Hagen. Nun ist klar: Das Verbot der Bandidos kommt im September vor das Bundesverwaltungsgericht. Rocker-Anwalt ist optimistisch, dass es gekippt wird.

Die Rockerszene in Nordrhein-Westfalen zeigt sich rund zwei Jahre nach dem Verbot der Bandidos in ganz Westdeutschland zumindest zahlenmäßig erheblich geschwächt. Das geht aus Daten des Landeskriminalamtes (LKA) hervor. Demnach gingen die Ermittler mit Stand Ende 2020 noch von 1820 Mitgliedern in 97 örtlichen Vereinigungen (Chapter/Charter) in NRW aus, die sich auf sechs unterschiedliche Rocker-Vereinigungen in NRW verteilten. Die Zahl ist zwei Jahre später um mehr als 1000 Mitglieder gesunken. Demnach verteilen sich 810 Mitglieder auf 65 Chapter – die vor fast 50 Jahren in Hagen gegründeten Freeway Riders mit 400 Mitgliedern sind die größte Gruppe.

Den größten Effekt bei dem generellen Rocker-Minus in NRW hat dabei das Verbot der Bandidos-Dachorganisation „Federation West Central“ samt 38 örtlicher Gruppen im Juli 2021 durch den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die Bandidos hatten kurz vor dem Verbot laut LKA in NRW 750 Mitglieder. Doch das Mitglieder-Minus bei den Rockergruppen insgesamt, den so genannten Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG), übersteigt die damalige Anzahl der Bandidos erheblich.

Andere Rockergruppen profitieren nicht von Bandidos-Verbot

Die Experten des LKA sehen auch keine Entwicklung, dass andere Rockergruppen von dem Verbot profitiert hätten, indem Bandidos zu ihnen übergetreten wären, so das Landeskriminalamt auf Anfrage der WESTFALENPOST: „Vielmehr dürfte das Verbot der Federation West Central des Bandidos MC alle anderen OMCG nachhaltig beeindruckt haben. Mit dem Vereinsverbot wurde die Entschlossenheit staatlicher Organe gegenüber Vereinen, die gesetzeswidrig agieren, verdeutlicht.“

+++ Lesen Sie auch: Freeway-Riders sind jetzt stärkste Rocker-Gruppe in NRW +++

Dass es rund um die Szene dennoch weiter zu Straftaten kommt, haben zuletzt noch Aufsehen erregende Fälle gezeigt: So kam es erst im Juni in Duisburg zu einer Schießerei, bei der auch Mitglieder der Hells Angels beteiligt gewesen sein sollen. Im Mai wurde zudem in Köln ein ehemaliges Hells-Angels-Mitglied erschossen. Und im Fall des Säure-Attentats auf den Energie-Manger Bernhard Günter in Haan ist erst im Juni in Dortmund ein Tatverdächtiger festgenommen worden, der als Hells-Angels-Mitglied gilt.

Bandidos-Anwalt zeigt sich zuversichtlich, das Verbot zu kippen

Ob das Verbot der Bandidos – die Federation West Central reichte von Aurich in Niedersachsen bis Bingen in Rheinland-Pfalz – rechtlich Bestand hat, wird sich am 18. und 19. September zeigen. Dann wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über eine Klage gegen das Verbot verhandeln. Die Chance, dass das Verbot nun in Leipzig gekippt werde, liege bei mindestens 50 Prozent, sagt Rechtsanwalt Reinhard Peters, der die Klage eingereicht hat: „Dass das Bundesverwaltungsgericht zwei Tage für die mündliche Verhandlung ansetzt, zeigt, dass man sich dort intensiv mit dem Fall beschäftigen will.“

Rechtsanwalt Reinhard Peters vertritt immer wieder Bandidos. Er hat für zahlreiche Mandanten auch die Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht.
Rechtsanwalt Reinhard Peters vertritt immer wieder Bandidos. Er hat für zahlreiche Mandanten auch die Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. © WP Michael Kleinrensing | Michael Kleinrensing

Juristische Kaffeesatzleserei, ganz sicherlich, aber Peters, der Mann mit den markanten halblangen Haaren, gilt zwar seit Jahren als Szene-Anwalt der Bandidos, der bei einer Vielzahl von Prozessen gegen die Rocker zu sehen war. Aber nicht als einer, der dadurch den Blick für die Realitäten verloren hätte. Er weiß, dass es in der Vergangenheit zu Straftaten in der Rocker-Szene, auch bei den Bandidos, gekommen ist und er benennt das auch. Deshalb geht er auch nicht davon aus, dass etwa das Verbot von einzelnen Bandidos-Chaptern wie in Hagen oder Köln wieder gekippt wird. Zuviel sei dort geschehen, was die Strafgerichte schon beschäftigt habe.

