Hagen/Olpe. Neue Prognose der Statistiker: Wie sehr die Einwohnerzahlen zurück gehen, wie es nun auch einen Boom-Kreis trifft und was Hoffnung macht.
Theo Melcher ist im Auto unterwegs, als ihn der Anruf erreicht. Die Verbindung quält sich immer wieder durch Funklöcher. „Jetzt müsste es eigentlich wieder gehen“, sagt Melcher, weil er sich nun mal auskennt im Kreis Olpe, dessen Landrat er ist. Und weil er sich auskennt, ist er zumindest erstaunt: „Die Zahlen überraschen mich schon ein wenig.“
Gemeint sind die Zahlen, die das Statistische Landesamt an diesem Tag veröffentlicht. Thema: Bevölkerungsentwicklung der Kreise, kreisfreien Städte und Kommunen bis zum Jahr 2050. Der Kreis Olpe weist landesweit den zweitschlechtesten Wert (-13,3) aus, nur der Kreis Höxter (-14,3) wird bis zur Mitte des Jahrhunderts mehr Menschen verlieren. Der Märkische Kreis hat den drittschlechtesten Wert.
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Und nun? Alarmglocken an? „Dass wir im ländlichen Raum unter demografischen Veränderungen leiden werden, ist nichts Neues“, sagt Melcher. Aber das Ausmaß der neuen Prognose verwundert ihn, weil der Kreis durch seine Nähe zu den Ballungszentren wie Köln oder Dortmund guten Anschluss habe – und weil frühere Berechnungen das Minus als deutlich weniger stark auswiesen.
Was ja auch kein Wunder wäre, denn der Kreis Olpe könnte für einen Ort gehalten werden, an dem Milch und Honig fließen: Attendorn war zuletzt die Stadt in NRW, in dem das durchschnittliche Einkommen pro Kopf am höchsten ist. Die Arbeitslosenquote ist gering, die Beschäftigungsquote hoch. Der Kreis trägt mit seinen Unternehmen entscheidend dazu bei, dass Südwestfalen Deutschlands drittstärkste Industrieregion ist.
Homeoffice ist die große Chance für die Region
Melcher stellt die Zahlen in Frage: „Das Problem an Prognosen ist, dass sie sich auf die Zukunft beziehen und deswegen so unsicher sind.“ Dass Ballungszentren wie Bonn, Köln und Düsseldorf Bürger hinzugewinnen, weiß Melcher. „Dass wir älter und weniger werden, ist klar. Der ländliche Raum muss sich so gut es geht darauf einstellen.“ Und wie? Zum Beispiel mit Regionalmarketing, sagt Melcher: In den urbanen Bereichen werde Werbung gemacht für eine Region „mit solventen, arbeitnehmerfreundlichen Unternehmen“, in der andere Urlaub machen.
Vor allem aber setzt Melcher darauf, dass aktuelle Zahlen zu Geburten, Zuzügen und Abwanderungen zwar berücksichtigt wurden, dass aber neueste Trends noch nicht ausreichend aufgegriffen wurden. „Die Arbeitswelt verändert sich gerade fundamental. Der wachsende Grad der Digitalisierung und die Möglichkeit zum Homeoffice bieten gerade für ländliche Regionen neue Perspektiven.“
Was der Landrat sagt und wie er es formuliert: Hubertus Winterberg hätte es genauso sagen können. Er ist Geschäftsführer der von fünf Landkreisen und dem Verein „Wirtschaft für Südwestfalen“ getragenen Südwestfalenagentur, die schon seit Jahren ein großes Ziel verfolgt: Den Bevölkerungsschwund in der Region zu bekämpfen, die Folgen des demografischen Wandels abzufedern. Trägt die nun mehr als ein Jahrzehnt andauernde Arbeit der Südwestfalenagentur am Ende also doch keine Früchte? Immerhin schrumpfen nirgendwo sonst in NRW die Einwohnerzahlen so stark wie im Regierungsbezirk Arnsberg. Und da insbesondere im ländlichen Raum.
Die Südwestfalenagentur setzt auf die Rückkehrer
„Doch“, sagt Hubertus Winterberg mit fester Stimme. „Unsere Arbeit trägt Früchte.“ Etwa, dass man gemeinsam mit den Touristikern der Region ein neues Image gegeben habe. Der Geschäftsführer der Südwestfalen-Agentur will die Zahlen der Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes nicht in Frage stellen. Aber auch er sieht darin die Entwicklungen der jüngsten Zeit noch nicht ausreichend gewürdigt: „Wir merken zum Beispiel, dass im Thema Rückkehrer ein wahnsinnig großes Potenzial steckt“, sagt Hubertus Winterberg. „Das sind Menschen, die zur Ausbildung und zum Studium weggegangen sind, aber jetzt wiederkommen. Weil sie merken, dass sie hier gut wohnen können.“
Überhaupt: das Thema Wohnen sei ein großer Hebel: „Weil wir durch die Digitalisierung und durch die Pandemie in vielen Bereichen gelernt haben, dass man von verschiedenen Orten aus arbeiten kann, heißt für viele nicht die entscheidende Frage: Wo will ich arbeiten?, sondern: Wo will ich leben?“ Dass an diesem Punkt in Südwestfalen vieles in Bewegung sei, sehe man doch schon an der großen Nachfrage bei Bauplätzen.
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„Als wir als Südwestfalenagentur vor 14 Jahren begonnen haben, haben wir gewusst, dass wir den Trend nicht sofort umkehren können“, sagt Hubertus Winterberg. Die Kinder, die damals nicht geboren gewesen seien, könnten jetzt auch nicht Väter oder Mütter sein. „Aber wir haben jetzt noch 28 Jahre bis zum Jahr 2050 und viel gute Trends, damit sich die Zahlen der Prognose nicht erfüllen.“
>> HINTERGRUND: In Schwelm sogar ein Einwohner-Plus
- 5,0 Prozent beträgt das prognostizierte Plus für den Regierungsbezirk Köln. Bedeutet: Hier werden die Einwohnerzahlen laut der Prognose des Statistischen Landesamtes sogar noch steigen. Die Werte für die anderen Regierungsbezirke: Arnsberg: -5,7 %, Detmold: -3,3%, Münster: -2,9 %, Düsseldorf: -0,9 %. Für ganz NRW beträgt das Minus 1,7 Prozent.
- 21,9 Prozent seiner Bevölkerung wird Bestwig im HSK demnach verlieren. Dort bleibt man gelassen: Bereits bei früheren Prognosen sei die tatsächliche Entwicklung viel besser gewesen, so Sprecher Jörg Fröhling. Außerdem tue man viel: „Seit Jahren gibt es ein Programm, das Familien reduzierte Kaufpreise für Wohngrundstücke ermöglicht.“ Aktuell sei die Nachfrage nach Baugrundstücken so groß, dass man an einem Konzept für mehr Bauflächen arbeite.
- 2,6 Prozent wird nach der Prognose das Plus bei den Einwohnerzahlen in Schwelm bis zum Jahr 2050 betragen – neben Geseke ist die Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis damit die einzige, die zulegen wird. Das freut Bürgermeister Stefan Langhard. Warum die Entwicklung so ist? „Ich wüsste nicht den einen Grund, aber wir haben eine funktionierende Fußgängerzone, gute Freizeitmöglichkeiten, wir sind die Stadt der kurzen Wege.“ Dass insbesondere die Gruppe der Über-60-Jährigen wachsen wird – um fast 65 Prozent – stört ihn nicht: „Das ist kein Makel, es zeigt, dass der Generationen-Mix funktioniert.“