Essen. Der Psychiater und Theologe Manfred Lütz hat sich die zeitlosen Fragen der Menschheit vorgenommen – und fand Antwort in der Kunst von Rom.
Die Suche nach dem Sinn des Lebens begleitet die Denker und Philosophen seit ewigen Zeiten – und einer nimmt sich nun die Freiheit zu sagen, dass er ihn gefunden hat: Der Psychiater, Psychotherapeut, Theologe und studierte Philosoph Manfred Lütz aus Bonn hat gerade sein Buch mit dem Titel „Der Sinn des Lebens“ herausgebracht. Und vorab kann man zumindest schon mal verraten, wo er den Sinn fand: In der Ewigen Stadt Rom und ihren unermesslichen Kunstschätzen. Wir wollten dazu ein bisschen mehr von ihm wissen…
Herr Lütz, Sie haben also den Sinn des Lebens gefunden. Können Sie ihn für unsere Leserinnen und Leser kurz in zwei, drei Sätzen zusammenfassen, sodass wir schnell fertig sind und uns anderen Dingen widmen können?
Witzige Frage, aber im Ernst: Ich glaube, dass nicht nur ich, sondern jeder den Sinn des Lebens sehen kann, nämlich in wirklich großer Kunst. Die Menschen im Mittelalter konnten oft nicht lesen und schreiben, aber sie sahen den Sinn des Lebens in den Bildern ihrer Kirchen. Und heute, in der Instagram-Generation, kommunizieren junge Menschen wieder über Bilder. Deswegen kam ich auf den Gedanken, Menschen mit diesem Buch in großartigen Bildern bedeutendster Kunstwerke buchstäblich den Sinn des Lebens zu zeigen.
Die Kunst von Rom auch ohne Hintergrundwissen begreifen – als Christ oder als Atheist
Das heißt, man muss sich nur mit guter Beobachtungsgabe und einem gewissen Hintergrund die Kunst Roms anschauen – und wird einen Sinn entdecken?
Man braucht keinen Hintergrund. Kunst wurde von den Künstlern nicht für Fachleute oder Kunstliebhaber geschaffen, sondern für Menschen wie du und ich. Dieses Buch ist daher für 80 Millionen Deutsche, denn jeder muss doch mal innehalten und überlegen, was für ihn denn der Sinn seines Lebens ist. Und warum ausgerechnet Rom? Weil Rom so lange wie keine andere Stadt Hauptstadt der Welt war. Erst Hauptstadt fast der gesamten der Antike bekannten Welt und später der weltweiten katholischen Kirche. Deswegen haben die größten Künstler gerade in Rom ihr Bestes gezeigt. Wirklich große Kunst kann Menschen so tief berühren, dass sie ihr Leben ändern. Jeder wird von den Kunstwerken, die man in diesem Buch sehen kann, ein bisschen anders berührt sein und kann so seinen ganz persönlichen Sinn finden. Den Sinn liefere dann aber nicht ich, sondern das machen Michelangelo, Raffael und die anderen Großen.
Sie schreiben unter anderem: „Sinn des Lebens war für die Römer nicht, nach Lust und Laune zu leben, sondern seine Pflicht zu tun vor der Familie, dem Staat und den Göttern.“ Ist ein solches Pflichtbewusstsein für Menschen heute noch ein großer Sinnstifter?
Unser ganzer Respekt vor dem Staat ist sozusagen römische Erfindung. Und das kann man tatsächlich sehen an der Büste des kapitolinischen Brutus: Aufrecht, pflichtbewusst, aber auch würdevoll, kraftvoll und entschieden wirkt dieser Mann. In diesem Gesicht sieht man, warum diese kleine Stadt in Mittelitalien die Welt erobert hat. Diese Römer haben sich für den Staat aufgeopfert. Im Angesicht des kapitolinischen Brutus kann man sich die Frage stellen, wer denn wohl heute noch auf solche Weise bereit wäre, für die Freiheit und Unabhängigkeit unseres Staates sein Leben einzusetzen.
Da sind wir dann von einem römischen Staatsmann bei einem ganz aktuellen und zugleich zeitlosen Thema gelandet. Davon liefern Sie ganz viele. Welches Kunstwerk ist denn in dieser Hinsicht Ihr liebstes?
