Hagen. Der Hagener Heinz-Werner Schroth hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Er schreibt Eindrücke auf und macht Fotos. Protokoll einer Erkrankung.

35 Tage dauert der Trip und richtig vorbei ist er auch noch nicht: Der Hagener Heinz-Werner Schroth (75) erkrankt am Coronavirus und landet auf der Intensivstation. Er bekommt keine Luft, fühlt sich elend. In dieser Zeit schreibt er Eindrücke auf, macht Fotos mit seinem Handy. Protokoll einer Erkrankung.

Sonntag, 1. November: Früher lief Heinz-Werner Schroth Marathon. „Ich wurde wach und es ging mir saudreckig. Ich habe die ganze Zeit gehustet, fühlte mich schlapp, wusste nicht, wohin mit mir. Ich aß nichts, weil mir übel war. Ich trank viel Wasser, weil ich unstillbaren Durst hatte.“ Die Grippe, denkt er.

Montag, 2. November: Kaum geschlafen. Er schleppt sich zum Arzt. Der sagt: eher kein Corona.

Dienstag, 3. November: „Der Arzt hatte gesagt, dass es kein Corona war, aber es fühlte sich ganz anders an als eine Grippe. Ich kann das nicht beschreiben. Es war irgendwas in meinem Kopf: Ich stand völlig neben mir, wie betäubt. So superschlecht ging es mir noch nie.“

Nur eine Grippe? Erster Corona-Test nach fünf Tagen

Donnerstag, 5. November: „Der Arzt hatte gesagt, dass ich wiederkommen sollte, wenn es nicht besser wird.“ Nun wird der Corona-Test gemacht. Warten.

Freitag, 6. November: Kein Ergebnis. Wenn er essen soll, würgt Schroth. Er liegt im Bett, die Muskeln und Knochen schmerzen. „Ich wurde unruhig. Wenn ich meine Frau nicht gehabt hätte, wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre.“

Heinz-Werner Schroth wird mit einer Maske beatmet. Die schwereren Fälle auf seinem Zimmer müssen zum Teil künstlich beatmet werden. 
Heinz-Werner Schroth wird mit einer Maske beatmet. Die schwereren Fälle auf seinem Zimmer müssen zum Teil künstlich beatmet werden.  © Westfalenpost | privat

Samstag, 7. November: Kein Ergebnis. „Das Gehirn funktioniert noch, man registriert den eigenen Verfall.“ Er hat schon abgenommen. Schlappheit, Übelkeit. Es ist der Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder, die mit im Haus wohnen, ein positives Testergebnis erhalten. Der Sohn arbeitet als Lehrer und war bei routinemäßigen Untersuchungen positiv getestet worden. Schroths Frau, die Schwiegertochter – alle betroffen, aber milde. Heinz-Werner Schroth bekommt das alles nicht mit. „Ich habe keine Ahnung warum, aber ich erinnere mich daran nicht.“

Montag, 9. November: Kein Ergebnis. Der Hausarzt ruft an. „Solange er keine Atemnot hat, muss er nicht ins Krankenhaus.“

Positives Testergebnis – vier Tage später kommt Schroth auf die Intensivstation

Donnerstag, 12. November: Das Ergebnis ist da: positiv, sagt der Arzt am Telefon. „Ich habe geflucht, dass ich das jetzt habe und nicht irgendwelche Leute, die es verdient hätten. Leute, die Corona leugnen, die sich auf Demos herumtreiben. Denen wünsche ich das.“

Montag, 16. November: „Ich bin morgens aufgestanden und sofort gestürzt, weil ich mich nicht auf den Beinen halten konnte. Meine Füße fühlten sich an wie abgestorben, als wären sie kein Teil mehr von mir.“ Er setzt sich an den PC, kurz was erledigen. „Aber ich konnte nicht, weil ich den Code zur Anmeldung vergessen hatte. Und selbst wenn nicht: Ich hätte die Tasten kaum drücken können, weil ich so zitterte, wie ein Alkoholiker auf kaltem Entzug.“ Schroth hat sich Wissen angeeignet, das ihn beunruhigt: Die Krankheit greift nicht nur die Lungen an, sondern auch das Nervensystem. Das Nasenbluten setzt plötzlich und heftig ein: Um 16.30 Uhr ruft Schroths Frau den Notarztwagen. Er erinnert sich an die Fahrt, dann fehlen einige Stunden. Wach wird er mitten in der Nacht auf der Intensivstation.

