Hagen. Angehörige müssen teils mehr bezahlen: Wer kann bald einen Platz in einer Senioreneinrichtung noch bezahlen? Angehörige von Bewohnern erzählen.
Es musste schnell gehen, als Klaus Müllers Vater nicht mehr allein in seiner Wohnung sein konnte. Müller und seine Ehefrau sind voll berufstätig, die beiden Kinder aus dem Haus. Er hatte keine andere Wahl, als seinen Vater in das Pflegeheim an seinem Wohnort im Sauerland zu geben.
Die vollstationäre Pflege (Pflegegrad 3) kostet pro Monat knapp über 4000 Euro. Zieht man den Anteil der Pflegekasse und den seit 1. Januar geltenden gesetzlichen Leistungszuschlag ab, muss Vater Müller mehr als 2200 Euro pro Monat aufwenden. Da der ältere Herr nur eine kleine Rente bezieht und das Ersparte nicht ausreicht, muss Sohn Klaus ihn unterstützen. Denn er verdient mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr – ab dieser Grenze müssen erwachsene Kinder einen Teil der Kosten als Elternunterhalt an das Sozialamt zurückzahlen.
Auch wenn er sich manchmal fragt, ob die Betreuung in der Einrichtung den Qualitätsansprüchen genügt, hat Müller den Eigenanteil bislang klaglos überwiesen. Doch jetzt ist er auf dem Baum: „Die Heimleitung hat in einem Schreiben mitgeteilt, dass man wegen steigender Personalkosten aufgrund der zum 1. September vom Gesetzgeber verlangten Tariflöhne und der ,allgemeinen Kostenentwicklung’ den Pflegesatz anpassen müsse.“
Müller schüttelt den Kopf, wenn er an die Worte in dem Schreiben denkt, dass man die Erhöhung so gering wie möglich halten möchte: „Wir sollen gut 600 Euro mehr bezahlen. Pro Monat! Der Eigenanteil beliefe sich dann auf mehr als 2800 Euro.“ Derzeit verhandelt der Heimbetreiber mit den Pflegekassen über den endgültigen Satz.
Problem kommt in der Mittelschicht an
Bleibt es bei dem Plus von 600 Euro, würden künftig pro Monat 1700 Euro von Müllers Konto abgezogen. Er gehöre der Mittelschicht an, betont der Sauerländer, „meine Frau und ich verdienen gut“. Aber es könne doch nicht sein, sagt er, „dass unsere Altersvorsorge für das Pflegeheim meines Vaters draufgeht. Und was ist mit unseren Kindern? Wenn wir schon Angst vor Armut im Alter haben, wie soll das erst in nachfolgenden Generationen aussehen?“ Klaus Müller heißt in Wirklichkeit anders. Er will anonym bleiben, weil er Sorge hat, dass sein Vater aus dem Pflegeheim geworfen werden könnte.
