Hamm. Die marode Rahmedetalbrücke muss neu gebaut werden. Autobahn-Chefin Elfriede Sauerwein-Braksiek über ein Projekt mit vielen Unwägbarkeiten.

Seit etwas mehr als einem halben Jahr ist die Rahmedetalsperre auf der Autobahn 45 bei Lüdenscheid wegen Einsturzgefahr gesperrt. Eine wichtige Nord-Süd-Verbindung sowie die Lebensader der Region ist durchtrennt. Qua Amt verantwortlich dafür: Elfriede Sauerwein-Braksiek (62), Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen.

Verstehen Sie die Menschen, die auch auf die Autobahn GmbH schimpfen und sagen, dass es nicht schnell genug vorangeht?

Elfriede Sauerwein-Braksiek: Was wir den Menschen – gerade den Anwohnern - zumuten, ist zu viel. Natürlich habe ich Verständnis für ihren Unmut. Wir tun deswegen alles, was wir können, damit die Brücke möglichst schnell fertig wird.

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Es wurde oft beteuert, dass die Prozesse beschleunigt werden. Ganz konkret: Was wird wie beschleunigt?

Für gewöhnlich ist ein solches Projekt ein sehr formales Verfahren, in dem der eine Schritt auf den vorherigen aufbaut. Bei der Rahmedetalbrücke versuchen wir aber alles gleichzeitig zu machen. Konkret: Wir stimmen uns mit den Naturschutzbehörden und -verbänden ab, machen Bodengutachten, kümmern uns um den Grunderwerb, beginnen die Ausschreibung für Sprengung und Neubau. Wir sind – anders als in anderen Verfahren - in stetigem Austausch mit dem Fernstraßenbundesamt, dem wir neue Erkenntnisse und Planungen regelmäßig zukommen lassen. Ohne das formale Verfahren sparen wir locker ein Jahr.

Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn GmbH
Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn GmbH © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Das Fernstraßenbundesamt wird entscheiden, ob der Neubau der Brücke ohne das herkömmliche Planfeststellungsverfahren und damit auch ohne Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist oder nicht. Teile der Unterlagen dazu liegen ihm bereits vor. Welche Aussicht auf Erfolg haben Sie in dieser Sache?

Wir sind in ständigem Austausch mit dem Fernstraßenbundesamt. Die würden dort sofort den Finger heben, wenn sie feststellen, dass das in falsche Richtung läuft. Ich sehe – gerade was den Wegfall der Umweltverträglichkeitsprüfung angeht – sehr gute Chancen. Wir haben alle Maßnahmen bereits getroffen und auch Ersatz-Lebensräume geschaffen. Ich erkenne keinen wesentlichen Eingriff mehr in die Natur und Umwelt.

Hakt es an anderer Stelle?

Wir müssen alle Betroffenheiten abwägen und Einvernehmen mit allen erzielen, um einen „Fall unwesentlicher Bedeutung“ zu erreichen und auf das Planfeststellungsverfahren mit seinen Einspruchsfristen verzichten zu können. Die Brücke wird, um sechs Spuren fassen zu können, breiter gebaut werden. Die Pfeiler werden an anderen Stellen stehen. Die juristische Diskussion ist, ob es sich um einen Ersatzneubau handelt. Und wir brauchen Einvernehmen auch mit den Grundstücksbesitzern, deren Flächen wir temporär oder dauerhaft benötigen.

Wie laufen die Verhandlungen?

In diesem Bereich sehe ich große Herausforderungen auf uns zukommen. Ich bin nicht sicher, ob wir alle Grundstücke bekommen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck, wir sind auch auf einem guten Weg, aber noch nicht dort, wo wir sein wollten.

Wie geht die Autobahn GmbH in solche Verhandlungen? Ein dringendes Multimillionen-Projekt wird wohl kaum an ein paar Tausend Euro scheitern, oder?

Das ist eine Gratwanderung, denn wir arbeiten ja mit Steuergeldern. Es gibt ortsübliche Marktpreise, an denen müssen wir uns orientieren. Wenn nun aber jemand das Zehnfache fordert, können wir das natürlich nicht verantworten.

Das Zehnfache?

