Hagen. Gürtelrose ist für Altere eine Gefahr, auch junge Menschen bekommen sie. Was Corona und die Werbung mit der neuen Impfbereitschaft zu tun hat.

Die Diagnose befremdete den Hagener erst einmal: Gürtelrose. Kannte er nicht recht. Klang nach einer Sache für alte Leute. Aber er war zu dem Zeitpunkt der Infektion keine 40, gesund, sportlich. „Aber vielleicht hatte ich mein Immunsystem durch den Stress bei der Arbeit auf das Niveau eines älteren Menschen heruntergewirtschaftet.“

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Möglich ist das. Stress kann ein Auslöser sein für die Krankheit, die vor Jahren kaum jemand zu kennen schien und die jetzt mehr und mehr in der breiten Masse wahrgenommen wird. Auch weil sie fiese Langzeitwirkung entfalten kann.

Impfkommission empfiehlt die Impfung, Krankenkasse zahlt

Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Gürtelrose-Schutzimpfung seit Dezember 2018 für Personen ab 60 Jahren und für vorerkrankte Menschen ab 50. Seit 2019 ist die Impfung eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen. Und die Zahlen schnellen in die Höhe. Waren es im zweiten Halbjahr 2019 (ab Mai) 27.677 Impfungen im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), stieg die Zahl auf 182.741 Impfungen im ersten Halbjahr 2022 an – schon mehr als im gesamten Jahr 2021.

Beim Gürtelrose-Erreger handelt es sich um jenen, der auch für die Windpocken verantwortlich ist. Heißt: Nur wer Windpocken hatte, kann die Krankheit bekommen. Der Erreger schlummert im Rückenmark und kann wieder ausbrechen, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Folge: ein gürtelbreiter Ausschlag an meistens einer Körperseite, meistens auf Höhe von Hüfte oder Bauch, manchmal auch im Brustbereich oder im Gesicht. Rote, juckende Bläschen entstehen, die auf keinen Fall aufgekratzt werden dürfen, da sonst eine bakterielle Entzündung droht.

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„Die Windpocken sind so weit verbreitet, dass es eigentlich fast jeden erwischen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass man im Laufe des Lebens einmal betroffen ist, ist hoch. Jeder Zweite bis Dritte muss damit rechnen“, sagt Dr. Hans-Heiner Decker, Allgemeinmediziner aus Arnsberg, in dessen Praxis man die neue Sensibilität für die Gürtelrose spüren kann. „Viele erkundigen sich von selbst nach dem Schutz, wir müssen sie gar nicht überzeugen.“

Industrielles Interesse: Werbung im Fernsehen und in den Printmedien

Das liegt auch daran, dass das Pharmaunternehmen, das den Schutz herstellt, nicht gerade zurückhaltend für seine Errungenschaft wirbt. Im Fernsehen und in Printmedien wird auf die Wirkung hingewiesen. „Das industrielle Interesse, die Impfung an den Mann und die Frau zu bringen, ist durchaus auch zu spüren“, sagt Decker, der gleichzeitig KVWL-Bezirksstellenleiter ist. „Diese Kampagnen sind wirksam, das merkt man. Aber es wäre verkehrt, sich dem Thema über die Marketingaktionen zu nähern. Die Impfung schützt, sie ist gut und richtig.“

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Vor allem, sagt Decker, schütze sie vor einer Komplikation, die gerade bei älteren Betroffenen oft vorkommt, der sogenannten Post-Zoster-Neuralgie: Dabei kommt es nach Abheilung der eigentlichen Krankheit zu immer wieder auftretenden Nervenschmerzen, die sich an unterschiedlichen Stellen des Körpers in etwa so anfühlen wie dumpfer Zahnschmerz, sagt Decker. „Diese Nervenschmerzen können heftig sein und einen um den Verstand bringen. Sie kommen in Schüben über Wochen, Monate oder sogar Jahre zurück. Die Impfung schützt gerade davor gut.“ Habe man den Ausschlag im Gesicht, könnten die Augen verletzt werden und Schaden nehmen.

Die Corona-Pandemie hat ein neues Problembewusstsein geschaffen

Für die rasant steigenden Zahlen bei den Impfungen gibt es aber auch noch andere Erklärungen, meint Decker. Zum einen habe es zu Beginn zu wenig Impfstoff gegeben, so dass nicht alle, die sich hätten impfen lassen wollen, auch geimpft hätten werden können. Wartelisten wurden angefertigt. „Dann kam Corona, und wir hatten ganz andere Probleme“, sagt der Mediziner. Doch die Pandemie habe in dieser Hinsicht auch ihr Gutes gehabt. Sie habe „ein gewisses Problembewusstsein geschaffen und die Wichtigkeit von Impfungen unterstrichen“, so Decker.

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Zwei Impfungen sind nötig, die zweite zwei bis sechs Monate nach der ersten. Wie lang der Impfschutz dann hält, sei noch nicht ganz klar, derzeit gehen die Experten von etwa vier Jahren aus. Die Nebenwirkungen der Impfung seien aber überschaubar: Es könne zu Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle kommen. In selteneren Fällen treten Symptome wie Müdigkeit, Muskel- und Kopfschmerzen oder erhöhte Temperatur auf.

Gürtelrose kann Vorläufer einer anderen Erkrankung sein

„Die Erkrankung kann auch jüngere Leute treffen“, sagt Decker. „Bei mir in der Praxis ist das sehr gemischt.“ Für sie bedeutet die Erkrankung keine große Gefahr. Der von der Arbeit gestresste Hagener, den es damals erwischte, sagt, dass er keine größeren Schmerzen gehabt habe und die Symptome recht schnell abgeklungen seien. Für gewöhnlich sind Betroffene nach zwei bis vier Wochen wieder auf der Höhe.

Stress kann ein Auslöser der Gürtelrose sein, ja“, sagt Decker,: „Manchmal kann sie auch ein Vorläufer einer anderen Erkrankung sein, die das Immunsystem schwächt.“ Das müsse bestenfalls anschließend geprüft werden.