Generelles Bandidos-Verbot: Anwalt spricht von Sippenhaft

Aber dürfen daraus auch Schlussfolgerungen für alle anderen örtlichen Gruppe gezogen werden? Anwalt Reinhard Peters hält das für völlig überzogen, spricht von „Sippenhaft“ und will dafür kämpfen, dass das generelle Verbot gekippt wird.

Das hätte für viele seiner Mandanten ganz praktische Folgen: Nicht nur, dass man sich am Ende doch wieder als Bandidos zeigen dürfte, gar wieder mit Kutte, und vielleicht sogar wieder die im Sommer 2021 geschlossenen Clubhäuser – etwa in Menden, Siegen oder Dortmund - öffnen könnte. Nein, noch entscheidender dürfte sein, dass zahlreiche Bandidos-Mitglieder auch ihre materiellen Werte wiederbekommen würden, insbesondere die Motorräder. Die hatte die Polizei in einer größeren Anzahl beschlagnahmen lassen, als es knapp zwei Wochen vor der Verbotsverfügung durch den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer am 12. Juli 2021 zu großen Razzien mit 1800 Beamten und Spezialeinheiten gekommen war.

+++ Lesen Sie auch: Ursprung in Hagen: So kam es zum Bandidos-Verbot +++

Einzelne Rocker oder deren Familienmitglieder hatten zuletzt im Februar vor dem Verwaltungsgericht in Arnsberg versucht, ihre Motorräder zurück zu erkämpfen – bislang erfolglos. Doch Reinhard Peters sieht hier das letzte Wort noch nicht gesprochen: „In Leipzig werden eine Vielzahl von hochrechtlichen Fragen zu klären sein, für die es noch keine abschließende Rechtsprechung gibt.“ So gehe es auch darum, ob man private Motorräder einfach dem Verein zuschlagen und als „Vereinsvermögen“ beschlagnahmen dürfe. Es gibt diese juristische Haltung, weil die Motorräder eben zur Machtdemonstration der Rockergruppen dienten.

Peters erzielte schon Erfolg bei Gericht gegen das „Kuttenverbot“

Aber Reinhard Peters hat schon einmal einen bundesweit beachteten Erfolg erzielt, als die Politik ein Symbol gegen die umstrittene Rockerszene setzen wollte, die schon mit ihrer Bezeichnung als „Outlaw Motorcycle Gangs“ (OMCG) deutlich macht, dass man sich nicht unbedingt an die Rechtsordnung gebunden fühlt. Der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte 2014 ein generelles Kuttenverbot erlassen, wohlwissend, dass die Kutten mit den Vereinssymbolen und speziellen Aufnähern entscheidend für das Selbstwertgefühl und die Hierarchie in der Rockerszene sind. Zwei Bandidos aus Bochum und Unna, die wegen eines Verstoßes gegen das Kuttenverbot 600 Euro zahlen sollten, begleitete Peters bis zum Bundesgerichtshof, wo sie Recht bekamen, das generell Kuttenverbot für Rocker wurde gekippt. Zumindest bis der Bund 2017 eine neue rechtliche Grundlage geschaffen hatte.

12. Juli 2021: Feuerwehrleute entfernen unter Polizeischutz ein Schild am Vereinsheim der Rockergruppe
12. Juli 2021: Feuerwehrleute entfernen unter Polizeischutz ein Schild am Vereinsheim der Rockergruppe "Bandidos". Innenminister Seehofer (CSU) hatte zuvor die "Bandidos MC Federation West Central" verboten. © dpa | Dieter Menne

Wie das Bundesinnenministerium und seine jetzige Chefin, Ministerin Nancy Faeser (SPD), die Erfolgsaussichten in Leipzig in Sachen Bandidos-Verbotsverfahren sehen, ist unklar. Das laufende Verfahren wolle man nicht kommentieren. In Hagen bei der dortigen Staatsanwaltschaft wiederum dürfte man mit großem Interesse nach Leipzig schauen. Das Bundesverwaltungsgericht und das gesamte Verbotsverfahren sind zwar nicht die Baustelle der Strafverfolger. Aber man kann sich in Hagen auf die Schultern klopfen, ganz entscheidende Bausteine geliefert zu haben, dass es überhaupt zu dem Verbotsverfahren kommen konnte.

