Auch jüngere Menschen können unter den Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung leiden. Die Klinik Martinusquelle in Bad Lippspringe hilft ihnen.

Die Klinik Martinusquelle in Bad Lippspringe gehört zu den größten Reha-Einrichtungen für Patienten mit Post-Covid-Syndrom (Long Covid) in Deutschland. Dr. Ralf-Dieter Schipmann ist der Chefarzt.

Sie behandeln seit fast einem Jahr Covid-19-Patienten. Was haben Sie in dieser Zeit über die Erkrankung gelernt?

Neben den Schwerkranken, die etwa 20 Prozent der Covid-19-Patienten ausmachen, haben wir Erkrankte mit leichten Beschwerden und Infizierte ohne Krankheitssymptome. Zunehmend werden wir allerdings auf eine weitere Gruppe aufmerksam: die so genannten Long-Covid-Patienten, die unabhängig vom Alter und vom Schweregrad der Erkrankung unter Spätfolgen wie chronische Müdigkeit (Fatigue), Erschöpfung und kognitiven Beeinträchtigungen leiden.

Sind diese Patienten, die offiziell genesen sind, aber dennoch nicht gesund, ein unterschätztes Thema in der Öffentlichkeit?

Ja, leider. Aber Gott sei Dank spricht sich langsam herum, dass es sich hier nicht um Simulanten oder Hypochonder handelt. Bei einem Drittel der Long-Covid-Patienten sind alle organischen Befunde in Ordnung. Schnell werden sie nach dem Motto „Stellen Sie sich nicht so an“ abgestempelt. Man tut ihnen damit Unrecht, sie übertreiben nicht, wenn sie berichten, manchmal zu schlapp zu sein, um die Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen.

Was kann der behandelnde Haus- oder Facharzt tun?

Er kann eine Reha beantragen. Die Chancen auf eine Bewilligung stehen gut. Erste Daten aus der pneumologischen Rehabilitation bestätigen in allen Zentren, dass der rehabilitative Ansatz wie in unserer Klinik Long-Covid-Patienten eher in die Lage versetzt, wieder arbeitsfähig zu werden.

Wie können Sie diesen Patienten helfen?

Wir können sie während der drei- bis vierwöchigen Reha durch strukturiertes körperliches Training wieder in die Spur bringen, sie aus ihrer Hilflosigkeit holen. In diesen Tagen behandeln wir bereits den 400. Covid-19-Patienten. Es war niemand darunter, der nicht eine Reha benötigt hätte.

Stichwort Hilflosigkeit. Die seelische Krankheitsbewältigung ist sicher auch ein großes Thema bei Ihnen, oder?

Das stimmt! Da sind die quälenden Fragen, warum man erkrankt ist, ob man eine Ansteckung hätte verhindern können oder man womöglich Angehörige infiziert hat. Da ist das Unverständnis darüber, was sich im eigenen Körper abspielt, wenn man plötzlich nicht mehr in der Lage ist, einen Satz zu Ende zu formulieren. Und da ist die Ungewissheit, wie lange die Beschwerden – beispielsweise der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns – anhalten. Glücklicherweise bilden sich die Beschwerden in den allermeisten Fällen wieder zurück. In der Reha erhalten die Patienten psychologische Unterstützung, die sich sehr positiv auf die Krankheitsbewältigung auswirkt. Ihnen hilft auch ungemein, dass sie sich mit anderen Patienten austauschen können.

Welche Rolle spielt der Zeitfaktor?

Man muss Post-Covid-Patienten Zeit geben. Mehr Zeit, als man es bei viralen oder bakteriellen Lungenentzündungen gewohnt ist. Die Bewältigung der Folgen einer Covid-19-Erkrankung dauert einfach länger. Das ist eine der Erkenntnisse der vergangenen Monate.

Wie sind die Erfolgsaussichten einer Reha bei Ihnen?

Wir sind nicht die Wunderheiler von Bad Lippspringe. Wir können nicht jedem Patienten garantieren, vollständig gesund zu werden. Aber die Patienten kommen deutlich schneller wieder auf den richtigen Weg als ohne eine spezifische Reha.

Seit fast einem Jahr beschäftigen Sie sich mit dem Coronavirus. Wie denken Sie über das Virus und Covid-19?

Ich bin 62 Jahre alt. In meiner langen medizinischen Laufbahn habe ich solch einen tückischen und komplizierten Verlauf einer Krankheit noch nicht erlebt. Wir wissen, dass Übergewicht und Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Herzschwäche schwere Verläufe begünstigen. Aber nach wie vor wissen wir wenig über die Erkrankung, und es fehlt ein wirksames Medikament. Je mehr Patienten wir aber sehen, desto deutlicher wird, dass sich unsere Warnungen bitter bestätigt haben: Es ist eine schwere Erkrankung, alles andere als ein leichter Infekt. Dass es Menschen gibt, die immer noch Covid-19 mit einer Grippe vergleichen oder es ganz leugnen, erschüttert mich. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wenn Menschen allzu sorglos sind und die AHA-Regel (Abstand halten, Hygiene beachten und im Alltag Maske tragen) nicht einhalten. AHA+L ist so unfassbar wirksam.

Wie langen müssen wir uns noch auf Einschränkungen einstellen?

Wir befinden uns an der Schwelle zur dritten Corona-Welle. Jeder von uns hat das Virus so was von leid, aber wir müssen noch zwei bis drei Monate durchhalten, bis breite Teile der Bevölkerung geimpft sind. Die Impfkampagne muss endlich Fahrt aufnehmen. Wir müssen uns hier an den US-Amerikanern und Engländern orientieren. Bei der Bewältigung der Pandemie zuvor waren wir ihnen überlegen, aber beim Impfen haben wir das Nachsehen. Wir sind offenbar überorganisiert.

Hintergrund:

Zwei Fachkliniken unter einem Dach

Die Covid 19-Rehabilitation läuft in Bad Lippspringe seit Mai/Juni 2020. Die Klinik Martinusquelle (261 Betten) umfasst zwei Fachkliniken unter einem Dach: eine für Erkrankungen der Atmungsorgane und allergische Erkrankungen der Atemwege (Pneumologie), eine für Herz- und Kreislauferkrankungen (Kardiologie).