein ihren Arbeitsplatz möglichst problemlos erreichen können, sollen mehr On-Demand-Angebote im ÖPNV sowie betriebsübergreifende Fahrgemeinschaften angestrebt werden – alles per App gesteuert.

Der Radverkehr soll als weitere Mobilitätssäule neben dem ÖPNV ausgebaut werden. Dafür müsse die Erreichbarkeit von Bildungseinrichtungen, touristischen Zielen und Arbeitgebern verbessert werden. Einzelne Radschnellwege befinden sich bereits in der Planung.

In vielen Ortszentren macht der Verkehr den Menschen das Leben schwer, gleichzeitig wollen Handel und Gastronomie erreichbar bleiben. Freudenberg hat mit dem Modellprojekt „Autofreier Alter Flecken“ ausprobiert, wie es gehen kann. Ausbaufähig! Die Gedanken sind frei: Wie wäre es etwa mit einem Verkehrsmittel Seilbahn in Winterberg? Die Diskussion wurde in der Stadt bereits geführt; die Strategie fürSüdwestfalen hat die Idee aufgenommen.

Was nicht?

Die Mobilitätsstrategie Südwestfalen kann nicht alle Verkehrsprobleme der Region lösen. Dafür liegt der Ball in ganz anderen Spielfeldern, nämlich in Düsseldorf und vor allem in Berlin. Die Rettung der Verkehrsinfrastruktur ist eine Mammutaufgabe, die Milliarden kostet. Die Reaktivierung und der Ausbau von Schienenverbindungen übersteigen die regionalen Möglichkeiten.

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Hoffnung?

Die Sperrung der A 45 kann „als Chance für eine nachhaltige Anpassung der Logistikketten betrachtet“ werden, heißt es in der Strategie. Langfristig sei eine „dauerhafte Verkehrsverlagerung“ auf die Schiene möglich. Ob diese Chance ergriffen wird? Nach zwei Jahren Sperrung wird es höchste Zeit.

Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) lobte die Initiative vor allem dafür, dass sie an den Kreisgrenzen nicht Halt mache, sondern überregional wirke. NRW habe das 1,5-Grad-Ziel eigentlich schon überschritten, gab er zu bedenken. „Der Verkehr muss nachhaltiger werden, gleichzeitig müssen die Menschen mobil bleiben“, sagte er. Südwestfalen gehe mit dem Konzept den richtigen Weg, betonte der Politiker, der ansonsten vor allem Pläne der schwarz-grünen Koalition in Düsseldorf referierte, die aber über einen Ankündigungscharakter kaum hinausgingen.

Und nun?

Ab dem kommenden Jahr sollen die Modellprojekte in die Umsetzung gehen. Den Rahmen bietet die Regionale 2025. In der Schublade, das betonen die Macher, sollen die Ideen jedenfalls nicht enden.