Hagen. . Edwin S. (89) wurde zu Weihnachten aus der Klinik entlassen. Er brauchte ambulante Betreuung – aber er bekam sie nicht. Der Pflegenotstand ist da

Edwin S. (Name von der Redaktion geändert) musste wegen einer Lungenerkrankung im Krankenhaus behandelt werden. Vor Weihnachten sollte der 89-jährige Olsberger zurück nach Hause. Inzwischen hatte sich sein Zustand verschlechtert. Die Tochter rief den ambulanten Pflegedienst der Caritas an. Morgens und abends solle der zunächst kommen, zum Waschen, Anziehen, zur Toilettenbegleitung und zum Windelwechsel. Später müsse man über zusätzliche Einsätze reden.

Fast doppelt so viele Beschäftigte

  • Die Zahl der Beschäftigten bei ambulanten Pflegediensten hat sich zwischen 1999 und 2015 nahezu verdoppelt – von 183 782 auf 355 613.
  • Die Zahl der Pflegebedürftigen ist aber noch stärker gestiegen – wegen der größeren Zahl älterer Menschen, wegen der stärkeren Förderung der ambulanten Pflege und weil Kliniken ihre Patienten früher entlassen.

„Ich musste der Frau sagen, dass sie sich falsche Hoffnungen macht“, berichtet Maria Lückmann-Müller, Caritas-Pfledienstleiterin in Olsberg „Unsere Personalsituation ist nicht so, dass wir neue Patienten aufnehmen können.“ Genau so ist es in Brilon und Marsberg. Nicht nur bei der Caritas. Auch die privaten Pflegedienste haben keine Kapazitäten mehr.

Mit einem Hilfeschrei wandte sich die Caritas im Altkreis Brilon deshalb im Dezember an die Öffentlichkeit. „Wir sind sehr besorgt“, sagt Karen Mendelin, Fachbereichsleiterin Alten- und Krankenhilfe ambulant: „Der Pflegenotstand ist jetzt Realität.“

Ähnliche Lage im Kreis Paderborn

Ist das ein Spezialproblem im Hochsauerland? Nachfrage beim Bundesverband ambulante Dienste und stationäre Einrichtungen (bad e.V.) in Essen. Der stellvertretende Bundesgeschäftsführer Sebastian Froese kennt die Lage: „Dass einzelne Pflegedienste sagen: ,Unsere Kapazitäten sind ausgereizt, wir können erst wieder neue Kunden aufnehmen, wenn alte ausscheiden’, das kommt sehr häufig vor. In einer ganzen Region dagegen ist das ungewöhnlich.“ Aber nicht einzigartig: „Im Kreis Paderborn ist es ähnlich. Dort sind die privaten Dienste und die der Wohlfahrtsverbände überlastet.“

Also vor allem auf dem Land? Froese: „Probleme gibt es überall. Aber auf den Dörfern, speziell dort, wo die jungen Leute wegziehen, ist die Lage noch schwieriger, weil das Durchschnittsalter schneller steigt und Entfernungen größer sind.“

Andererseits kümmern sich auf dem Land Familien noch öfter. Das zeigt der Fall von Edwin S. „Wir haben es noch geschafft, montags bis freitags jemanden morgens vorbeizuschicken“, sagt Maria Lückmann-Müller. „Den Rest müssen die Angehörigen stemmen. Aber eigentlich ist das ein fauler Kompromiss.“ Was ist, wenn die Familie es nicht mehr schafft? „Kann ich nicht sagen. Das ist auch für uns ganz schlimm. Wir haben viele solcher Fälle, wo Menschen aus der Kurzzeitpflege im Altenheim zurück nach Hause wollen oder aus dem Krankenhaus. Das geht dann nicht.“ Und die Lage wird nicht besser: „Jetzt ist noch eine Mitarbeiterin krank geworden, die über die Feiertage durchgearbeitet hat“, sagt Lückmann-Müller.

 Pflegegrad 1Pflegegrad 2Pflegegrad 3Pflegegrad 4Pflegegrad 5
Geldleistung ambulant125 €316 €545 €728 €901 €
Sachleistung ambulant--689 €1298 €1612 €1995 €
Leistungen stationär125 €770 €1262 €1775 €2005 €

Was also tun? „Wir wollen, dass für eine gute Ausbildung und ein besseres Image unseres Berufes gesorgt wird“, sagt Karen Mendelin. „Die Politik hat das Problem erkannt“, berichtet Froese. „In Niedersachsen gibt es einen Runden Tisch zur Versorgung im ländlichen Raum.“ Aber ganz offenbar geschieht nicht genug. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass alle Seiten sich wünschen, dass alte Menschen möglichst lange im eigenen Heim bleiben. Und dazu sind eben oft ambulante Dienste nötig. „Es muss mehr Geld ins System“, sagt deshalb Froese, weiß aber auch: „Für 200 Euro mehr im Monat zieht niemand aufs Land.“

Was der Bundesverband noch fordert, ist Entlastung der Pflegekräfte von zu viel Bürokratie, die schnellere Anerkennung ausländischer Fachkräfte und ein Einwanderungsgesetz, das Pflegekräften und ihren Familien ein langfristiges Bleiberecht garantiert.

Migration oder nicht?

Die Dienstleitungsgewerkschaft Verdi hält Migration dagegen für keine sinnvolle Lösung, weil sie die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme der Herkunftsländer schwächen könnte. Was also kommt? „Mittelfristig wird sich die Situation verschärfen, wenn nichts Entscheidendes unternommen wird“, warnt der Briloner Caritas-Vorstand Heinz-Georg Eirund.