Bad Lippspringe. Theresa Bajohr (30) hatte eine milde Corona-Erkrankung, doch dann kam Covid-19 mit Wucht zurück. Wie sie sich aus der totalen Erschöpfung kämpft.
Nein, sie hätte vor einem Jahr nicht gedacht, dass sie im März 2021 in einer Reha-Klinik an einem Trainingsgerät sitzt und versucht, ihren zuletzt kraftlosen Körper in Schwung zu bringen.
Vor einem Jahr erkrankte Theresa Bajohr (30) aus Eslohe an Covid-19. Es waren eher leichte Symptome, die sich wieder legten. „Ich dachte, ich hätte es hinter mir.“ Zumal damals alle Welt davon sprach, dass das Coronavirus jüngere Menschen nicht so dramatisch heimsucht wie ältere.
Erkrankung schien überwunden
Im Spätsommer wurde die Sauerländerin immer schlapper, schnell war sie außer Atem. „Das Virus hat mich voll aus den Socken geholt.“ Theresa Bajohr leidet unter dem Post-Covid-Syndrom (auch Long-Covid), bei dem die Erkrankung überwunden scheint und sich erst nach einiger Zeit mit Wucht Spätfolgen einstellen.
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Seit einer guten Woche wird Theresa Bajohr in der Klinik Martinusquelle in Bad Lippspringe (Kreis Paderborn) behandelt. Die Reha tut ihr gut, sie kämpft sich zurück ins Leben.
Der Austausch mit anderen Patienten hilft
„Das Reden über die Krankheit hilft“, sagt sie und spricht von Ängsten, die ausgelöst werden, wenn ein unbekanntes Virus den Körper lahmlegt. „Ich frage mich oft, ob etwas von Covid-19 zurückbleibt oder ich irgendwann wieder die alte sein kann.“ Wenn sie mit anderen Patienten spricht, merkt sie, dass sie nicht allein ist mit solchen Gedanken.
Seit dem Spätsommer 2020 hat die Mitarbeiterin eines Buchhaltungsbüros und Mutter zweier kleiner Kinder gute und schlechte Tage. Als das Gespräch auf ihre Familie fällt, überkommen sie die Gefühle.
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Theresa Bajohrs Stimme versagt, Tränen laufen die Wangen herunter. „Ich bin nicht belastbar. Ich falle für das Familienleben praktisch aus.“ Und erzählt im nächsten Satz, wie wichtig es für sie sei, dass ihr Mann und ihre Mutter „tausendprozentig“ hinter ihr stehen.
Freunde nicht mehr impfskeptisch
Das Leben der 30-Jährigen hat sich grundlegend verändert. „Ich kann nur an jeden appellieren: Passt bloß auf! Haltet Euch an die Regeln! Das Coronavirus ist hochgefährlich.“ Im Freundes- und Bekanntenkreis habe es Impfskeptiker gegeben. Seitdem diese ihre Geschichte kennen, will sich jeder impfen lassen.
Theresa Bajohr hat gelernt, dass sie sich Zeit geben muss, um wieder in die Spur zu kommen. Und dann? „Mein großes Ziel ist, wieder draußen mit meinen Kindern spielen zu können.“ Sie will wieder am Alltag teilnehmen können, ohne Pausen einlegen zu müssen. „Ich will ins Leben zurück.“
Das Treppensteigen in der Reha geübt
Das gilt auch für Berthold Burkert (56). Wenn er vor der Treppe steht, schiebt er seinen Rollator zur Seite, nimmt den Gehstock aus der Halterung und schaut auf seine Füße. Dann geht es Schritt für Schritt langsam nach oben.
Burkert hat das Treppensteigen in den vergangenen Wochen in der Klinik Martinusquelle geübt. „Unsere Wohnung liegt im ersten Stock“, sagt der Recklinghäuser, „ich muss hinauf kommen, wenn meine Reha am 16. zu Ende ist.“ Dann hat er eine „150-Tage-Corona-Tour“ hinter sich.
Seit Mitte Oktober liegt der Bauleiter wegen einer Covid-19-Erkrankung in Kliniken, darunter neun Wochen im Koma. „Wenn ich wieder im Wohnzimmer stehe, werde ich weinen wie ein kleines Kind.“
Ralf-Dieter Schipmann, Chefarzt der Klinik Martinusquelle, ist voll des Lobes über Burkert. Er sei sehr schwer krank gewesen und ein Paradebeispiel dafür, wie man mit positivem Denken Fortschritte machen kann.
45 Kilo im Koma abgenommen
Als Burkert am 11. Januar ankam, konnte er nur mit fremder Hilfe an der Bettkante sitzen. Als er Wochen zuvor in der Uniklinik Essen aus dem Koma erwachte und die Bettdecke hochzog, dachte er sich: „Wie willst Du mit diesen dünnen Beinen jemals wieder laufen können?“ Während der neun Wochen im Koma hatte der 160-Kilo-Mann 45 Kilo abgenommen.
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Dank der Therapien in der Reha bewältigt der zweifache Vater jetzt lange Gänge am Rollator. Als er den Konferenzraum betritt, sieht man ihm seine Mühen beim Gehen und beim Hinsetzen an. Die Füße schmerzen, ab und an schlafen sie ein oder kribbeln. „Ich habe nie aufgegeben. Es sind die kleinen Schritte, die einen leben lassen.“
Per Rettungswagen in die Klinik
Alles begann, als Burkerts Ehefrau sich wohl am Arbeitsplatz infizierte. Sein Test am 12. Oktober fiel ebenfalls positiv aus: „Ich hatte anfangs relativ wenig Beschwerden“, sagt er. Das änderte sich schnell.
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Burkert war nicht mehr in der Lage aufzustehen und wurde am 19. per Rettungswagen in eine Klinik gebracht. „Mein Zustand war zwischendurch so schlecht, dass meiner Frau gesagt wurde, dass ich womöglich die Nacht nicht überstehe.“ Auch Angehörige von Covid-19-Patienten erleben ein Wechselbad der Gefühle.
Im Traum erschien der verstorbene Vater
Im Koma, erzählt Burkert, stand in einem Traum plötzlich sein verstorbener Vater vor ihm: „,Was machst Du hier?’, hat er mich gefragt. Und dann: ,Geh! Es ist noch nicht Deine Zeit.“
In anderen Träumen hatte er das Gefühl, zu ersticken. Burkert bekommt in der Reha psychologische Hilfe. Er ist dankbar dafür: „Früher war ich ein harter Knochen. Ich bin sensibler geworden“, sagt er und erzählt, dass er bald zum ersten Mal Großvater wird.
Virus kennt kein Gut und kein Böse
Was denkt er über das Virus, das ihn so getroffen hat? „Entschuldigen Sie den Ausdruck. Aber: Das Virus ist ein Arschloch. Es kennt kein Gut und kein Böse.“
Vor Wochen hat er einen TV-Beitrag über Verschwörungstheoretiker gesehen. „Mir wurde schlecht vor Wut. In der Reha habe ich viele junge Leute getroffen, die fit waren und dann keine Treppe mehr schafften.“