Auch interessant

Dienstag, 17. November: Sein erster Gedanke: „Verdammt, wo bist du jetzt gelandet?“ Er hat eine Atemmaske aus Plastik auf Nase und Mund, das Atmen fällt ihm wieder leichter, er ist an eine Infusion angeschlossen, ein Clip am Finger misst den Sauerstoffgehalt in seinem Körper. „Eine vermummte Frau in einem grünen Kittel beugte sich über mich und fragte, wie es mir geht. Was ich antwortete, weiß ich nicht. Sie sagte mir, was ich ahnte: Intensivstation. Und ich wusste: Jetzt hat es dich richtig erwischt.“

Seine Frau lässt ihm im Laufe des Tages ein Handy und Kopfhörer zukommen. „Sie hat mich aus Sorge jede Stunde angerufen. Und ich habe klassische Musik gehört, um mich zu schützen.“ Schützen vor dem, was da links und rechts von ihm zu hören ist auf der Station, auf der Schroth der harmloseste Coronafall ist. Er ist der einzige, der nicht künstlich beatmet werden muss. „Aber was ich da mitbekommen habe, wünsche ich keinem, nicht einmal den Corona-Leugnern.“

Wenn er zur Toilette muss, setzt er die Maske ab. Die Atemnot ist sofort zurück. Nur mit Maske kann er tief ein- und ausatmen.

XHTML liegt unter: 230246400

Mittwoch, 18. November: Schroth wird auf die Normalstation verlegt, Station 11, Einzelzimmer. „Wir kriegen das in den Griff“, sagt der Arzt. Schroth hofft es, glaubt es. Das Schlimmste hat er hinter sich. Angst, sagt er, habe er nicht gehabt. Er vertraue den Medizinern. Er isst erstmals wieder etwas mit Appetit: Eine Scheibe Brot mit Belag, dazu einen Kaffee. „Ich habe noch nie so viel Kaffee getrunken. Der hat wunderbar geschmeckt.“ So wohlig und warm nach Normalität.

Freitag, 20. November: Er will duschen, ist aber zu schwach. „Dann habe ich mich auf einen Hocker vor das Waschbecken gesetzt und mich rasiert.“ Der Spiegel hängt zu hoch, also schaut er sich im Wasserhahn an. „Ich weiß noch, dass ich laut lachen musste über diese Situation.“ Er macht sich frisch, danach ist er wieder erschöpft, legt sich ins Bett. Er überlegt, was er tun könnte, um sich zu fordern. Er läuft im Zimmer auf und ab und stellt sich vor, er sei am Hengsteysee. Fünf Minuten, mehr geht nicht.

Montag, 23. November: Schroth könne morgen gehen, sagt der Arzt.

Nach einer Woche in der Klinik geht es nach Hause

Dienstag, 24. November: Eine Schwester schiebt ihn im Rollstuhl hinaus zum Ausgang. Zu Hause haben die Kinder und seine Frau ein Bett im Wohnzimmer aufgebaut. „Meine Frau wollte mich nicht aus den Augen lassen.“ Die Hände zittern ihm noch immer, die Luft ist noch immer knapp. Alle zwei, drei Stunden wird er nachts noch immer wach. „Wenn man mit dem Gefühl einschläft, nicht genug Luft zu bekommen, dann macht das etwas mit einem.“

Freitag, 27. November: Schroth beginnt dank Schwiegertochter Nina, die Physiotherapeutin ist, mit Atemübungen. Sie helfen ihm, auf dem Weg zurück. „Ich habe keine Angst mehr einzuschlafen.“

Ein Stückchen Normalität: Heinz-Werner Schroth wagt mit Ehefrau Marianne nach mehr als einem Monat wieder einen kurzen Spaziergang am Hengsteysee.
Ein Stückchen Normalität: Heinz-Werner Schroth wagt mit Ehefrau Marianne nach mehr als einem Monat wieder einen kurzen Spaziergang am Hengsteysee. © privat | Privat

Samstag, 5. Dezember: Seit Tagen fährt Schroth ein bisschen auf dem Fahrradergometer, am PC kann er wieder sitzen, sogar einen Spaziergang an der frischen Luft am echten Hengsteysee hat er gewagt. Das Zittern ist nur noch morgens da, die Füße sind nicht mehr taub. Und er isst wieder. Nur das einst geliebte Bier schmeckt ihm nicht mehr. „Ich bin demütig geworden“, sagt er, weil er weiß, dass das alles auch anders hätte ausgehen können. „Bis jetzt bin ich mit einem blauen Auge davongekommen.“ So ganz traut er der Sache aber offenbar noch nicht.

>>> HINTERGRUND

Heinz-Werner Schroth ist ein Urgestein des Hagener Stadtteils Hohenlimburg. Er arbeitete für die Andreas-Brauerei in Haspe und für die Märkischen Kliniken in Lüdenscheid, ehe er 1976 eine Stelle an der damals im Aufbau befindlichen Fernuniversität Hagen antrat. Er ist zudem freier Mitarbeiter dieser Zeitung.

Seit mehr als 50 Jahren ist er mit seiner Frau Marianne verheiratet, das Ehepaar hat zwei Kinder und bereits Enkelkinder.

Schroth ist eines wichtig: Lob für alle Ärzte und Pflegenden, mit denen er zu tun hatte. „Ich habe mich im Krankenhaus in Boele gut behütet und betreut gefühlt.“