Arnsberg. Industrialisierung, naturwissenschaftliche Entdeckungen, Erster Weltkrieg. Die Expressionisten versuchen, die Umbrüche ihrer Zeit zu malen
Warum sind die Expressionisten so beliebt? Diese Frage erkunden zahlreiche Ausstellungen. Münster hat im Sommer die Beziehung zwischen August und Elisabeth Macke in überwältigenden Bildern untersucht. Derzeit beleuchtet dort „August und das Zirkuspferd“ neue Aspekte im Schaffen des Malers, die auch für Familien interessant sind. Wuppertal zeigt mit „Brücke und Blauer Reiter“ grandiose Meisterwerke der klassischen Moderne. Und das Sauerland-Museum in Arnsberg lotet bis zum 23. Januar „Facetten des Rheinisch-Westfälischen Expressionismus“ aus.
Das bereits mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnete neue Sauerland-Museum hat einen Schwerpunkt auf kulturgeschichtlichen Themen. Doch in der Verbeugung vor dem am 3. Januar 1887 in Meschede geborenen August Macke will man ebenfalls mit Kunstausstellungen Akzente setzen. Die Werkschau „Im Westen viel Neues“ folgt dabei auf „August Macke – ganz nah“, die den Maler sehr erfolgreich in seiner Sauerländischen Heimat zu verorten versuchte.
Eine Gesellschaft im Umbruch
In der wieder von Dr. Ina Ewers-Schultz kuratierten Folgeschau soll mit einer überbordenden Fülle von Exponaten vermittelt werden, wie der Expressionismus zur vorherrschenden Kunstströmung im Rheinland und in Westfalen werden kann. Gemälde, Grafiken und Zeichnungen, aber auch Gedichte, Alltagsobjekte, Textilkunst, Möbel, Bühnenbilder und Architektur-Reflexionen entwerfen das Bild einer Kunst, welche eine Gesellschaft im Umbruch spiegelt. „Wir zeigen überwiegend Werke aus Privatbesitz. Die sind sonst nicht zu sehen“, betont Museumsdirektor Dr. Oliver Schmidt, warum „Im Westen viel Neues“ im Reigen der hochkarätigen Expressionismus-Ausstellungen mithalten kann.
Die Industrialisierung mit den schnell wachsenden Städten, die Entfremdung des Menschen von der Natur, Verkehr, Technik, neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die schreckliche Zäsur des Ersten Weltkriegs: All das bringt Gewissheiten ins Wanken, stellt feste Weltbilder auf den Kopf. Der Maler verlässt das Atelier, malt nicht mehr Historienszenen mit Königen und Kaisern sowie Porträts von Mächtigen. Er malt jetzt zum Beispiel den Turm der Propsteikirche Brilon in flammendem Grüngelb, bedrängt von züngelnden Wolken, hochaufragend über der winzigen Stadt und bedrohlich ins Wanken geratend.
Der Maler des Sauerlandes
Walter Ophey hat dieses Gemälde um 1922 geschaffen. Der Düsseldorfer Ophey ist einer der bedeutendsten Vertreter des Rheinischen Expressionismus, seine Frau Bernhardine Bornemann stammt aus Olsberg-Bigge. Der Maler hat viele Landschaften des Sauerlandes gemalt, ja er kann als der Expressionist schlechthin des Sauerlandes gelten.
Damit ist auch bereits das Defizit der Ausstellung angesprochen. In dem lobenswerten Bemühen, möglichst viele Facetten des rheinisch-westfälischen Expressionismus vorzustellen, übersieht sie regionale Spuren und Verbindungen. Eigentlich hätte die Schau heißen müssen: Wie der Expressionismus ins Sauerland kam. Die Fokussierung auf ein klar umrissenes Thema hätte ihr übrigens auch nicht geschadet.
Die entsprechenden Künstler und Akteure sind ja in Arnsberg vertreten: Christian Rohlfs, der von dem Hagener Kunstpionier und Museumsgründer Karl Ernst Osthaus, dem Erfinder des Ruhrgebiets, gemeinsam mit Emil Nolde mit einem Arbeitsstipendium nach Soest geschickt wird und dort auf Eberhard Viegener trifft. Viegener wiederum erhält über den Hagener Bildhauer Will Lammert Kontakt zur Hagener Boheme. Helmuth Macke, der Cousin August Mackes, studiert bei Jan Thorn Prikker, den Osthaus nach Hagen holt, wo er ein riesiges Glasgemälde als Bahnhofsfenster schafft, das eine Skifahrerin beim Aufbruch ins Sauerland zeigt.
„Wir waren ganz jeck“
August Macke selbst schreibt nach einem Besuch im neuen Museum Folkwang in Hagen, dem ersten Museum für moderne Kunst weltweit, an Osthaus: „Wir waren ganz jeck“. Fifi Kreutzer erhält entscheidende künstlerische Impulse bei einem Besuch im Museum Folkwang 1909, wo sie Osthaus kennenlernt. Auch Peter August Böckstiegel pilgert 1909 nach Hagen. Heinrich Campendonk ist ebenfalls Schüler von Thorn Prikker sowie Freund von August Macke und Heinrich Nauen, dem wir ein wunderbares Porträt von Christian Rohlfs zu verdanken haben.
Eine verpasste Chance
Walter Ophey gründet 1909 die Gruppe „Sonderbund“, zu der Rohlfs gehört und deren Vorsitzender Osthaus ist. In dieser Hinsicht gibt es viele Linien und Verbindungen zu erforschen, dafür muss man allerdings die regionalen Landkarten kennen. Insofern ist es schade, dass die Schau die Chance verpasst hat, das Verhältnis der Expressionisten zum Sauerland zu untersuchen.
Dennoch lohnt sich der Besuch im Arnsberger Museum, weil die Schau abseits der bekannten Meisterwerke unbekanntere Bilder und Sichtweisen vorstellt und vor allem auch expressionistische Künstlerinnen wiederentdeckt. Dazu gehört die Malerin Maria Nies, die 1956 in Olsberg-Bigge starb und ebenso wie Walter Ophey eine gesonderte Würdigung verdient hätte.