Halver/Breckerfeld. Bessere Arbeitsbedingungen waren ihr Ziel: Melanie Hedtfeld schließt ihren Pflegedienst. Der Grund: Ein Gesetz, das sie eigentlich gut findet.
Ist sie gescheitert? Immerhin: Melanie Hedtfeld hat Schluss gemacht. Ihr ambulanter Pflegedienst wird Ende Februar Geschichte sein. Den 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat sie gekündigt, 120 pflegebedürftige Kunden müssen sich binnen Wochen einen neuen Anbieter suchen. Doch auf die Frage, ob sie gescheitert sei, sagt sie: „Ich bin nicht gescheitert. Aber meine Idee, wie man einen ambulanten Pflegedienst so organisiert, dass Kunden und Personal gut leben und arbeiten können, scheitert am jetzigen System.“
Damit endet für Melanie Hedtfeld, 45 Jahre alt und alleinerziehende Mutter einer neun Jahre alten Tochter, ein so in ihrem Leben gar nicht vorgesehenes Kapitel. Denn sie hat nun fast sieben Jahre lang den ambulanten Pflegedienst „In guten Händen“ in Halver im Märkischen Kreis geleitet, ohne selbst Altenpflegerin zu sein. Sie ist eigentlich Psychotherapeutin, hatte in Köln ihre eigene Praxis.
Ärger mit dem Tariftreuegesetz
Der Pflegedienst war das Lebenswerk ihrer Mutter. Sie hatte ihn gegründet, geprägt. Bis das Schicksal im Jahr 2016 zuschlug: ein Schlaganfall. „Meine Mutter ist heute selbst pflegebedürftig“, sagt Melanie Hedtfeld. Sie will das Lebenswerk der Mutter erhalten, sieht aber auch Veränderungsbedarf, hält die in der Pflegebranche üblichen Dienstzeiten für nicht menschenfreundlich. „Ich habe den Pflegedienst so organisiert, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen wohlfühlen“, nimmt die 45-Jährige für sich in Anspruch. „Und dass sie mir zum großen Teil treu geblieben sind, obwohl sie woanders auch mehr hätten verdienen können.“ Doch das sei nicht mehr umsetzbar: „Es sind die politischen Rahmenbedingungen, die mich dazu bringen, jetzt zu sagen: Es ist Schluss.“
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Ausschlaggebend sei das Tariftreuegesetz gewesen. Seit September soll es allen Pflegekräften eine bessere Bezahlung sichern. Das, so argumentiert das Bundesgesundheitsministerium, sei dringend nötig, denn in der Altenpflege hätten Beschäftigte rund 700 Euro im Monat weniger erhalten als die in der Krankenpflege. Nun müssen alle Pflegedienste einem Tarifvertrag angehören oder in Anlehnung daran bezahlen. Je nach Region seien das Steigerungen von 10 bis 30 Prozent.
Ungeliebt Dienste abgeschafft - doch das wird nicht entlohnt
Melanie Hedtfeld stemmt sich nicht gegen den Grundgedanken: „Ich finde es natürlich gut, dass das Pflegepersonal besser bezahlt wird, ich setze mich ja schon die ganze Zeit für bessere Bedingungen ein. Aber so funktioniert das nicht.“ Dabei: Die Mehrkosten, die den Pflegediensten durch steigende Löhne entstehen, sollen diese eigentlich nicht allein stemmen müssen. Die Pflegekassen – sprich: die Krankenkassen – sollen einen Ausgleich zahlen. Eine Pauschal-Vereinbarung hatte Melanie Hedtfeld dazu auch im Herbst abgeschlossen. Doch die Realität habe gezeigt, dass dieser finanzielle Ausgleich nicht reiche. Nicht in ihrem System.
„Ich kann das an einem Beispiel festmachen“, sagt die 45-Jährige. „Ich habe eine Kollegin, die arbeitet ausschließlich Montag bis Freitag von 6 bis 11 Uhr, sie muss keine anderen Schichten übernehmen. Weil ich ihr das garantieren kann, ist sie völlig einverstanden, dass sie etwas weniger bekommt als die Kolleginnen und Kollegen, die flexibler sein müssen. Doch das darf ich nach dem Tariftreuegesetz nicht mehr.“
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Zudem habe sie nach der Übernahme des Pflegedienstes die Teildienste abgeschafft: „Das waren Dienste, bei denen die Mitarbeiter morgens arbeiten mussten, dann eine lange Pause hatten und am späten Nachmittag wieder los mussten. Das lehne ich ab, da hat man keinen Feierabend. Doch auch das kann ich mit dem Tariftreuegesetz nicht mehr wirtschaftlich darstellen.“
„Mehr Kunden in weniger Zeit – das mache ich nicht“
Sie hat nun die Möglichkeit, mit den Kassen um einen höheren Ausgleich nachzuverhandeln. Doch es sei völlig unklar, wie diese Verhandlungen enden würden: Von den Kassen sei ihr aber bereits gesagt worden, dass ihr Betrieb eben effizienter arbeiten müsse. „Das heißt konkret: Mehr Kunden in weniger Zeit.“ Das aber wolle sie auf keinen Fall, mache lieber Schluss.