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Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege (AGVP), Thomas Greiner, hat jetzt Alarm geschlagen. Die Kosten der Altenpflege ziehen massiv an, sagt er. Wegen steigender Personal-, Energie- und Lebenshaltungskosten, wegen der Folgen der Inflation. „Wenn nichts passiert, bleiben diese Kosten an den Pflegebedürftigen, ihren Familien und den Kommunen hängen.“ Letztere, weil sie zunehmend Sozialleistungen zahlen müssten. Die Kostensteigerungen könnten sich für Pflegebedürftige und deren Angehörige auf „600 bis 1000 Euro pro Monat summieren“. Greiner: „Das belastet eine Familie wie eine zweite Miete.“
„Bei den Bewohnern schlägt die Armutsfalle zu“
Auch Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Deutscher Patientenschutz, warnt angesichts des drohenden satten Preisaufschlags für einen Pflegeheim-Platz: „Bei den Bewohnern schlägt die Armutsfalle zu. Erst wird das Ersparte aufgebracht und dann muss die Sozialhilfe einspringen. Mehr als 40 Prozent der 820.000 Pflegeheimbewohner erleben heute schon diese Demütigung ihrer Lebensleistung.“
In die gleiche Kerbe schlägt David Kröll vom Pflegeschutzbund Biva: „Das Risiko, die Heimkosten nicht mehr eigenständig finanzieren zu können, wird sich für Pflegeheimbewohner weiter erhöhen, wenn nichts unternommen wird. Hinzu kommt, dass man ja gar nicht abschätzen kann, welche Kosten auf einen zukommen, um gegebenenfalls dafür vorzusorgen.“
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Kröll zufolge begründen Heimbetreiber die deutlichen Preiserhöhungen unter anderem mit den zum 1. September vom Gesetzgeber geforderten Tariflöhnen. Unabhängig von der Höhe der Gehälter, so Kröll weiter, seien die Personalkosten grundsätzlich eine Möglichkeit für Einrichtungen, in einem stark regulierten Markt Gewinne zu erzielen: „Der Personalschlüssel wird für ein Heim im Vorhinein verhandelt. Auch wenn diese Stellen nicht besetzt werden, werden sie aber dennoch teilweise abgerechnet. Die Bewohner bezahlen dann also für Leistungen, die sie nicht erhalten.“
Leistungen zusammengestrichen
Claudia Meier (auch ihr Name ist geändert) hat ihre Mutter in einem Pflegeheim in Westfalen untergebracht, dessen Träger eine Kapitalanlegergesellschaft ist. „Die hat den einstigen Familienbetrieb aufgekauft und trimmt das Haus jetzt auf Profit.“ Ein Beispiel von vielen: Statt des Orangensaftes aus der Flasche wird jetzt ein Pulver-Wasser-Gemisch aus dem Automaten angeboten. Problem neben dem merkwürdigen Geschmack: Die Senioren sind mit der Bedienung des Geräts überfordert.
Claudia Meier besucht ihre Mutter regelmäßig und schreitet bei Missständen ein. „Die Kinder ihrer Nachbarin wohnen weit weg und besuchen die Frau nur selten. Es bekommt keiner mit, ob sie nur alle drei Wochen gewaschen wird oder in schmutziger Kleidung herumläuft. Auch wenn immer mehr Leistungen zusammengestrichen werden, wird natürlich der volle Rechnungsbetrag abgezogen. Es wird Hilflosigkeit ausgenutzt.“
Möglichkeiten der Verbraucher sind begrenzt
Am Ende eher hilflos wird Claudia Meier den angekündigten Preiserhöhungen gegenüberstehen. „Die Möglichkeiten der Verbraucher, gegen die Kostensteigerungen vorzugehen, sind leider begrenzt“, sagt David Kröll vom Pflegeschutzbund Biva: „Wenn die Entgelte in den Pflegesatzverhandlungen von Trägern und Kassenvertretern festgelegt wurden, gelten sie für die Verbraucher als angemessen.“
Also wird Claudia Meier wohl zähneknirschend auch die neueste massive Kostenerhöhung schlucken. „Wenn ich mal so weit bin“, sagt sie bewusst drastisch, „gebe ich mir die Kugel. Ich werde nicht in ein Pflegeheim gehen.“ Kurz bevor sie das Telefongespräch beendet, fällt ihr noch ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann ein: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
>> HINTERGRUND: Risiko umkehren
- Der Biva-Pflegeschutzbund fordert eine Umkehr des finanziellen Risikos bei den Heimkosten von den Versicherten auf die Versicherung „im Sinne eines sogenannten Sockel-Spitze-Tausches“, so David Kröll: „Demnach sollten Pflegebedürftige einen fixen Beitrag leisten, das darüber hinausgehende Risiko sollte von der Pflegeversicherung getragen werden – wie bei einer echten Kaskoversicherung.
- Nach Auffassung des NRW-Gesundheitsministeriums muss bei „weiteren Reformen ein gerechtes Maß gefunden werden zwischen den von den Betroffenen zu leistenden Eigenanteilen und der Belastung der Beitragszahler in der Pflegeversicherung.“ Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Pandemie zu erhöhten Ausgaben in der Pflegeversicherung geführt hat – „und immer noch führt“.