Essen. Licht- und Schatten von Weltreisen: Anne und Eugen Lambrecht erlebten unterwegs nicht die pure Glückseligkeit. Das ernüchterte Paar berichtet.
Fünf Jahre lang auf Weltreise – das klingt für viele wie ein Traum. Ihm folgten Anna und Eugen Lambrecht aus Hameln auch, als sie sich 2018 aufmachten, mit 20.000 Euro und vielen tollen Vorstellungen von ihrer Weltreise, die vor allem durch Social Media genährt waren. Der Journalist Eugen und die Erzieherin Anna berichteten auf ihrem YouTube-Kanal „notizenvonunterwegs“ über ihre Erlebnisse. Und sie verglichen die Versprechen von Selbstverwirklichung und Glück mit dem, was sie selbst erlebt haben. Die Bilanz fällt nach 1750 Tagen, mehr als 20 Ländern und vier Kontinenten ernüchternd aus. Wir erfuhren vom Paar, das heute in Berlin lebt, warum sie am Ende doch nicht das reine Glück auf Reisen gefunden haben.
Wie ist bei Ihnen der Wunsch entstanden, fünf Jahre lang auf Weltreise zu gehen?
Eugen: Wir hatten ja nicht geplant, fünf Jahre auf Weltreise zu sein.
Anna: Wir wollten erst nur drei Monate reisen, dann wurde es immer länger. Ein halbes Jahr, okay, lass uns ein Jahr weg.
Eugen: Nach Studium und Ausbildung haben wir unsere ersten Jobs angetreten. So nach einem Jahr im Job war es bei mir so, dass ich Zweifel bekam, ob das jetzt mein Lebensentwurf für die nächsten 40, 50 Jahre sein soll. Hochzeit, Kinder, Haus, wie unsere Eltern? Da fehlte uns etwas. Und es war 2017 die Zeit, in der auf YouTube immer mehr Reisevideos zu sehen waren. Die Leute schienen ganz glücklich zu sein und haben die Botschaft vermittelt, dass das Reisen der ultimative Weg zum Glück sei für junge Menschen: Geht auf Weltreise und ihr kommt glücklicher denn je zurück.
Wie waren denn Ihre anfänglichen Pläne?
Eugen: Mit unseren 20.000 €, mit denen wir los gereist sind, wollten wir acht Monate durch Asien. Nach dreieinhalb Monaten haben wir uns spontan entschieden, nach Australien zu gehen. Da haben wir einen Camper-Van gemietet, mit dem wir die Westküste hochgefahren sind. Wir waren so angetan von dem Land, dass wir uns schnell entschieden haben, noch mal wiederzukommen, auch für einen längeren Zeitraum. Also haben wir ein „Work & Travel“-Visum beantragt, das wir für ein Jahr nutzen wollten. Als wir dann in Australien waren, haben wir schnell gemerkt, dass uns das eine Jahr nicht reichen würde.
Und dann haben Sie verlängert?
Eugen: Wir haben erstmal vier, fünf Monate arbeiten müssen, weil wir nicht mehr allzu viel finanziellen Puffer hatten. Und wir haben die obligatorischen drei Monate Farmarbeit drangehängt, um fürs zweite Jahr das Visum zu bekommen. Dann ging es mit der Pandemie los, so dass wir vorerst keinen Sinn darin gesehen haben, nach Deutschland zurückzukehren.
Nach einem Traumleben auf Weltreise klingt das erstmal nicht…
Eugen: Uns wurde schon relativ früh während der Reise klar, dass wir ein bisschen naiv an die Sache herangegangen sind. Und dass wir die falschen Erwartungen hatten. Wir hatten anfangs die naive Vorstellung: Wir gehen auf Reise und sind dann superglücklich, jeder Tag ist einfach nur Happy Life.
Anna: Das war natürlich nicht so.
Eugen: Da gab es auch schlechte Tage. Man nimmt sich ja selbst mit. Und gewisse Probleme schüttelt man nicht ab, nur weil man am tollen Strand liegt.
Also ein getrübtes Glück?
Eugen: Es ist normal, dass man sich mal nicht so gut fühlt, dass es mal gut läuft und mal weniger, egal ob man in Berlin ist oder in Thailand.
Was waren denn trotzdem die Höhepunkte der Reise?
Anna: Unsere erste Australienreise war ein Höhepunkt, entlang der Westküste. Wir waren so geflasht von den Tieren und von der Natur.
Eugen: Für mich waren Höhepunkte, wenn wir in Australien länger an einem Ort waren und tieferen Einblick in die Kultur und die Probleme der Gemeinden bekommen konnten. Das kann man nicht, wenn man schnell durch flitzt und nur die Sehenswürdigkeiten abklappert.
Sehenswürdigkeiten zu sammeln, macht also nicht glücklich?
Eugen: Wir wollten am Anfang unserer Reise möglichst viel sehen und ständig in Bewegung sein, maximal einen Monat pro Land. Irgendwann merkt man: Wenn man drei Wasserfälle gesehen hat, lässt dich der vierte kalt. So ist es auch mit Menschen auf Reisen: Am Anfang der Reise saßen wir mit anderen Backpackern im Hostel zusammen und fanden das cool. Aber irgendwann hört man nur noch die gleichen Geschichten.
Man kann also auch zu viel Neues und zu viel vom Ähnlichen auf einmal erleben?
Anna: Wir haben uns zwischendurch schon gefragt, warum wir manchmal auch durchgehangen haben. Warum fühlen wir uns nicht immer glücklich und sind dauerhappy, obwohl wir hier in so einer schönen Landschaft sind? Man muss aber auch mal drei Tage im Zimmer sitzen, weil man überladen ist von den Eindrücken, die man verarbeiten muss. Manchmal braucht man Phasen des Rückzugs. Die haben wir uns aber genommen.
Würden Sie nach den Erfahrungen vielen Menschen empfehlen, selbst um die Welt zu reisen?
Eugen: Das muss nicht jeder können. Mich stören manche Botschaften. Erstens: Reisen macht glücklich. Zweitens: Jede Person kann reisen, wenn sie nur hart genug arbeitet. Aber natürlich will ich niemandem das Reisen madig machen.
Was haben Sie mitgenommen von den Reisen, als sie nach Deutschland zurückgekehrt sind?
Anna: Dass wir viel relaxter Veränderungen gegenüberstehen. Wir wissen: Heute ist es so, morgen kann es auch anders sein, das ist in Ordnung. Und wir haben bemerkt: Wir waren bei der Rückkehr sehr erschrocken, wie viel in Deutschland gemeckert wird.
Wohin geht es für Sie als nächstes? Wahrscheinlich nicht in den Harz…
Eugen: Doch, mit dem Gedanken haben wir ehrlich gesagt schon gespielt. Wir würden sehr gerne ein bisschen mehr von Deutschland sehen. Wir haben noch keine konkreten Reisepläne, aber so ein bisschen vor der eigenen Haustür zu reisen, das wäre schön.
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