Es ist verständlich, dass die Menschen versuchen, das Optimale rauszuholen. Uns sind da aber Grenzen gesetzt, obwohl ich mir sehr wohl bewusst bin, dass die Menschen und die Wirtschaft, die Schaden erleidet, sagen, dass es jetzt wohl nicht am Geld scheitern wird. Wir müssen alle gleich behandeln. Was sage ich sonst den Nachbarn oder den Grundstücksbesitzern an der nächsten Brücke? Ich bin aber zuversichtlich, dass wir zu einer Lösung kommen werden, dass die Eigentümer ein Einsehen haben. Oder dass wir uns überlegen, wie wichtig der Erwerb des jeweiligen Grundstückes wirklich ist.

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Es gibt viele Verantwortliche. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat das Projekt zur Chefsache erklärt. Wie läuft die Zusammenarbeit mit den anderen Behörden und der Politik in Düsseldorf und Berlin?

Die Zusammenarbeit mit den Behörden klappt hervorragend. Sowohl der Märkische Kreis als auch die Stadt Lüdenscheid, die Bezirksregierung, das Fernstraßenbundesamt und die Ministerien – alle sind gewillt, möglichst schnell diese Brücke zu realisieren. Aber es müssen eben viele Themen abgestimmt und abgearbeitet werden, was für viele Bürger nicht immer sichtbar ist.

Zum Ende der vergangenen Woche hat die Autobahn GmbH mitgeteilt, dass die Sprengung der Brücke ausgeschrieben ist. Und dass die Ausschreibung für den Neubau noch in diesem Jahr rausgeht. Das heißt was?

Es wird sich – anders als sonst üblich - um eine so genannte funktionale Ausschreibung handeln. Das heißt einfach ausgedrückt: Wir sagen lediglich, dass wir eine Brücke mit einer bestimmten Länge, Stärke und Tragfähigkeit brauchen. Und der Unternehmer soll diese dann im Detail selber planen und ausführen. Das machen sonst auch wir. Es ist wichtig, dass wir diesen Unternehmer schnell haben, damit er frühzeitig mit den Vorarbeiten beginnen kann.

Wer kriegt den Zuschlag? Der Günstigste oder der Schnellste?

Wir wollen vor allem leistungsfähige Firmen haben, die schnell bauen. Ich habe mal gesagt, die Brücke muss in fünf Jahren stehen. Wenn ein Unternehmer schneller ist, würden wir das aber sehr begrüßen.

Wann haben Sie den Unternehmer und wann kann er anfangen zu bauen?

Frühestens Anfang 2023 werden wir den Unternehmer haben. Bis er anfangen kann, zu bauen, muss er erstmal die Planung der Brücke durchführen. Und dann baut er mindestens zwei Jahre. Aber all das ist vielen Unwägbarkeiten unterworfen.

Ist das Bodengutachten unter der Rahmedetalbrücke abgeschlossen?

Auf dem Papier fertig ist es noch nicht, aber wir kennen die Ergebnisse, die Schichtung des Bodens ist ausgesprochen ungünstig.

Das heißt?

Die Bodenverhältnisse sind sehr unterschiedlich und verändern sich auf wenigen Metern mitunter grundlegend. Insbesondere an den Hängen, wo die Widerlager stehen, sehen wir eine so spezielle Schichtung, die einem beim Abgraben entgegenrutschen könnte. Das heißt, wir werden das wahrscheinlich abfangen müssen.

Boden ist ein heikles Thema: An den nahe gelegenen Talbrücken Brunsbecke und Kattenohl in Hagen begannen die Arbeiten 2019 und sollten längst abgeschlossen sein. Aber eine Fertigstellung ist in weiter Ferne, weil die Bodenbeschaffenheit große Probleme bereitet. Droht das in Lüdenscheid auch?

An der Brunsbecke wurden die Bodenverhältnisse tatsächlich unterschätzt, das Gutachten war nicht so detailliert. Wir haben aus diesem Fall gelernt und mehr Probebohrungen veranlasst. Das hilft schonmal. Wir wissen jetzt frühzeitig um das Thema, es gibt technische Lösungen und wir werden das bewältigen. Wenn ein Problem erkannt ist, ist es halb gelöst. Aber ein Restrisiko bleibt. Auf der Baustelle sagt man: Vor der Schaufel ist es immer dunkel.

Bei welchen Brücken besteht aktuell dringender Handlungsbedarf?