Aus der Branche erhält sie Zuspruch. Andere Pflegedienste zeigen Verständnis, man überlege auch schon länger aufzugeben oder habe es bereits getan, ist auf ihrer Facebook-Seite zu lesen. Droht hier ein Flächenbrand? Werden noch mehr ambulante Pflegedienste aufhören? Nein, sagt das NRW-Gesundheitsministerium. Dass flächendeckend Pflegeunternehmen ihren Dienst quittierten, sei nicht erkennbar. Im Gegenteil sei die Zahl der Pflegedienste gewachsen (siehe Hintergrund unten).
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An dem Tariftreuegesetz wolle NRW keinesfalls rütteln. Es sei, so ein Ministeriumssprecher, „unverzichtbar“. Denn eine angemessene Bezahlung sei „in Zeiten des Personalmangels in der Pflege ein wesentlicher Baustein“. Gleichwohl wisse man, dass es eine große Herausforderung in der häuslichen Pflege gebe, die Mehrkosten zu stemmen. Aber es gebe Hoffnung. „Seitens der Krankenkassen wird uns fortlaufend bestätigt, dass man bereit sei, die Vergütung sukzessive zu erhöhen“, so der Ministeriumssprecher.
Den Kampf mit den Versicherungen hält sie für aussichtslos
Und die BBK Nordwest, die für alle anderen Krankenkassen die Verhandlungen mit den Pflegediensten im für Halver zuständigen Märkischen Kreis führt, betont, jeder Pflegedienst könne in individuelle Einzelverhandlungen wegen des Mehrbedarfs treten.
Aber eben diesen Kampf hält Melanie Hedtfeld für aussichtslos: Vergangene Woche hat sie ihr Team informiert und auch gleich die Kündigungen an die zu pflegenden Menschen verschickt. „Meine Kolleginnen und Kollegen waren überrascht und traurig“, sagt die 45-Jährige. „Aber wütend war keiner auf mich.“
Sie sei sich sicher, dass alle wieder einen Job finden würden. „Als bekannt wurde, dass ich schließe, kamen sofort die ersten Anrufe von anderen Einrichtungen. Sogar von einer Zahnarztpraxis, die dringend Personal sucht.“ Sie sei auch optimistisch, dass für alle rund 120 pflegebedürftigen Kunden – darunter etwa 50 in Breckerfeld – eine Lösung gefunden werde. „Gerade in den Fällen, in denen es unsere Kunden besonders schwer haben oder Angehörige fehlen, habe ich mich auch schon selbst ans Telefon gesetzt, um eine Lösung zu finden.“
Was sagt ihre Mutter dazu, dass sie jetzt deren Lebenswerk beendet? Verständnis habe sie, sagt Melanie Hedtfeld, die als Coach der Pflege-Branche weiter beratend arbeiten will. „Sie macht mir keine Vorwürfe, dass ich jetzt ihren Pflegedienst aufgebe.“
>> HINTERGRUND: „Noch mehr kleine Dienste werden aufgeben“
- Die Zahl der ambulanten Pflegedienste in Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen. Waren es im Jahr 2019 noch 2961, so zählte man zwei Jahre später 3194. Auch die Zahl der Beschäftigten stieg von rund 91.000 auf rund 97.000.
- Gleichwohl befürchtet Ludger Risse, Vorsitzender des Landespflegerats NRW und Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der neuen Pflegekammer NRW, dass gerade viele kleinere Dienste werden aufgeben müssen, weil ihnen schlicht das Personal fehlen werde: „Für den steigenden Bedarf gibt es zu wenige Pflegekräfte. Und so lange man in der Pflege auch weiterhin deutlich weniger verdient als in Krankenhäusern, wird die Sogwirkung von dort anhalten. Gerade im Umfeld von Uni-Kliniken, die nun noch bessere Gehälter zahlen.“
- Ludger Risse kann aber auch die Probleme vom Melanie Hedtfeld, die ihren Pflegedienst schließt, verstehen: „Wenn ein kleiner Pflegedienst allein mit den Krankenkassen über Nachbesserungen verhandeln soll, dann ist das sehr schwierig. Dann fehlen einfach die Fachleute, die tief in den Details stecken.“
- Das Tariftreuegesetz, so Risse, sei auf jeden Fall gut, aber es gebe auch Schwächen, die behobnen werden müssten. Etwa, dass die Lohn-Mehrkosten für Körperpflege und Mobilisation (nach Sozialgesetzbuch SGB 5) anders ausgeglichen würden als die medizinischen Leistungen wie Wundverbände (gemäß SGB 11).