Hagen. Versehrte Helden sind ein Thema in der Malerei des Künstlers Sylvester Stallone. Das Osthaus-Museum Hagen zeigt jetzt eine große Retrospektive
Das Brustbild zeigt einen nackten Männeroberkörper, vernarbt und zerfurcht von Linien, so als hätte ein Graphiker versucht, aus einem Ölgemälde einen Holzschnitt zu machen. „Finding Rocky“ lautet der Titel des Kunstwerks von 1975. Mit diesem Bild begann es. Rocky, die Film-Ikone, war ein Gemälde, bevor er auf der Kinoleinwand um sein Leben boxte. Und sein Schöpfer Sylvester Stallone ist bereits ein Maler, lange bevor er mit dem Rocky-Stoff Kinogeschichte schrieb. Diesen Maler können die Besucher jetzt in einer umfassenden Retrospektive mit Arbeiten aus über 50 Jahren entdecken, mit der das Hagener Osthaus-Museum den Künstler, Darsteller, Drehbuchautor und Regisseur zum 75. Geburtstag ehrt. Es handelt sich um die erste Museums-Ausstellung mit Werken Stallones in Deutschland und die dritte nach St. Petersburg und Nizza in Europa.
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Der Weltstar verspätet sich. Probleme mit dem Hagener Verkehr. Der schafft jeden, auch den Mann, der mit Rambo die Spezies des Actionhelden erst erfunden hat. Einmal im Museum angekommen, erweist sich Stallone als bescheidener, sehr eloquenter Anwalt seiner Werke. „In der Kunst geht es darum, nach innen zu schauen, da ist man nicht jeden Tag ein Champion“, so beschreibt er mit seiner dunklen Bassstimme den Unterschied zwischen der Arbeit an einem Film und im Atelier. Film ist Teamwork, ein Charakter wird von einer ganzen Gruppe von Fachleuten entwickelt und inszeniert. Vor der Staffelei jedoch steht der Maler alleine.
Männer, die wieder aufstehen müssen
Sylvester Stallones Bilder zeigen Helden, versehrte Helden, Männer, die noch eine Runde zu kämpfen haben, die wieder aufstehen müssen, wenn sie am Boden liegen, die vom Schicksal in Extremsituationen getrieben werden. In diese Gruppe gehört die Arbeit „Hercules O‘Clock“ von 1991. Herkules, der Überheld, steht als Gerippe inmitten von roten Blutströmen. Getrieben wird er von einem dominanten Uhrensymbol. Nach der Runde ist vor der Runde. Stallone reflektiert in dem Gemälde nach eigenen Worten seine jugendliche Sehnsucht nach einem Rollenvorbild. Aber niemand ist unbesiegbar.
„Untitled (Michael Jackson)“ von 2010 porträtiert den Popstar Jackson in Phantasieuniform. Wieder schimmert die nackte Essenz des Skeletts durch die prächtige Maske des Kostüms. Jackson trägt einen Blumenkranz auf dem Kopf - so wie Shakespeares King Lear, der aus Kummer über eine Welt, die er nicht mehr versteht, kindisch wird.
Die Einsamkeit des Helden greift dem Betrachter ans Herz
In den meisten Gemälden tritt das Uhren-Symbol auf. Die Zeit ist der große Feind des Helden. Der Zeiger tickt, der Ruhm verrinnt, wenn er nicht immer wieder aufs Neue verteidigt wird. „Memento mori“, bedenke, dass du sterben wirst, hieß es schon im antiken Rom, und die barocken Meistermaler haben kaum ein Bildwerk geschaffen, ohne an die Vergänglichkeit des irdischen Seins zu erinnern.
„Last Round“ von 1991 stellt eine Figur vor, deren Kopf von grellem Scheinwerferlicht angestrahlt wird. Die Hände stecken in blutroten Boxhandschuhen. Der Körper befindet sich bereits in dem Dunkel, das den Boxer ganz und gar zu verschlingen droht. Die Einsamkeit des Helden greift ans Herz.
Neuere Arbeiten sind teils dezidiert politische Gedankenbilder. Sie integrieren Wörter und Sätze. „Knocking Heads“ von 2018-2019 versetzt eine Boxerfigur in eine Endlos-Schleife aus Uhren und Augen. „Still Fighting“ steht auf der Leinwand. Im Zentrum, dem tiefen Herzen des Bildes, erscheint das Rocky-Gesicht von 1975 mit den expressionistischen Linien.
Verbeugung vor dem Expressionismus
Dieser Ur-Rocky spiegelt Stallones Beschäftigung mit der von ihm verehrten expressionistischen Malerei. Das historische Hagener Museumsgebäude, in dem Karl Ernst Osthaus 1902 das erste Museum für zeitgenössische Kunst weltweit eröffnete, ist entsprechend für den Weltstar ein besonderer Ort.
Stallones „Rocky“-Brustbild hingegen erinnert in seiner Strenge und Stilisierung an die Holzschnitte von Christusfiguren, die Otto Pankok als Sinnbild des Ecce Homo angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs schuf. Die Augen des Boxers sind rot. Laut Stallone sind sie der Ort, an dem der Schmerz wohnt. Rocky ist ein Schmerzensmann.
Stallones Kunst ist nachdenklich, reflektiert, arbeitet mit Schichten und Verhüllungen. Einen Film kann man schneiden und misslungene Szenen noch einmal drehen. Ein Gemälde gelingt entweder oder es scheitert. Stallone: „Wenn Du malst, bist Du ganz auf Dich selbst zurückgeworfen.“
Die Ausstellung ist bis zum 20. Februar zu sehen. www.osthaus-museum.de