Nach der Sperrung der Rahmedetalbrücke sind alle Stahlverbundbrücken in Westfalen, die vor 1986 erbaut wurden, mit dem Laserscanverfahren untersucht worden. Das waren mehr als 20.

Und? Irgendwelche Auffälligkeiten?

Kein Fall ist auch nur ansatzweise mit der Rahmedetalbrücke vergleichbar, wo die Summe an unterschiedlichen Schäden das Problem war. Sehr wohl haben wir an der einen oder anderen Brücke ein Beulverhalten festgestellt. Das ist aber durchaus nicht ungewöhnlich. Wir werden sie nun verstärken, weil wir da nicht so schnell in den Bau kommen, unter anderem eine an der A 45 im Kreuz Dortmund-Nordwest und eine an der A 2 über den Dortmund-Ems-Kanal.

Die A 45 und ihre Brücken sind ohnehin schon ein Mammutprojekt. Was macht das mit den anderen Brücken, wenn eine jetzt mit aller Kraft bearbeitet wird?

Wir müssen priorisieren, weil alles gleichzeitig nicht geht. Wir haben alle Brücken der A45 noch einmal in Prüfung genommen, damit sich der Fall Rahmede nicht wiederholt. Insbesondere die schlechtesten Brücken müssen wir ganz schnell anpacken, entweder durch Verstärkung oder durch Neubau. In Westfalen gibt es insgesamt 3605 Brücken, 348 haben den schlechtesten Traglast-Index. Das heißt aber nicht, dass man da nicht mehr drüber fahren kann. Ich tue das auch ohne Bedenken.

Sie haben bei der Sperrung der Rahmedetalbrücke eingeräumt, dass mehrere Experten die falsche Entscheidung getroffen hätten, als sie ihre Nutzungsdauer verlängerten. Wie verhindern Sie, dass so etwas noch einmal passiert?

Bei der Autobahn GmbH ist jetzt der Vorteil, dass wir auf Autobahnen spezialisiert sind. Wir gucken uns das detaillierter an als das eine gemischte Verwaltung kann, in der man sich um viel mehr Straßen kümmern muss und viele Themen gleichzeitig abarbeitet. Darüber hinaus haben wir das Team, das Brückenerhaltung- und -prüfung macht, verstärkt. Und wir führen neue Systeme ein.

Welche?

Zum Beispiel die digitale Brücke, an der Messgeräte dafür sorgen, dass bestimmte Parameter nicht nur alle paar Jahre gemessen werden, sondern dass die Brücke permanent unter Beobachtung steht. kommt. Zudem wird daran gearbeitet, einen digitalen Zwilling jeder Brücke zu erstellen. Das bedeutet: Wenn der Brücken-Prüfer mit einem Laptop unter die Brücke geht, dann hat er den digitalen Zwilling im Rechner und kann gleich die Schäden eingeben oder Daten abgleichen. Bisher ist es so, dass die Schäden auf einem Zettel notiert werden und der Übertrag im Büro erfolgt.

Als Direktorin der Autobahn GmbH stehen Sie nicht selten in der Kritik, in die sich nicht selten Polemik mischt. Perlt das an Ihnen ab?

Nein, das perlt nicht an mir ab. Die Entscheidung, die Brücke zu sperren, hat schon etwas verändert. Auch an ein paar Ansichten bei mir.

Welche Ansichten?

Egal, wie man über Klimawandel und Nachhaltigkeit und Mobilität denkt, die Autobahn wird immer ein wesentlicher Bestandteil sein. Ich glaube aber, dass sich unser Mobilitätsverhalten ändern muss. Jeder erwartet, dass die Regale im Supermarkt immer voll sind und dass das Amazon-Päckchen morgen schon ankommt. Aber auf der Straße allein ist das nicht zu bewältigen. Ich hätte nicht erwartet, dass wir in Deutschland soweit kommen, dass wir eine Brücke ganz sperren müssen.

Hat sich die Sperrung für Sie wie eine Niederlage angefühlt?

(überlegt lange) Ja, ein bisschen schon. Wobei ich in diesen Prozess früher nicht eingebunden war. Für mich war und ist immer wichtig, dass unsere Infrastruktur in allen Facetten funktioniert. Das macht schon etwas mit Ihnen, wenn Sie eine Autobahn sperren müssen. Aber ich bin froh, dass unser Kontrollsystem funktioniert hat. Es hat funktioniert, rechtzeitig.