Am Ende sitzen in Hagen die Bandidos-Gründer auf der Anklagebank

Am Anfang stand eigentlich der zunächst provinziell wirkende „Hagener Rockerkrieg“. Ein neues Bandidos-Chapter wollte den Freeway Riders, die vor fast 50 Jahren in Hagen gegründet wurden, ausgerecht an deren Geburtsort die Vormachtstellung streitig machen. Es kam zu Schießereien und Attacken auf offener Straße. Einige Bandidos-Mitglieder waren vorher bei den Freeways und umgekehrt, es ging hier also auch um persönliche Fehden. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft in Hagen ermittelten akribisch, stießen so zumindest bei den Bandidos auf viel Insiderwissen, konnten am Ende die generellen hierarchischen Strukturen der Rocker offenlegen. Und quasi als Beifang wurde auch ein Mitarbeiter des Arnsberger Waffenherstellers Umarex enttarnt, der Waffenteile aus dem Betrieb geschmuggelt, sie in Heimarbeit zusammengesetzt und dann unter anderem in die Rockerszene verkauft hatte.

+++ Lesen Sie auch: Rocker-Prozess: Bandidos-Gründer stehen in Hagen vor Gericht +++

Zahlreiche Strafverfahren wurde eröffnet, es gab mehrere Prozesse. Am Ende saßen am Landgericht Hagen auch die zeitweise wohl mächtigsten Bandidos auf der Anklagebank: Peter M. und Leslav H., die ihre Rocker-Vita vor ein paar Jahren sogar in ein Buch gepresst hatten. Der Titel: „Ziemlich böse Freunde: Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten“. Es ging in dem Verfahren nicht nur um den Hagener Rockerkrieg, sondern auch um die Vormachtkämpfe zwischen Bandidos und Hells Angels in Köln. Das Verfahren gegen die Bandidos-Größen hatte Horst Seehofer im Zuge seiner Verbotsverfügung ausdrücklich erwähnt.

Landeskriminalamt in NRW sieht die Rockerszene nachhaltig geschwächt

Am Ende wurden M. und H. in Hagen zu Gefängnisstrafen verurteilt, unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, das Revisionsverfahren liegt beim Bundesgerichtshof. Aber Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli ist optimistisch: „In einem anderen Verfahren hat der Bundesgerichtshof ja schon die Einstufung der Bandidos als kriminelle Vereinigung bestätigt.“

+++ Lesen Sie auch: Hells Angels: Frank Hanebuth sorgt für Lacher vor Gericht +++

Egal, wie nun das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgehen wird, die Experten des Landeskriminalamtes NRW sehen die Rockerszene jetzt schon nachhaltig beeindruckt durch das Verbotsverfahren. Die anderen Rockergruppen wie Freeway Riders, Hells Angels oder Gremium MC hätten nicht durch den Übertritt früherer Bandidos-Mitglieder profitiert, sie seien durch das Verbot und die Entschlossenheit staatlicher Organe wohl nachhaltig beeindruckt worden : „Mit dem Verbot ging statt einer Expansion vielmehr eine Zurückhaltung anderer Outlaw Motorcyle Gangs einher“, so die Einschätzung der Ermittler gegenüber der WESTFALENPOST.

Für Reinhard Peters, den Bandidos-Anwalt, ist dagegen mit dem Verbotsverfahren zu grob mit Schrot geschossen worden: „Das Ziel ist ganz klar, dass das Verbot der vielen Bandidos-Chapter zurückgenommen wird, die mit all dem, was in Hagen und Köln passiert ist, nichts zu tun hatten.“

>> INFO: Die Mitgliederzahlen der Rocker in NRW

  • Bandidos: 2020: 750 Mitglieder in 30 Chaptern / 2022: 0 Mitglieder in 0 Chaptern
  • Freeway Riders: 2020: 420 Mitglieder in 30 Chaptern / 2022: 400 Mitglieder in 32 Chaptern
  • Gremium MC: 2020: 260 Mitglieder in 7 Chaptern / 2022: 160 Mitglieder in 8 Chaptern
  • Hells Angels: 2020: 270 Mitglieder in 21 Chaptern / 2022: 155 Mitglieder in 13 Chaptern
  • Outlaws MC: 2020: 55 Mitglieder in 3 Chaptern / 2022: 50 Mitglieder in 4 Chaptern
  • Brothers MC: 2020: 65 Mitglieder in 6 Chaptern / 2022: 45 Mitglieder in 8Chaptern
  • GESAMT: 2020: 1820 Mitglieder in 97 Chaptern / 2022: 810 Mitglieder in 65 Chaptern