Die Pietà von Michelangelo. Ich glaube, dass ein Atheist, der sich dieses ergreifende Kunstwerk ein paar Stunden lang verständig anschaut, Christ werden kann. Denn man sieht da ohne Worte das ganze Christentum: In den unteren Gewandfalten der Madonna sieht man noch das ganze Leid, doch je näher man ihrem Gesicht kommt, desto ruhiger werden die Falten und schaut man ihr Gesicht genauer an, dann nimmt man wahr, dass sie ganz leicht lächelt. Diese Mutter lächelt angesichts der Leiche ihres Sohnes, der auf ihrem Schoß liegt. Das kann man nur verstehen, wenn diese Mutter an die Auferstehung, ans ewige Leben glaubt. Und das ist doch die entscheidende Frage für uns alle: Gibt es ein ewiges Leben oder ist mit dem Tod alles vorbei? Und dann nimmt man diesen wunderschönen Leib Christi wahr, da sieht man geradezu Fleischwerdung, Menschwerdung Gottes. Menschwerdung Gottes - Weihnachten, Auferstehung - Ostern, alles andere am Christentum ist nebensächlich.
Was kann man fürs eigene Leben daraus für einen Sinn erhalten?
Wie gesagt, jeder soll seinen eigenen Sinn des Lebens in den schönen Bildern des Buches finden, der Atheist mag nach Lektüre ein humanerer Atheist werden, der Christ ein engagierterer Christ. Der Brutus zum Beispiel hat nichts mit dem Christentum zu tun. Aber die Bilder stellen die Leser und Leserinnen vor Entscheidungen: Wer sich in das Lächeln der Madonna bei der Pietà vertieft, steht unvermeidlich vor der Frage: Spinnt die Frau, macht sie sich Illusionen – oder könnte dieses Lächeln nicht wahr sein, weil das, was Maria glaubt, wahr ist. Und wenn er dieses Lächeln für wahr hält, dann glaubt er ans Ewige Leben.
Glaube und Religion als Helfer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens
Wie stellen Sie sich ein Ewiges Leben vor?
Mutter Teresa hat einmal gesagt: ,Ich weiß nicht genau, wie der Himmel sein wird. Aber ich weiß: Wenn wir sterben und Gott uns richtet, wird er uns nicht fragen: Wie viele gute Sachen hast du in deinem Leben gemacht. Er wird uns eher fragen: Mit wie viel Liebe hast du das getan, was du getan hast‘. Das heißt, auch ein Müllmann, der seinen Job liebevoll tut, wird ewig leben und zwar genauso ewig, wie ein Mönch, der von morgens bis abends betet. Auch Ewigkeit kann man übrigens in dem Buch veritabel sehen, nämlich auf der Abbildung der großartigen Decke der Kirche San Ignazio in Rom.
Macht der Glaube an Gott die Suche nach dem Sinn des Lebens nicht ungemein einfacher?
Manchmal mag es so scheinen, wenn da irgendwelche Leute ihr gutbürgerliches Wohnzimmer mit ein paar christlichen Sprüchen tapezieren, die ein bisschen ihre Angst vor dem Tod betäuben sollen. In Wahrheit sind das gar keine Christen und sie machen sich Illusionen. Dagegen hat der Glaube an Gott das Leben Dietrich Bonhoeffers ganz sicher nicht einfacher gemacht, dieser Glaube hat ihn vielmehr am Ende ins KZ geführt. Aber in diesem Glauben hat er einen so tröstlichen Sinn in seinem Leben gefunden, dass er noch im Angesicht des sicheren Todes das ergreifende Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“ dichten konnte, in dem er sich „behütet und getröstet wunderbar“ erlebt. Nicht jeder kann eine so tröstliche Erfahrung machen. Und Sinn des Lebens in diesem Buch ist keineswegs bloß ein christlicher Sinn. Elke Heidenreich, die dem Buch ein so schönes Geleitwort geschrieben hat, ist keine Christin, aber auch sie sagt, dass sie in der Kunst Ewigkeit erlebt.
Manfred Lütz „Der Sinn des Lebens“, Kösel-Verlag, 368 Seiten, 155 Farbfotos, 30 €